W.V.O. Quine an Rudolf Carnap, 24. November 1934 November 1934

Lieber Herr Carnap!

Ich habe sehr viel Ihnen mitzuteilen; daßs werde ich der zeitlichen Reihenfolge nach tun.

In Antwort Ihres Schreibens desvom 3. Juni schrieb ich Ihnen einen ausführlichen Brief. Hoffentlich erhalten Sie ihn und fanden etwas nützliches unter meinen terminologischen Vorschlägen.

Ihr BuchB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 hat mir natürlich sehr gefallen. Ich habe es für die Philosophical ReviewI rezensiertB. Das passiert aber spät. Durch irgendeinen Unfall bei dem Herausgeber mußte ich fürauf meinen Exemplar des BuchesB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 vier Monaten warten; inzwischen mußte ich fünf mal schreiben: zweimal an die ZeitschriftI, zweimal an SpringerPSpringer, Julius der Jüngere, 1880–1968, dt. Verleger, und einmal an dendas Postamt. Inm September kam endlich das Buch und ein Paar Wochen später sandte ich meine Rezension ab.

In der UniversitätIHarvard University, Cambridge MA habe ich während dieses Monates drei öffentliche Vorträge über Ihre letzteren ArbeitenB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934B gehalten. Eine sehr befriedigendes Interesse wurde gezeigt. In dieser Gegend werden Sie sehr viel besprochen. Eine Gruppe der jungen Doktoren plant nun, für die Besprechung Ihrer Ideen periodisch zusammenzutreten.

Gerade nach meinem vorgestrigen Schlußvortrag über Ihre Arbeit hat Prof. David Wight PrallPPrall, David Wight, 1886–1940, am. Philosoph mir gesagt, daß er sehr gern die Logische SyntaxB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 ins eEnglisch übersetzen mögchte. Dies war mir eine außerordentlich erfreuende Nachricht. Ein gewißer Tom ChambersPChambers, Tom, am. Chemiker (Chemie) und Dr. Fred SkinnerPSkinner, B. F., 1904–1990, am. Psychologe (Psychologie) und NaomiPQuine, Naomi, 1907–1997, geb. Clayton, 1932–1947 verh. mit Willard Van Orman Quine und ich schickten Ihnen dann gemeinsam die Kabeldepesche, die Sie vermutlich am 23. d. M. erhalten haben, um Sie zu überzeugen, den Übersetzungsvorgang aufzuhalten, falls er nicht schon etwa halbeswegs durchgeführt worden sei.

Ich hoffe sehr, daß es noch nicht zu spät ist, die Übersetzungsarbeit dem PrallPPrall, David Wight, 1886–1940, am. Philosoph zuzuerkennen. Das letztere wäre aus folgenden Gründen sehr vorteilhaft:

1) PrallPPrall, David Wight, 1886–1940, am. Philosoph ist nicht etwa unbekannter Dozent in Tennessee, sondern Professor an HarvardIHarvard University, Cambridge MA. In dem Kreis amerikanischer Gelehrter ist er schon gut errichtetangesehen und hoch geachtet.

2) Einerseits ist Prall über Ihre Arbeit sehr begeistert; andererseits aber wird PrallPPrall, David Wight, 1886–1940, am. Philosoph sozusagen von Seiten der Feindeslager, d. h. der ausgesprochenen Philosophen, als ordentlicher Kollege angesehen. Politisch ist eine solche Lage offenbar vorteilhaft.

3) PrallPPrall, David Wight, 1886–1940, am. Philosoph ist ein geschickter Schriftsteller.

4) Er ist ein sehr energischer und mit dabei ein sehr sorgfältiger Arbeiter. Jede Einzelheit der Terminologie usw. würde von ihm behutsam und geschickt behandelt werden. Es würde sein aufrichtiges Ziel sein, eine stolzwürdige Übersetzung zu erzeugen. Daß er aufzu diesesm Ziel gelangen würde, ist ausgerechnetausgemacht. sicher.

Daher springt es ins Auge, daß es Ihnen geziemt, jeden schon entstandenen Übersetzungsvertrag gerade wegzutun, und die Arbeit dem PrallPPrall, David Wight, 1886–1940, am. Philosoph zuzuerkennen, wenn das noch heute überhaupt möglich ist.

