Hans Reichenbach an Rudolf Carnap, 14. Juli 1934 Juli 1934

Lieber Carnap‚

ich habe Ihre Briefe vom 8. 6. und 22. 6. noch nicht bestätigt und hole das hiermit nach.

1. Die AbhandlungenB von CantorPCantor, Georg, 1845–1918, dt. Mathematiker schicke ich Ihnen beifolgend; es wäre sehr gut, wenn Sie die RezensionB bald schreiben könnten. Ich hatte diese Sache vergessen. Einliegend ein Brief von KaufmannPKaufmann, Felix, 1895–1949, öst.-am. Philosoph, verh. mit Else Kaufmann, in dem er vorschlägt, HusserlsPHusserl, Edmund, 1859–1938, dt. Philosoph Meditations cartésiennesB zur Besprechung an Dr. RönauPRönau, Dr., Wien, Wien VIII, Josefstädterstrasse 9, zu geben. Kennen Sie diesen Mann? Kann er eine Rezension von HusserlsPHusserl, Edmund, 1859–1938, dt. Philosoph BuchB in unserem Sinne schreiben? KantsPKant, Immanuel, 1724–1804, dt. Philosoph „Biologie der Ethik“B geht an HerzbergPHerzberg, Alexander, 1887–1944, dt.-brit. Mediziner und Philosoph. Wir haben nun noch immer keine Rezension von SchlicksPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick „Ethik“BSchlick, Moritz!1930@Fragen der Ethik, Wien, 1930. Haben Sie hierfür jemanden vorzuschlagen? Evtl. fragen Sie einfach SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick selbst. Wer soll FranksPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank „Kausalgesetz“BFrank, Philipp!1932@Das Kausalgesetz und seine Grenzen, Wien, 1932 referieren? Ich selbst möchte es nicht gern, weil ich vermeiden möchte, daß wir unsere persönliche Diskussion über diese Dinge in der Form von Besprechungen ausführen.

2. Aus dem gleichen Grunde möchte ich Ihre „Syntax“B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 nicht gern besprechen. Ich habe das Gefühl, daß es richtiger ist, wenn wir uns über unsere Meinungen privatim aussprechen, als wenn wir Besprechungen schreiben, in denen u[nter] U[mständen] irgendein Gegensatz eine größere Bedeutung gewinnen könnte als er in Wirklichkeit hat. Ich wollte Ihnen lieber vorschlagen, daß wir unsere beiden neuen Bücher persönlich geschenkweise austauschen. Mein WahrscheinlichkeitsbuchB ist nämlich jetzt auch im Druck und soll bis zum Prager KongreßIInternationaler Kongress für Philosophie@8. Internationaler Kongress für Philosophie, Prag, 2.-7.IX.1934 herauskommen; es erscheint im Verlag SythoffIVerlag Sythoff, Leiden in Leiden, in deutscher Sprache. Daß JörgensenPJörgensen, Jörgen@Jørgensen, Jørgen, 1894–1969, dän. Philosoph Ihr BuchB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 für die ErkenntnisIErkenntnis, Zeitschrift bespricht, ist sehr schön.

3. An DörgePDörge, Karl, 1899-1975, dt. Mathematiker habe ich geschrieben. Ich möchte sein Ms.B bringen, obgleich ich es sachlich nicht für richtig halte. Aber D[örge]PDörge, Karl, 1899-1975, dt. Mathematiker hat gute mathematische Arbeiten zur Wahrscheinlichkeitsrechnung gemacht und sollte zur Darlegung seiner philosophischen Ansichten Gelegenheit in unserer ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift haben. Ich habe übrigens mit ihm schon mehrfach über seine Auffassung diskutiert und ihm gesagt, daß ich sein „Anwendungsaxiom“ einerseits als wahrscheinlichkeitstheoretisch nicht zu rechtfertigen, weil zu 🕮 weitgehend, ansehe, daß es aber andererseits für das Anwendungsproblem nicht das Geringste nützt, da es dazu viel zu wenig behauptet.

4. Das Ms.B von IchheiserPIchheiser, Gustav, 1897–1969, poln.-öst.-am. Psychologe und Soziologe würde ich ganz gern durchsehen.

