\brief[Carnap an Neurath, Prag, 19.~Dezember 1934]% {Rudolf }{Dezember 1934}\labelcn{1934-12-19-Carnap-an-Neurath} \anrede{Lieber Neurath!} \haupttext{Besten Dank für viele Briefe. Nun will ich mich endlich aufmachen, alles zu beantworten. \cutcn{Hiermit schicke ich: 1) Biographische Notizen, 2) meine Bibliographie.\fnE{Publiziert in \textit{Erkenntnis} 5, 1935, S.\,187f.} Falls sie zu lang ist, kann ich noch kürzen. Von wem werden überhaupt biogr\ekl{aphische} u. bibl\ekl{iographische} Notizen aufgenommen? Seit dem letzten Jahr ist in der ,,Erk\ekl{enntnis}``\II{\erkenntnis} keine Chronik mehr. Auch die Berliner Ges\ekl{ellschaft}\II{\gesellschaft} hat ihre Vorträge nicht mehr mitgeteilt. Man glaubte, man könne das nicht, wenn man nicht auch Kantges\ekl{ellschaft}\II{\kantgesellschaft} usw. aufnähme. Das scheint mir übertrieben. ,,\uline{Syntax}``\IC{\logischesyntax} wirst Du inzwischen bekommen haben. Vom Autorpreis (14,80 RM oder engl\ekl{ischen} £ 1/3/5 oder öst\ekl{erreichischen} S 30,50) zieh bitte zunächst etwas ab für einen kl\ekl{einen} Weihnachtsgruß an Olga\IN{\neuratholga} (viell\ekl{eicht} etwa 2 Gulden), bitte besorge etwas Geeignetes! Falls es gut geht, schick bitte den Restbetrag an: American Express Co., Bank Department, 6 Haymarket, London SW 1, mit Vermerk ,,für Konto Rudolf Carnap, Prag``. Falls Du aber in Wien Geld hast, das Du loswerden willst, so überweise den Betrag an Gerold\II{\gerold} für mein Konto. \uline{Gerold}\II{\gerold} schickt mir heute Kontoauszug. Dabei werden mir 11\,\nicefrac{1}{2} \% vom Nettopreis (1,82 S) gutgeschrieben. Du schreibst 23. Nov.: ,,11\,\nicefrac{1}{2} \% vom Verkaufspreis`` (das ist 2,60 S). Wie ist das? \uline{Übersetzung\IW{\morrisrelation} Morris\IN{\morris}}. Zeile 10 vom Ende muß es heißen ,,Faktoren`` anstatt ,,Strukturen``. Ich möchte meinen Namen lieber nicht dabeigesetzt haben. Denn dies habe nicht ich geschrieben, sondern M\ekl{orris}\IN{\morris} selbst, ich habs nur übersetzt.\fnE{Dementsprechend erschien die deutsche Inhaltsangabe von Morris, ,,The Relation of the Formal and Empiricial Sciences within Scientific Empiricism``, ohne Angabe von Carnaps Namen.} Hempel u. Frank haben dagegen (wie ich glaube) selbst den Auszug gemacht. Der \uline{Bericht des Philos\ekl{ophie}-Kongresses}\IW{\berichtphilkong} wird, wie ich höre, erst nach vielen Monaten erscheinen.\fnE{\textit{Actes du Huitième Congrès International de Philosophie}.} Die Korrektur für die deutschen Diskussionsbeiträge liest Oskar Kraus\IN{\krausoskar}. Ich habe mich auf seinen Wunsch bereit erklärt, ihm bei den ,,logistischen`` zu helfen, habe aber bisher nichts bekommen. Das ,,h`` in ,,author`` hat keinen besonderen Grund. Oxford Dictionary gibt an: ursprünglich Schreibvariante für ,,autor`` (von ,,auctor``). Analoges kommt wohl sonst nicht vor. Ross-Rez\ekl{ension}\IW{\neurathrezross} bekommen,\fnE{Neurath, ,,A. Ross, \textit{Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis}``.