Es ist mein aufrichtigster Wunsch, Sie nicht nur in Amerika sondern an HarvardIHarvard University, Cambridge MA möglichst bald errichtet zu sehen: das ist auch der Wunsch einer Menge meiner Kollegen. Was ärgerlich ist, ist die Langsamkeit unserer 🕮 Universitätsmächtebehörden in allen solchen Vorgängen. Täglich wird es aber diesen Mächten stärker bestätigt, wie wichtig es sei, Sie hereinzuladen.

Über Ihre Definition von “quasi-syntaktisch”, Seiten 178-179, möchte ich eine Frage stellen. Innerhalb dieser Definition scheint es nicht festgesetzt zu sein, daß \(S\!g_2\) ein syntaktisches Prädikat sei. (Freilich muß \(S\!g_2\) der Sprache \(S_2\) zugehören, welche Sprache aber enthält eine Syntax für \(S_1\) und sonst im allgemeinen übriges enthält.) Wenn nun \(S\!g_2\) ein nicht syntaktisches Prädikat sein darf (obwohl freilich es lauter Zeichen als Argumente annimmt), warum denn könnte \(S\!g_2\) nicht irgendein ungünstiges demn Begriff “wahr” betreffendes Prädikat sein, Ihren Bemerkungen am Ende der S. 179 zuwider?

Andrerseits nehme man an, \(S\!g_2\) müßsse syntaktisches Prädikat sein. Nach Ihrer Definition von “syntaktisch” heißt dies, daß jeder Vollsatz von \(S\!g_2\) entweder analytisch oder kontradiktorisch ist. Wenn aber jeder solche Vollsatz dem entsprechenden Vollsatz von \(S\!g_1\) gehaltgleich ist, so muß jeder Vollsatz von \(S\!g_1\) ebenfalls entweder analytisch oder kontradiktorisch sein. Unter diesen Voraussetzungen erhalten wir aber das unwillkommene Resultat, daß ein Prädikat nur dann quasi-syntaktisch sein kann, wenn jeder seiner Vollsätze entweder analytisch oder kontradiktorisch ist.

Bitte zeigen Sie mir doch, worin mein Mißverständnis liegt.

Betreffs S. 116 habe ich eine geringere Frage zu stellen. Sie schreiben, „Zur Feststellung des Wahrheitswertes einer Implikation muß man die Wahrheitswerte der beiden Glieder feststellen.“ Dagegen möchte ich auszeichnen, daß wir günstigenfalls mit nur einer Gliedfestellung abaufhören dürfen, nämlich wenn das zunächst festzustellendes Glied das erste bzw. das zweite Glied ist und wird als falsch bzw. wahr festgestellt wird. Ferner scheint es mir, daß wir günstigenfalls auf das Feststellen des Wahrheitswertes überhaupt eines Gliedes verzichtern können und den Wahrheitswert des Ganzen einfach durch eine allgemeine logisch abgeleitete Beziehung feststellen.

Mit den Ideen Ihres BuchesB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 bin ich natürlich ganz einverstanden; es sei nur das obige Paar technischer BeipünkteNebenpunkte hervorgehoben.

Das DrüuckenaRandbemerkung drücken = to press; drucken = to print. meines BuchesBQuine, Willard Van Orman!1934@A System of Logistic, Cambridge MA, 1934 hat eine ungeheure Zeitlänge gedauert. Letzte Woche ist es endlich erschienen. Ein komplimentäresGeschenkexemplar wird Ihnen direkt von dem HerausgeberVerlagbRandbemerkung Herausgeber: editor (a scientist)  /  Verleger: publisher (a business man). geschickt.

Separat sende ich Ihnen einige Sonderabdrüucke.

Ich hoffe, daß Ihr Aufenthalt in England angenehm war.

Herzlichste Grüße Ihnen beiden, auch von Naomi.

Ihr
W. V. Quine

Brief, msl., Kopie, 2 Seiten, WQ; Briefkopf: msl. 52 Garden Street  /  Cambridge, Mass., USA  /  d. 24. Nov. 1934.


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