\brief{Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 24. Juli 1934}{Juli 1934} %Millstatt (Kärnten) 24. Juli 1934. %Pension Grossegg \anrede{Lieber Carnap,} \haupttext{vielen Dank für Deinen Brief vom 29.\,Juni. Entschuldige bitte, daß ich erst jetzt antworte, aber die letzten Wochen vor der Abreise waren wieder einmal schrecklich; allein die Doktorprüfungen hätten einen zur Verzweiflung bringen können. Ich bin äußerst nervös und erschöpft gewesen; in der letzten Woche war ich noch damit beschäftigt, den in Prag\II{\kongressphilosophieprag} zu haltenden Vortrag für die Publi[k]ation\IW{} niederzuschreiben -- eine höchst langweilige Arbeit. Seit vorgestern bin ich mit meiner ganzen Familie\IN{\schlickfrau} \IN{\schlickalbert} \IN{\schlickbarbara} hier, außerdem mit einem jungen Franzosen, den wir bei uns aufgenommen haben, damit meine Tochter\IN{\schlickbarbara} dann einige Zeit mit seiner Familie verbringen kann. Sie wird von hier im Automobil abgeholt und teils in Paris, teils auf einem Landsitz in der Nähe von Paris den Rest der Ferien zubringen. Mein Sohn\IN{\schlickalbert} hat vor drei Wochen seine Schlußprüfung als Ingenieur gemacht und ist dabei, sich von dem wirklich aufreibenden Studium zu erholen; zum 1.\,Oktober hat er eine provisorische Stellung in Aussicht. Ich selbst habe eine Erholung auch \uline{sehr} nötig, hoffe aber trotzdem viel hier arbeiten zu können. Wie Du siehst, habe ich sogar meine Schreibmaschine mitgebracht. In Wien war es zum Schluß heiß und aufregend. Wittgenstein\IN{\wittgenstein} kam diesmal spät von England, und ich habe nicht viel mit ihm sprechen können. Die letzte Entwicklungsphase des Waismannschen\IN{\waismann} Buches\IW{\waismannbuch} ist die, daß es gar nicht von ihm, sondern von Wittg[enstein]\IN{\wittgenstein} selbst geschrieben werden wird! Ich weiß noch nicht, wie Waismann\IN{\waismann} diese neue Wendung aufnimmt, da ich ihn nur telephonisch sprechen konnte. Ich bitte Dich, vorläufig noch nichts darüber zu sprechen, da dies mögl[i]cherweise doch noch nicht die letzte Phase der Angelegenheit ist un[d] ohnehin schon so viel Gerüchte über das unglückliche Buch\IW{\waismannbuch} verbreitet worden sind. Mit Morris\IN{\morris} habe ich in Wien mehrmals gesprochen. Mein Eindruck ist: die richtige ,,Professorenphilosophie`` -- if you know what I mean. Persönlich ist aber M[orris]\IN{\morris} sehr nett, auch seine Frau\IN{\morrisfrau}. Er hat bei Waism[ann]\IN{\waismann} ,,Unterricht`` genommen, dabei aber scheinbar weniger das Bedürfnis gehabt, zuzuhören als zu diskutieren. Vielen Dank noch für das Heft\,3 der ,,Einheitswiss[enschaft]``\II{\einheitswissenschaftschriftenreihe}, das Du mir durch Gerold\II{} senden ließest. Es ist höchst lobenswert in seiner Klarheit und Kürze und kann sehr günstig wirken, wenn es fleißig gelesen wird. Was das MS\IW{} von Juhos\IN{\juhos} betrifft, so steht es damit so: Daß ich mit dem Inhalt einverstanden sei, ist etwas zu viel gesagt. Die Arbeit hat mir aber als Talentprobe recht gut gefallen, und ich habe dies Juhos\IN{\juhos} ermutigend mitgeteilt. Ich glaube auch, daß er manches ganz richtig gesehen hat und daß man die Arbeit ganz wohl (gekürzt?) in der ,,Erk[enntnis]``\II{\erkenntnis} publizieren könnte; sie hat dieselben Fehler wie seine früheren Arbeiten: J[uhos]\IN{\juhos} ist ein Eigenbrötler, der die Dinge in falscher Perspektive sieht, weil er auf allerlei Unterscheidungen herumreitet, die man wohl machen kann, die aber unwichtig sind, von ihm jedoch für das Wesentliche gehalten werden. Auf gesundes Wiedersehen in Prag! Viele Grüße Dir und Deiner Frau\IN{\ina}!} \grussformel{Dein\\ M. Schlick} \ebericht{Brief, msl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/870743}{RC 029-28-07 (Dsl. MS 95/Carn-52)}; Briefkopf: msl. \original{Millstatt (Kärnten) 24.\,Juli 1934 \,/\, Pension Großegg}.}