} an Reichenbach\IN{\reichenbach} weitergegangen. Seit einem halben Jahr schreibe ich Reichenb\ekl{ach}\IN{\reichenbach} in jedem Brief, er soll mir eine Liste der Rezensenten aufstellen, die Bücher zur Rez\ekl{ension} f. d\ekl{ie} ,,Erk\ekl{ennt\-nis}``\II{\erkenntnis} bekommen haben, und eine Liste der eingegangenen Rez\ekl{ensions}-Ex\ekl{em\-plare}, für die noch kein Rezensent gefunden ist. Bisher vergeblich. Jetzt schreibt er endlich, sein Assistent werde das jetzt machen. Sobald ich das bekomme, werde ich Dir mitteilen, wer die 3 Hefte der ,,Einh\ekl{eitswissenschaft}``\II{\einheitswissenschaftschriftenreihe} bekommen hat. Wegen Deines Buches\IW{\neurathneuesbuch} mahne ich Frank\II{\frankphilipp} immer wieder. Vielleicht kannst auch Du beschleunigend auf ihn einwirken.} Fred \uline{Bon}\IN{\bonfred} ist ein merkwürdiger Einspänner. Da er nicht gerade Kohl schreibt, meine ich, wir sollten ihn zur Diskussion zulassen. Die Rez\ekl{ension}\IW{\bonrezgaetsch} über Gätschenberger\IN{\gaetschenberger} schickte er unaufgefordert.\fnE{Bon, ,,Gätschenberger, \textit{Zeichen, die Fundamente des Wissens}``.} Das Buch\IW{\gaetschenbergerzeichen} von G\ekl{ätschenberger}\IN{\gaetschenberger} ist interessant (auch so ein isolierter Outsider, aber besser als Bon\IN{\bonfred}), drum schien mir eine Rez\ekl{ension} erwünscht. So besonders schlecht ist sie doch auch nicht. \neueseite Stebbing\IN{\stebbing} ist an einem Frauen-College und hat daher persönlichen Kontakt hauptsächlich mit Studentinnen. Daß die ,,Erk\ekl{enntnis}``\II{\erkenntnis} keine Honorare mehr zahlt, ist nichts Besonderes. Die ,,Monatshefte``\II{\monatshefte}\fnE{\textit{Monatshefte für Mathematik und Physik}.} und, wie ich glaube, auch die andern deutschen mathem\ekl{atischen} Zeitschriften tun das seit vielen Jahren nicht. Ich glaube auch, daß die Stebbing\IN{\stebbing} Ogden\IN{\ogden} in puncto geschäftliche Einstellung Unrecht tut. \cutcn{Zum \uline{Plan der zwei Hefte} (v. 14.~Nov.). Könnte man nicht vielleicht die Induktionsdiskuss\ekl{ion} zu den übrigen Disk\ekl{ussionen} hinter alle Vorträge setzen? Das ist für den Leser doch übersichtlicher. Außerdem wirst Du eher die Vortrags-MSe fertig haben und dann das 1. Heft herausbringen können, ohne auf die Disk\ekl{ussions}-Beiträge warten zu müssen.\fnA{Hsl. Einschub am Seitenrand mit Klammer über 4 Zeilen: \original{ich sehe eben: ist schon erledigt!}.} Mir z.\,B. wäre es sehr lieb, wenn ich bei Aufschreiben meiner Bem\ekl{erkungen} zur Induktion schon die Korrekturbogen Deines Vortrages und des Induktionsreferates von R\ekl{eichen}b\ekl{ach}\IN{\reichenbach}, viell\ekl{eicht} auch von Popper\IN{\popper}, schon vor mir liegen hätte, als Erinnerungsanregung. -- Ich möchte vorschlagen, das \uline{über Paris} doch gleich am Anfang zu bringen und nicht so, daß es nachher im Doppelheft mitten zwischen sachlichen Vorträgen steht. -- Meine ,,weisen Worte`` (4) lohnen wohl nicht die Veröffentlichung. -- Meine Diskussionsbem\ekl{erkungen} zu Morris\IN{\morris} füge ich vielleicht am besten in meinen Vortrag ein (das kann ich ja bei der Korrektur machen); sonst passen sie nicht gut irgendwo hin. -- Wenn wir jetzt eine Bibliographie machen, dann aber nicht wieder in einem für Paris erscheinenden Heft, sondern frühestens im Bericht über Paris\IW{\berichtparis}, also Anfang 1936. Meinst Du das nicht auch? \uline{Mein MS}\IC{\vortragvorkonferenz} habe ich Dir am 28. Nov. geschickt.\fnE{Carnap, ,,Formalwissenschaft und Realwissenschaft``.} Die meisten Deiner Vorschläge akzeptiert. Der damalige Titel ,,Unser Forschungsgebiet -- Wissenschaftslogik``\fnE{Laut Bericht über die Prager Vorkonferenz (\textit{Erkenntnis} 5, 1935, S.