Du bist nun wohl schon seit längerer Zeit aus England zurück, und ich hoffe, daß Ihr dort schöne Wochen verbracht habt. Es würde mich freuen, gelegentlich ein paar Zeilen von Dir über Deine englischen Erfahrungen zu erhalten.
Ich bin seit einer Woche wieder in Wien nach fünf wahrhaft paradiesischen Wochen auf dem sonnigen Renòn bei Bozen. Ich habe mich dort, in 1200 m Höhe, so strahlend wohl gefühlt wie seit Jahren nicht. Umso schwerer ertrage ich jetzt das städtische Klima, und die ganze Erholung scheint verflogen zu sein.
Dort oben habe ich eine ErwiderungB auf den ArtikelB von C[larence] I[rving] LewisPLewis, Clarence Irving, 1883–1964, am. Philosoph geschrieben, die sich unversehens zu einer zusammenhängenden Darstellung meines Standpunktes in der Grundfrage „Meaning and Verification“ entwickelt hat. Sobald die hochgehenden Wogen des Semesterbeginns sich etwas gelegt haben, will ich das MSB in die Schreibmaschine übertragen, wobei noch einige Umordnungen und wesentliche Kürzungen vorzunehmen sind, und dann werde ich es an LewisPLewis, Clarence Irving, 1883–1964, am. Philosoph zur Publikation senden und Dir auch einen Abzug schicken, der Dir vielleicht bei Deiner eigenen Erwiderung, die Du ja auch schreiben wolltest, nützlich sein kann. Mit Deiner Skizze zu dieser Erwiderung, die Du mir seinerzeit schicktest, bin ich allerdings nicht ganz einverstanden. Die Scheidung des Neopositivismus in einen linken und einen rechten Flügel und Deine Schilderung der Ansichten des letzteren erscheint mir nicht treffend. Mein MSB wird Dir darüber Aufschluß geben. Einen gewissen Raum nimmt darin auch die Erklärung der „prinzipiellen Verifizierbarkeit“ ein. Die Andeutung in Deiner Skizze, daß eine „logisch-mögliche“ Verifikation eine solche sei, deren Bedingungen nicht im Widerspruch zu den bekannten Naturgesetzen stehen, scheint mir ganz abwegig zu sein (oder habe ich falsch verstanden?), denn danach würde es unsinnig sein, ein Naturgesetz zu verneinen – offenbar eine ganz unannehmbare Konsequenz. Logisch-möglich ist gewiß alles zu nennen, was nicht gegen die Syntax verstößt.
Das BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 von PopperPPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper1K. R. Popper: Logik der Forschung. – Wien, 1935. ist im Druck, der Umbruch hat schon begonnen. Es ist eine außerordentlich kluge Arbeit, aber ich kann sie doch nicht mit ganz reiner Freude lesen. Dabei glaube ich sogar, daß er – bei wohlwollender Interpretation – sachlich fast überall recht hat. Aber seine Darstellung erscheint mir irreführend. Denn in dem unbewußten Bestreben, seine eigene Leistung möglichst originell hervortreten zu lassen, macht er aus wirklich ganz unwichtigen, ja teilweise nur terminologischen Abweichungen von unserm Standpunkt prinzipielle Gegensätze (er hält sie wirklich dafür), und dadurch wird die Perspektive ganz verzerrt. Das wird zweifellos in mancher Beziehung schädlich wirken. Während er in Wirklichkeit ganz und gar unserer Richtung angehört, finden sich in seinem Buche viele „antipositivistische“ Bemerkungen, und in den ersten Entwürfen gab er sich teilweise direkt als Anhänger KantsPKant, Immanuel, 1724–1804, dt. Philosoph und der Metaphysik. Die jetzige Fassung ist ja erträglich, aber viele eigensinnige Übertreibungen habe ich doch nicht verhindern können. Mit der Zeit wird sein Selbstbewußtsein schon geringer werden. – Sonst heute nichts wichtiges. Viele herzliche Grüße!