\brief{Rudolf Carnap an Abraham Fraenkel, 7. November 1934}{November 1934} %, den 7.November 1934. \anrede{Lieber Herr Fraenkel,} \haupttext{da Sie mit der Fertigstellung der englischen Übersetzung\IW{} Ihrer ,,Mengenlehre``\IW{\fraenkelmengen} beschäftigt sind, möchte ich Ihnen einige Bemerkungen zur \uline{Definition von ,,Auswahlmenge}`` schreiben. Es gibt 2 Definitionen: D\textsubscript{1}. Eine Menge, die mit jeder Elementmenge von $M$ genau ein Element gemein hat. D\textsubscript{2}. Der Vorbereich eines Selektors für $M$ (d.\,h. einer einmehrdeutigen Relation, durch die jeder Elementmenge von $M$ genau eines ihrer Elemente zugeordnet wird.) (Hierbei kann verschiedenen Elementmengen dasselbe Element zugeordnet werden.) Wenn die Elementmengen von $M$ paarweise fremd sind, stimmen D\textsubscript{1} und D\textsubscript{2} überein; sonst nicht notwendig. 1.) Ich kam auf diese Frage dadurch, daß ich brieflich aufmerksam gemacht wurde, daß auf S.\,59 \uline{meiner ,,Logistik}``\IC{\logistik} eine Unstimmigkeit besteht; dort ist nämlich zunächst D\textsubscript{1} aufgestellt; dann aber hinter L 24 $\cdot$ 10 eine Behauptung aufgestellt (,,Die Klasse\ldots ist\ldots``; und vorher schon: ,,D\blockade{symbol}R ist -- von \blockade{x. k. kappa?}``), die nicht zu D\textsubscript{1}, sondern nur zu D\textsubscript{2} passt. Ich muß also entweder D\textsubscript{1} oder diese Behauptung fallen lassen; mir scheint, das erstere ist vorzuziehen, d.\,h. ich würde (in Übereinstimmung mit Russell\IN{\russell}, Princ. Math.\IW{\principiamathematica} I, S.\,479) jetzt lieber D\textsubscript{2} aufstellen. 2.) In \uline{Ihrer ,,Mengenlehre``}\IW{\fraenkelmengen} besteht eine kleine analoge Unstimmigkeit. S.\,283 wird D\textsubscript{1} aufgestellt, S.\,299 D\textsubscript{2} angedeutet (nicht ganz scharf formuliert). Da auf die Änderung aufmerksam gemacht wird, so wäre das in Ordnung (wenn es auch vielleicht pädagogisch zweckmäßig wäre, entweder die eine oder die andere Definition überall durchzuführen). Aber S.\,289 Mitte wird eine Behauptung aufgestellt, die für die bis dahin allein aufgestellte Definition D\textsubscript{1} nicht zutrifft, nämlich, daß die Voraussetzung der Elementefremdheit nicht notwendig sei. Wenn der Wortlaut von Axiom VI, S.\,283, festgehalten wird und darin nur gestrichen wird ,,und überdies paarweise elementefremd sind``, so wird das Axiom offenbar falsch. Kommen z.\,B. unter den Elementmengen vor: \{a\}, \{b\}, \{a,b,\ldots\}, so gibt es offenbar keine Menge, die mit jeder Elementmenge genau ein Element gemein hat.\fnC{(Nachträglich bemerke ich, daß Sie in ,,Zehn Vorlesungen'' S.\,81 selbst schon richtig angeben, daß das Axiom ,,dann allerdings anders formuliert werden muß''.)} Wenn wir nun übereinkommen, nur \uline{eine} Definition aufzustellen, \uline{welche möchten Sie vorziehen}? Ich neige, wie gesagt, zu D\textsubscript{2}; dann wäre der \uline{Satz} aufzustellen: sind die Elementmengen von $M$ paarweise elementfremd, so hat eine Auswahlmenge mit jeder Elementmenge genau \neueseite{} ein Element gemein. Dann wäre VI so zu formulieren: ,,$M$ sei\ldots mindestens je ein \ldots paarweise elementfremd sind; dann existiert mindestens eine Auswahlmenge von $M$``. Und daraufhin wäre auf den genannten Satz zu verweisen. Und dann kann S.\,289 richtig gesagt werden, daß die zweite Voraussetzung nicht erforderlich ist. -- Ich halte in diesem Semester eine 3-Stündige Vorlesung ,,Einführung in die Mengenlehre, mit besonderer Berücksichtigung ihrer logischen Probleme``. Da ist mir Ihr ausgezeichnetes Buch\IW{\fraenkelmengen} die unentbehrliche Grundlage. Ich werde in meinem Seminar hauptsächlich Ihre Axiomatik besprechen. Aus meiner ,,Syntax``\IC{\logischesyntax} mußte ich leider, nachdem ich das fertige MS (im Dezember 33) zum Druck eingeschickt hatte, einige Kapitel herausnehmen, da der vereinbarte Umfang überschritten war. Eines davon ist, etwas umgearbeitet, jetzt in den Monatsheften\II{\monatshefte} gedruckt; Sie werden in den nächsten Tagen einen Sonderdruck bekommen (,,Die Antinomien\ldots`` vgl. Syntax\IC{\logischesyntax} S.\,263). Dieser Aufsatz\IC{\msantinomien} stellt eine Ergänzung zu Syntax\IC{\logischesyntax} \textsection{}\,60 dar.} \grussformel{Mit herzlichen Grüßen\\ \blockade{ksl.}} \ebericht{Brief, msl. Dsl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/871595}{RC 102-41-12}; Briefkoipf: msl. \original{den 7.\,November 1934}.}