\,1) lautete Carnaps Vortragstitel genau: ,,Gegenstand unserer Forschung -- Wissenschaftslogik``.} paßt nicht recht zum jetzigen Inhalt, da ich jetzt die allg\ekl{emeine} Einleitung gestrichen habe (weil deren Gedanken schon mehrmals, bes\ekl{onders} in der Broschüre ,,Aufg\ekl{abe} d\ekl{er} Wissenschaftslogik``\IC{\aufgabederlogik}, veröffentlicht worden sind) und hauptsächl\ekl{ich} über Formal- u. Realwiss\ekl{enschaft} rede. Das möchte ich gern im Titel zum Ausdruck bringen. Die Ähnlichkeit mit dem Titel von Morris\IN{\morris} schadet doch wohl nichts. -- In die Figur habe ich, durch Deine Wünsche angeregt, weitere Beispiele aufgenommen.\fnE{Vgl. Carnap, ,,Formalwissenschaft und Realwissenschaft``, S.\,33.} Ich mußte dann, wie Du gesehen hast, alle Zeilen außerhalb des Vierecks quer stellen; das macht wohl nichts. Ursprüngl\ekl{ich} hatte ich in der Abt\ekl{eilung} ,,kontradiktorisch`` keine Beispiele, um die Aufmerksamkeit mehr auf die obere Hälfte zu lenken, weil da das Gebiet der Wiss\ekl{enschaft} ist. Die Horizontale im Gebiet ,,synthetisch`` ist nur gestrichelt, weil sie nicht, wie die andern Hor\ekl{izontalen}, einer syntaktischen Unterscheidung entspricht, sondern der außersyntaktischen Abgrenzung zw\ekl{ischen} ,,wahr`` u. ,,falsch``. (Diese beiden Termini sind aus dem gleichen Grund eingeklammert). Aus Raummangel kann ich aber natürlich nicht alles dies ausdrücklich sagen. Beispiele syntaktischer Sätze hab ich auch auf Deine Anregung hin eingefügt. Für den, der nicht spez\ekl{iell} an Syntax (und besonders an dem Spezialproblem der nicht vollständigen Formulierbarkeit in derselben Sprache) interessiert ist, könnte die Überzahl an Beispielen vielleicht verwirrend wirken. Aber nun habe ich dieses Zuckerl für Dich und Deinesgleichen doch beigegeben. Th\ekl{ilo} \uline{Vogel}\IN{\vogelthilo} war Privatdozent bei Aster\IN{\aster} in Gießen. Was er nun macht, ist mir nicht bekannt. \neueseite Du fragst jetzt wegen \uline{Mises}\IN{\mises}. Hast Du früher schon mal darnach gefragt? Soviel ich sehe, habe ich keine Liste der für das ,,Große Komitee`` in Aussicht Genommenen bekommen. Ich weiß nicht mehr, wer sonst darin ist; davon hängt ja so eine Einzelentscheidung ab. Wenn, wie Du schreibst, Dubislav drin ist, sollte man wohl auch Mises aufnehmen.} \uline{Lewis}\IN{\lewis} hat einen Aufsatz\IW{\lewisexperience} an Schlick\IN{\schlick} und mich geschickt, in dem er über Thesen des Wiener Kreises\II{\schlickzirkel} diskutiert, und hat uns aufgefordert, darauf zu erwidern. Meine Korrespondenz mit L\ekl{ewis}\IN{\lewis} hat noch so gut wie nichts Deutliches ergeben. Ich habe aber die Absicht, eine Erwiderung auf den Aufsatz zu schreiben. Schlick\IN{\schlick} hat mir geschrieben, daß er schon eine Erwiderung\IW{\schlickmeaning} verfaßt hat.\fnEE{Schlick, ,,Meaning and Verification``, sowie ursprünglich auch Carnap, ,,Testability and Meaning``, sind als Antworten auf Lewis, ,,Experience and Meaning`` konzipiert. Vgl. die einleitenden Bemerkungen der Herausgeber in Schlick, \textit{Die Wiener Zeit}, 703--706, sowie TB~3.\,4.\,1935\diaryref{TB-3-4-1935}.}\fnE{Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 1.~November 1934, RC 029-28-04; bei dem Text handelt es sich um Schlick, ,,Meaning and Verification``.} Ich werde abwarten, bis ich die bekomme, um dann bei meiner Erwiderung auf L\ekl{ewis}\IN{\lewis} darauf bezugnehmen zu können.