Carnap an Neurath, Prag, 19. Dezember 1934 Rudolf Dezember 1934

Lieber Neurath!

Besten Dank für viele Briefe. Nun will ich mich endlich aufmachen, alles zu beantworten.

Fred BonPBon, Fred, *1871, schweiz. Philosoph ist ein merkwürdiger Einspänner. Da er nicht gerade Kohl schreibt, meine ich, wir sollten ihn zur Diskussion zulassen. Die RezensionBBon, Fred!„Gätschenberger, Zeichen, die Fundamente des Wissens über GätschenbergerPGätschenberger, Richard, 1865–1936, dt. Philosoph schickte er unaufgefordert.5Bon, „Gätschenberger, Zeichen, die Fundamente des Wissens“. Das BuchBGätschenberger, Richard!1932@Zeichen, die Fundamente des Wissens, Stuttgart, 1932 von GätschenbergerPGätschenberger, Richard, 1865–1936, dt. Philosoph ist interessant (auch so ein isolierter Outsider, aber besser als BonPBon, Fred, *1871, schweiz. Philosoph), drum schien mir eine Rezension erwünscht. So besonders schlecht ist sie doch auch nicht. 🕮

StebbingPStebbing, Susan, 1885–1943, brit. Philosophin ist an einem Frauen-College und hat daher persönlichen Kontakt hauptsächlich mit Studentinnen.

Daß die „ErkenntnisIErkenntnis, Zeitschrift keine Honorare mehr zahlt, ist nichts Besonderes. Die „Monatshefte“IMonatshefte für Mathematik und Physik, Zeitschrift6Monatshefte für Mathematik und Physik. und, wie ich glaube, auch die andern deutschen mathematischen Zeitschriften tun das seit vielen Jahren nicht.

Ich glaube auch, daß die StebbingPStebbing, Susan, 1885–1943, brit. Philosophin OgdenPOgden, Charles Kay, 1889–1957, brit. Linguist und Philosoph in puncto geschäftliche Einstellung Unrecht tut.

LewisPLewis, Clarence Irving, 1883–1964, am. Philosoph hat einen AufsatzBLewis!„Experience and Meaning“ an SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick und mich geschickt, in dem er über Thesen des Wiener KreisesISchlick-Zirkel, Wiener Kreis diskutiert, und hat uns aufgefordert, darauf zu erwidern. Meine Korrespondenz mit LewisPLewis, Clarence Irving, 1883–1964, am. Philosoph hat noch so gut wie nichts Deutliches ergeben. Ich habe aber die Absicht, eine Erwiderung auf den Aufsatz zu schreiben. SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick hat mir geschrieben, daß er schon eine ErwiderungBSchlick, Moritz!„Meaning and Verification“ verfaßt hat.10Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 1. November 1934, RC 029-28-04; bei dem Text handelt es sich um Schlick, „Meaning and Verification“. Ich werde abwarten, bis ich die bekomme, um dann bei meiner Erwiderung auf LewisPLewis, Clarence Irving, 1883–1964, am. Philosoph darauf bezugnehmen zu können.11Eine solche „Erwiderung“ ist zwar nicht erschienen, im ersten Kapitel von „Testability and Meaning“ geht Carnap dann aber detailliert auf die genannten Aufsätze von Lewis und Schlick ein. SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick schreibt mir, daß seine Erwiderung sich unversehens zu einer zusammenhängenden Darstellung seines Standpunktes in der erkenntnistheoretischen Grundfrage entwickelt habe. – Zu Deinem Aufsatz schreibt SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick in dem Brief nichts; vielleicht kannte er ihn damals (1. Nov.) noch nicht. – Meine Erwiderung auf Lewis bekommst Du dann natürlich. Übrigens ist sein AufsatzBLewis!„Experience and Meaning“ nicht so wichtig.

Ich habe jetzt nicht vor, eine ausdrückliche Erwiderung auf SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy SchlickBSchlick, Moritz!1934@„Über das Fundament der Erkenntnis“, Erkenntnis 4, 1934, 79-99 und BonPBon, Fred, *1871, schweiz. PhilosophBBon, Fred!„Der Gegenstand der Psychologie“ zu schreiben.12Schlick, „Über das Fundament der Erkenntnis“; Bon, „Der Gegenstand der Psychologie“. Ich denke: lieber bei Gelegenheit eines nicht-polemischen Aufsatzes mal nebenher. Für sich lohnt es sich wohl nicht, zumal Du ja schon das Wichtigste gegen SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick zum Ausdruck gebracht hastBNeurath, Otto!1934@„Radikaler Physikalismus und ‚wirkliche Welt‘ “, Erkenntnis 4, 1934, 346-362.13Neurath, „Radikaler Physikalismus und ‚Wirkliche Welt‘“.

Meine Auslagen für Prager VorkonferenzIVorkonferenz der internationalen Kongresse für Einheit der Wissenschaft, Prag, 31.VIII.-2.IX.1934 waren nicht hoch. Ich kann sie jetzt nur noch roh schätzen, auf etwa 80 Kč. Falls Du übriges Geld hast, sie zu decken, Zahlungsweise wie oben.

Zur Frage v. 13. Dez.: „Sprache“ verwende ich im weitesten Sinn. „Schrift“ oder „Schriftsprache“ habe ich kaum verwendet. Ich würde gegebenfalls diese Termini so gebrauchen, daß „Schrift“ oder „Schriftsprache“ zur Bezeichnung einer Sonderart von Sprachen dient, nämlich der geschriebenen. Ein System von Regeln für die Verwendung von Bildern (zum Ausdruck von Tatsachen) ist dann eine besondere Art von Schriftsprache und damit eine besondere Art von Sprache. Daher kann man, so scheint mir, sowohl den Terminus „Bilderschrift“, wie „Bildersprache“ verwenden.

Sprachen
Schriftsprachen
Bildersprachen

Es würde mich sehr interessieren, über Eure Diskussion mit MannouryPMannoury, Gerrit, 1867–1956, niederl. Mathematiker und Philosoph zu hören! – Uns geht es gut, InaPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap läßt Euch herzlich grüßen.

Mit guten Grüßen

Euer
R. Carnap

Brief, msl., 3 Seiten, ON 219 (Dsl. RC 029-10-03); Briefkopf: gedr. Prof. Dr. Rudolf Carnap\,/\,Prag XVII.\,/\,Pod Homolkou 146, msl. Prag, den 19. Dez. 1934; ein hsl. Einschub im Text sowie die msl. Nachbemerkung sind im Dsl. ksl. vorgenommen.


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