5. Den Umbruch von Heft IV‚ 2 haben Sie wohl erhalten; es kommen dort hinein: SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy SchlickB, Ajdukiewicz IPAjdukiewicz, Kazimierz, 1890–1963, poln. PhilosophB, Penttilä IIPPenttilä, Aarni, 1899-1971, finn. LinguistB, VogelPB. In Heft 3 muß ich nun unbedingt einen anderen Themenkreis nehmen, da mir MeinerPMeiner, Felix, 1883–1965, dt. Verleger schon (und mit Recht) Vorwürfe wegen Vernachlässigung der Biologie macht. Wir müssen da auf unseren Abonnentenkreis, unter dem sich viele Ärzte befinden, Rücksicht nehmen. Ich will deshalb in Heft IV‚ 3 JensenPB und JordanPJordan, Pascual, 1902–1980, dt. PhysikerB nehmen. JordanPJordan, Pascual, 1902–1980, dt. Physiker, der bekannte Quantenphysiker, der mit BornPBorn, Max, 1882–1970, dt. Physiker das BuchB geschrieben hat, kommt zum Schluß in der Formulierung des Außenweltproblems zu einer Behauptung, die mit Ihrer Auffassung wörtlich identisch ist. Er hatte auf diese Übereinstimmung aber gar nicht hingewiesen. Ich habe ihn deshalb in freundlicher Form auf die Übereinstimmung hingewiesen; er hat dann in sehr freundlicher Weise eine Einschaltung in der Einleitung seines Aufsatzes gemacht, in der er auf die Übereinstimmung mit unserer Richtung hinweist.

Dadurch kommt nun Ajdukiewicz IIB nicht mehr in dieses Heft, das sonst zu groß würde. Ich will ihn dann in das folgende Heft nehmen. Seinem Wunsch um baldige Veröffentlichung ist ja dadurch entsprochen worden, daß wenigstens der erste Aufsatz inzwischen erscheint. Auch werde ich die weiteren Hefte beschleunigt jetzt herausbringen.

6. Von RadlPRadl@Rádl, Emanuel, 1873–1942, tschech. Biologe und Philosoph hatte ich noch einen Brief, in dem er mich zur Teilnahme an der Diskussion aufgefordert hat. Ich habe gern zugesagt.

7. NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath schrieb mir über den geplanten Kongreß in MarienbadI. Ich habe ihm geantwortet, daß ich nicht gern, wie er vorschlägt, über das Raumproblem sprechen möchte, weil mir dies Problem für unseren kleinen Kreis ungeeignet erscheint. Über das Raumproblem sind wir uns ja alle einig, und es gibt deshalb nicht so recht was zum Diskutieren. Wenn man aber schon zusammenkommt, wird man sich lieber über aktuelle Fragen unterhalten. Besonders mit den polnischen Logikern wird man sich gern über mehrwertige Logik unterhalten. Über das Raumproblem könnte ich später in Paris ein Referat halten, das mehr für die Öffentlichkeit eines größeren Kongresses geeignet ist.

8. Den Alpenplan habe ich aufgegeben, weil ich hier jetzt das Meer schätzen gelernt habe; ich habe jetzt ein Segelboot und verlebe schöne Tage auf dem Marmarameer. Wir werden uns also wohl erst in Marienbad treffen.

Herzliche Grüße

Ihr
[Hans Reichenbach]

Auch von Kaufman!ahsl.🕮

Eben kommt Ihr Brief vom 10. 7. Es ist mir sehr recht, wenn Sie das Ms. von JuhosPJuhos, Béla, 1901–1971, ung.-öst. Philosoph „Der Zufall als praktische und methodische Voraussetzung“B ablehnen. Wir haben in der Tat genug von ihm gebraucht und seine Sachen sind nicht allzu tief.

NeurathsPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath Broschüre „Psychologie und Einheitswissenschaft“B habe ich noch nicht gesehen. Bitte machen Sie mir einen Vorschlag für einen Referenten.

Brief, msl. Dsl., 3 Seiten, HR 013-41-25; Briefkopf: msl. Prof. Hans Reichenbach  /  Istanbul-Kadiköy, 14. 7. 34  /  Mühürdar Caddesi  /  Nazli Hanim Ap.  /  Herrn Professor Dr.Rudolf Carnap  /  Prag XVII, Pod Homolkou 146.


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