\brief{Olga Neurath an Rudolf und Ina Carnap, 1. Oktober 1934\labelcn{1934-10-01-Neurath-Hahn-an-Carnap-Ina}}{Oktober 1934} \anrede{Liebe Carnappe!} \haupttext{Vor ein paar Tagen rückte mein Mann\IN{\neurath} zu meinem größten Erstaunen mit allerlei Herrlichkeiten an, als da sind Feigen, Nüsse aller Art teils mit teils ohne Schale \& diverse Tabaksorten, die er mir in Eurem Namen überreichte. Ich bin sehr erfreut \& gerührt, aber Ihr habt Euch da wirklich zu verschwenderisch gezeigt, sintemal mir ja schon Ina\IN{\ina} mit etwelchen Haselnüssen ein lekkeres -- das ist holländ[ische] Orthographie -- Mahl bereitet hatte. Seid herzlich bedankt, meine Nagetier- \& Raucherinstinkte sollen sich jetzt gründlich ausleben! Neuigkeiten habe ich nicht zu melden, außer daß mein Mann\IN{\neurath} aus Wien einen Brief von einem Pro[fessor] Nagel\IN{\nagel}, New York, erhielt,\fnE{Ernest Nagel an Otto Neurath, 27.~September 1934, ON 275.} der sich mit der Abschaffung der Atomsätze sehr einverstanden erklärt, die ihn vor allem andern an einem vollkommenen Einverständnis mit den Bestrebungen des Wiener Kreises\II{\schlickzirkel} gehindert hätten. Neider\IN{\neider} hat aus Wien eine Notiz aus der Neuen Zukunft\II{\neuezukunft}, oder wie das Zeug heißt, eingeschickt, worin von einem vollständigen Sieg des Pater Przywara\IN{\przywara}\fnA{\original{Privara}} über die Empiristen gemeldet wird, was eine wenig zutreffende Auffassung der Prager Ergebnisse anzuzeigen scheint.\fnE{Vgl. den Vortrag Przywaras und die dazugehörigen Diskussionsbemerkungen Neuraths beim Prager Kongreß (Przywara, ,,Religion und Philosophie``, bzw. Neurath, ,,[Drei Diskussionsbeiträge zum 8.~Internationalen Kongreß für Philosophie]``, S.~390\,/\,GphmS 767.} Leider habe ich diese Notiz noch nicht vorgelesen bekommen, kann also nichts Genaueres berichten. Daß in Wien die psychoanalytische Zeitschrift\II{\psychoanalytzeit} verboten worden ist, wißt Ihr vielleicht auch noch nicht.\fnE{Gemeint ist möglicherweise die 1933 zuletzt erschienene Zeitschrift \textit{Psychoanalytische Bewegung}, \textit{Imago} erschien bis 1937.} Die Brünner A[rbeiter] Z[eitung]\II{\arbeiterzeitungbruenn} schnaubt sich darüber aus \& kommt dabei wieder auf die Kulturschande zu sprechen, die mit der Auflösung des Vereines Ernst Mach\II{\machverein} verbunden ist.\fnE{Möglicherweise gemeint: ,,Dollfuß gegen -- Ernst Mach``, \textit{Arbeiter-Zeitung}, 1. Jahrgang, Nr.~8 vom 15.~April 1934, S.~4f.} Sonst weiß ich wenig weltgeschichtliche Ereignisse, da unser Rotterdamscher Koerantt\II{\nieuwe}\fnE{Gemeint ist wohl die Tageszeitung \textit{Nieuwe Rotterdamsche Courant}.} sich vorzugsweise mit hiesigen Flottenmanövern \& Ausflügen der Prinzessin Juliana beschäftigt. Daß Prof. Mannoury\IN{\mannoury} uns seine diversen Auseinandersetzungen mit seinen östlichen Freunden geschickt hat, war für uns sehr interessant.\fnE{Gemeint ist Mannoury's 1929 erfolgter Ausschluss aus der Kommunistischen Partei; vgl. dazu Stegeman, ,,Socialism, Significs and Mathematics``, sowie Carnaps Aufzeichungen über sein erstes Treffen mit Mannoury (TB 19.9.1934).} Er redet sehr offen \& unerschrocken \& verteidigt die Gedankenfreiheit, ein zwar anerkennenswertes, aber durchaus aussichtsloses Unternehmen. Die Sache ist zum Teil ganz witzig verfaßt, aber ich weiß nicht, wieweit eine Wiedergabe opportun wäre. Sonst ist es hier sehr still geworden, da der Sohn\IN{\neurathsohn} zwei Tage nach Euch sich auf die Beine gemacht hat. Nun, ich hoffe, man sieht sich doch in absehbarer Zeit wieder, jedenfalls war es sehr nett, daß Ihr da gewesen seid. Rauchend \& knabbernd gedenkt Euer in Freundschaft} \grussformel{Eure\\O.} \ebericht{Brief, msl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/828776}{RC 029-20-03}; Briefkopf: msl. \original{den Haag, 1.10.}, ksl. ergänzt durch \original{34 nach London}. Dieser Brief wurde erst am 6.~Oktober gemeinsam mit dem nächsten Brief Neuraths versendet.}