\fnE{Eine solche ,,Erwiderung`` ist zwar nicht erschienen, im ersten Kapitel von ,,Testability and Meaning`` geht Carnap dann aber detailliert auf die genannten Aufsätze von Lewis und Schlick ein.} Schl\ekl{ick}\IN{\schlick} schreibt mir, daß seine Erwiderung sich unversehens zu einer zusammenhängenden Darstellung seines Standpunktes in der erkenntnistheoret\ekl{ischen} Grundfrage entwickelt habe. -- Zu Deinem Aufsatz schreibt Schl\ekl{ick}\IN{\schlick} in dem Brief nichts; vielleicht kannte er ihn damals (1.~Nov.) noch nicht. -- Meine Erwiderung auf Lewis bekommst Du dann natürlich. Übrigens ist sein Aufsatz\IW{\lewisexperience} nicht so wichtig. Ich habe jetzt nicht vor, eine ausdrückliche Erwiderung auf Schlick\IN{\schlick}\IW{\schlickfundament} und Bon\IN{\bonfred}\IW{\bonartikel} zu schreiben.\fnE{Schlick, ,,Über das Fundament der Erkenntnis``; Bon, ,,Der Gegenstand der Psychologie``.} Ich denke: lieber bei Gelegenheit eines nicht-polemischen Aufsatzes mal nebenher. Für sich lohnt es sich wohl nicht, zumal Du ja schon das Wichtigste gegen Schlick\IN{\schlick} zum Ausdruck gebracht hast\IW{\neurathradikal}.\fnE{Neurath, ,,Radikaler Physikalismus und ,Wirkliche Welt`\grqq.} Meine Auslagen für Prager Vorkonferenz\II{\vorbesprechunginprag} waren nicht hoch. Ich kann sie jetzt nur noch roh schätzen, auf etwa 80 K\v{c}. Falls Du übriges Geld hast, sie zu decken, Zahlungsweise wie oben. Zur Frage v. 13.~Dez.: ,,Sprache`` verwende ich im weitesten Sinn. ,,Schrift`` oder ,,Schriftsprache`` habe ich kaum verwendet. Ich würde gegebenfalls diese Termini so gebrauchen, daß ,,Schr\ekl{ift}`` oder ,,Schriftsprache`` zur Bezeichnung einer Sonderart von Sprachen dient, nämlich der geschriebenen. Ein System von Regeln für die Verwendung von Bildern (zum Ausdruck von Tatsachen) ist dann eine besondere Art von Schriftsprache und damit eine bes\ekl{ondere} Art von Sprache. Daher kann man, so scheint mir, sowohl den Terminus ,,Bilderschrift``, wie ,,Bildersprache`` verwenden.\bigskip \fbox{\parbox{4cm}{\hspace{1mm} Sprachen \\ \fbox{\parbox{3cm}{\hspace{0,9mm}Schriftsprachen \\ \fbox{Bildersprachen \\}}}}} \bigskip\noindent Es würde mich sehr interessieren, über Eure Diskussion mit Mannoury\IN{\mannoury} zu hören! -- Uns geht es gut, Ina\IN{\ina} läßt Euch herzlich grüßen. Mit guten Grüßen} \grussformel{Euer\\R. Carnap} \smallskip \cutcn{\briefanhang{\textkritikl 20.~Dez. Eben kommt Brief v. 17. Mit Bachelard\IN{} einverstanden, bei Guye\IN{\guye} u. Nicolaeff\IN{\nicolaeff} enthalte mich, weil unbekannt. Malisoff\IN{\malisoff} nicht! Boll\IN{\boll} soll man gewinnen, werde mit Frank\IN{\frankphilipp} sprechen. Übriges beiliegend.\textkritikr\fnA{Msl. Einschub; im Dsl. ist dieser Einschub ksl. vorgenommen, dort noch die zusätzliche Zeile (eckige Klammern im Original): \original{[Dazu seinen Entwurf mit Bemerkungen zurück: 1) Titelblatt, 2) ,,Vorbemerkungen``, 3) über internationale Kongresse!]}}}}%\newpage \ebericht{Brief, msl., 3 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/828555}{ON 219 (Dsl. RC 029-10-03)}; Briefkopf: gedr. \original{Prof. Dr. Rudolf Carnap\,/\,Prag XVII.\,/\,Pod Homolkou 146}, msl. \original{Prag, den 19.~Dez. 1934}; ein hsl. Einschub im Text sowie die msl. Nachbemerkung sind im Dsl. ksl. vorgenommen.}