\brief{Rudolf Carnap an Bernhard Bavink, 2. November 1934}{November 1934} \blockade{Reflexionen machen es teilw. unleserlich. Transkription davon fast nicht betroffen, aber meine Kontrolle nicht immer möglich.} %Prag, den 2. \guilsinglleft{}Nov.\guilsinglright{} 1934. %Herrn Prof. B. \textit{Bavink} %\uline{Bielefeld} \anrede{Sehr geehrter Herr Kollege!} \haupttext{Soeben habe ich mit lebhaftem Interesse Ihre Erwiderung\IW{} im Okt.-Heft auf Schlick\IN{\schlick} \IW{} und mich gelesen. Trotz aller Gegensätze freue ich mich stets an der Klarheit Ihrer Darlegungen. Ich möchte ganz kurz einige Bemerkungen dazu machen. Bei dem, was Sie zu Schlick\IN{\schlick} sagen, habe ich das Gefühl, daß der Gegensatz zwischen Ihnen und mir gerade in diesem Punkt nicht so groß ist, wie Sie meinen. Ich stimme Ihnen darin bei, daß wir auch in den Prot[okoll]sätzen kein absolutes Fundament der Erkenntnis haben, ja daß die Forderung nach irgendeinem solchen absolut sicheren Fund[ament] unberechtigt und unerfüllbar ist; daß die Wissenschaft mit einem Wagnis beginnen muß, daß alles stets provisorisch ist und eines Umbaus gewärtig sein muß. Im Unterschied zu den früheren Auffassungen des Wiener Kreises\II{\schlickzirkel} (auch meinen eigenen) und den noch gegenwärtig von Schlick\IN{\schlick} vertretenen habe ich diesen Standpunkt z.\,B. auf der Schlußseite des Aufsatzes über die Prot[okoll]sätze\IW{} zum Ausdruck gebracht (Erk.\II{\erkenntnis}\,3, S.\,228). Nebenbei möchte ich bemerken (was aber nicht wichtig ist), daß Ihre Meinung, wir seien meist Mathematiker, nicht zutrifft. Wir sind meist Physiker. Nur Hahn\IN{\hahnhans} -- der im Juli plötzlich gestorben ist, - war Math[ematiker]. Frank\IN{\frankphilipp} ist Physiker; Schlick\IN{\schlick} hat bei Nernst\IN{\nernst} promoviert; ich hatte während meines Studiums Physik als Hauptfach und habe lange experimentell gearbeitet. Neurath\IN{\neurath} ist Nat[ional]-Ökonom. Bei Ihrer Erwiderung auf meine ,,Wissenschaftslogik``\IC{\aufgabederlogik} bedaure ich lebhaft, daß Sie anscheinend mein Buch ,,Logische Syntax``\IC{\logischesyntax} noch nicht in Händen haben und darum Ihre Diskussion an jene Broschüre\IC{\aufgabederlogik} angeknüpft haben, die nur eine populäre Darstellung einiger Gedanken des Buches\IC{\logischesyntax} (bes. des Schlußkapitels ,,Philosophie und Syntax``) ist und sich wegen der Unschärfe der Darstellung und bes. der Definitionen (bes. von ,,formale`` u. ,,inhaltl[iche] Redeweise``) gar nicht als Grundlage für eine scharfe Diskussion eignet. Die ,,Syntax``\IC{\logischesyntax} (diesen Terminus habe ich anstelle des früheren ,,Semantik`` genommen) ist das in meinem früheren Brief angekündigte Buch. In ihm glaube ich gezeigt zu haben, daß Syntax Mathematik der Sprachformen, und daß Wissenschaftslogik Syntax der Wissenschaftssprache ist. Damit ist, wie mir scheint, auch Ihre alte Frage beantwortet. Ich hoffe, daß Sie, wenn Sie das Buch\IC{\logischesyntax} gelesen haben werden, nicht mehr meinen werden, daß man ,,mit der gleichen Methode\ldots jedes Realproblem in ein bloßes Bezeichnungs- oder Sprachproblem verwandeln`` kann. Das ist sicherlich nicht der Fall. Nur von \blockade{gewissen} Sätzen der (Wiss[enschafts]-)Logik behaupte ich, daß sie Pseudo-Objektsätze sind; die Sätze der Realwiss[enschaften] sind echte Objektsätze; und zwischen diesen beiden Satzarten kann deutlich unterschieden werden. Ich hatte den Verlag J. Springer\II{\springerverlag} (Wien, I, Schottengasse 4) im Juli gebeten, Ihnen ein Rez.-Ex. der ,,Log. Syntax``\IC{\logischesyntax} für U[nsere] W[elt]\II{\unserewelt} zu schicken. Das scheint er nicht getan zu haben. Er ist überhaupt sehr zurückhaltend mit der Versendung von Rez.-Ex. und begründet das mit früheren schlechten Erfahrungen, indem viele Ex. nicht besprochen worden sind. Falls Sie geneigt sind, das Buch\IC{\logischesyntax} zu besprechen (es genügt ja, wenn Sie einige Hinweise auf das Schlußkapitel geben, ohne daß Sie auf die formal-techn[ischen] Fragen der andern Kap. einzugehen brauchen), so ist es sicher am besten, wenn Sie selbst an Springer\IN{\springerjulius} schreiben, und die Zusicherung geben, daß das Buch\IC{\logischesyntax} besprochen werden wird. Sollte er ablehnen, so schreiben Sie es mir bitte, damit ich dann nochmal einen Versuch mache, ihn zu drängen. Mit besten Grüßen} \grussformel{Ihr\\ \blockade{ksl.}} \ebericht{Brief, msl. Dsl., 2 Seiten\blockade{unklar, wo Seitenumbruch}, \href{https://doi.org/10.48666/855444}{RC 028-04-01}; Briefkopf: msl. \original{Prag, den 2.\,\blockade{November?} 1934 \,/\, Herrn Prof. B. Bavink \,/\, Bielefeld}.}