Carnap an Neurath, Prag, 8. Juni 1934 Rudolf Carnap an Otto Neurath, 8. Juni 1934 Juni 1934

Lieber Neurath!

Einen Aufsatz von Dir nehme ich gern, für die „Philosophy of ScienceIPhilosophy of Science, Zeitschrift. MalisoffPMalisoff, William, 1895–1947, russ.-am. Philosoph hat damals meinen AufsatzB1934@„On the Character of Philosophic Problems“, Philosophy of Science 1 (1), 1934, 5–19 sehr schlecht über­setzt. Es wäre deshalb gut, wenn Du mir das MS schon in Englisch schicken könntest. (Oder vielleicht zunächst mal im deutschen Original, wenn Dir Bemerkungen und Änderungsvorschläge erwünscht sind). Ein Thema in der von Dir vorgeschlagenen Richtung (historischer Ausblick über Einheitswissenschaft usw.) scheint mir sehr geeignet.

Von NeiderPNeider, Heinrich, 1907–1990, öst. Verleger habe ich merkwürdigerweise noch keine Korrektur bekommen, obwohl ich das MSB1934@„Die Aufgabe der Wissenschaftslogik“, Einheitswissenschaft Heft 3, 19341Carnap, Die Aufgabe der Wissenschaftslogik. schon am 15. Mai hingeschickt habe.

SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick hat wieder geschrieben. Er hatte nur schnell in der Korrektur einiges geändert (anscheinend doch nur wenig, er schreibt nicht, was); Deine Hinweise konnte er nicht mehr verwerten. Er schreibt auf meine briefliche Bemerkungen: „Ich habe nie daran gezweifelt, daß Neurath es ablehnen würde, als Anhänger der üblichen Kohärenztheorie zu gelten; aber ich wollte auch nur behaupten, daß aus seinen Äußerungen, wenn man sie ernst nimmt, die Kohärenz-Theorie folge. Ich nahm an, daß ihm das selbst noch nicht klar sei, weil seine Gedanken zu undeutlich sind; sonst hätte er wohl kaum ReiningerPReininger, Robert, 1869–1955, öst. Philosoph zustimmend zitieren können. Ich habe ja angedeutet, daß die ganze Diskussion mir abwegig und wenig interessant erscheint; nur scheint es mir verfehlt, einfach alle Sätze als Hypothesen anzusehen; dies halte ich allein für wichtig, und darauf allein liegt der Ton in meinem AufsatzB.“

Ich weiß nicht, wer Anhänger der Kohärenz-Theorie ist. Aus dem Zusammenhang des SchlickschenPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick AufsatzesBSchlick, Moritz!1934@„Über das Fundament der Erkenntnis“, Erkenntnis 4, 1934, 79-99 und der Bedeutung des Wortes habe ich angenommen, daß eine Theorie gemeint ist, die als Wahrheitskriterium nur die Verträglichkeit der Sätze untereinander nimmt. Das genügt wohl; ich glaube, daß es nicht nötig ist, auf die Philosophen, die einmal so etwas vertreten haben, einzugehen.

Ich messe keineswegs mit doppeltem Maß. Die Bemerkung von vorzeitiger Veröffentlichung bezieht sich auf unser beider AufsätzeB1932@„Über Protokollsätze“, Erkenntnis 3, 1932/33, 215–228BNeurath, Otto!1932@„Protokollsätze“, Erkenntnis 3, 1932/33, 204-214; aber nicht auf die über die allgemeinen Probleme des Physikalismus, sondern auf die über Protokollsätze. Dieses Problem scheint mir (sogar heute noch) nicht hinreichend klar. Dieses Problem, meinte ich, hättest Du noch nicht in vollem Umfange aufrollen sollen, bevor wir selbst uns wenigstens halbwegs klar darin sind. Im übrigen stimme ich Dir zu, daß man nicht bis zur klassischen Abklärung warten soll. Aber den richtigen Punkt in der Mitte zwischen den beiden Extremen schätzen wir wohl, unserm verschiedenen Temperament entsprechend, verschieden ab.

Inbezug auf die Geldüberweisung durch HahnsPHahn, Hans, 1879–1934, öst. Mathematiker, Bruder von Olga Neurath, verh. mit Eleonore Hahn Vermittlung wäre es mir lieber, wenn Du selbst zunächst ihn um seine Einwilligung fragen würdest.

Springer hat leider den Druck der „Syntax“B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 (wegen der schwierigen Verhandlungen um eine englische Übersetzung) sehr verzögert. Ich hoffe aber, es kann jetzt in 2 Wochen etwa erscheinen. Für Dich war selbstverständlich ein Freiexemplar vorgemerkt. Wenn Du es aber doch rezensieren willst, so wäre es mir sehr lieb, wenn ich dadurch ein Exemplar sparen könnte, da ich eh knapp daran bin und sie teuer zukaufen muß. Weißt Du irgendeine Zeitschrift, die inbetracht käme? Am besten eine soziologische, da ich an diese sonst wohl kaum herankäme. Andererseits ist es vielleicht fraglich, ob die eine Rezension über etwas Logisches nehmen wollen. Wenn Du Beziehung zu einer hast, ist es am besten, wenn der Herausgeber ein Rezensionsexemplar von Springer anfordert. Wegen Rezension Deines BuchesBNeurath, Otto!1931@Empirische Soziologie. Der wissenschaftliche Gehalt der Geschichte und Nationalökonomie, Wien, 19312Neurath, Empirische Soziologie. werde ich FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank erinnern.

Euch allen herzliche Grüße‚aHsl. Einschub.

Dein
Carnap

Brief, msl., 1 Seite, ON 219 (Dsl. RC 029-10-61); Briefkopf: gedr. Prof. Dr. Rudolf Carnap\,/\,Prag XVII.\,/\,N. Motol, Pod Homolkou, msl. Prag, den 8. Juni 1934.


Processed with \(\mathsf{valep\TeX}\), Version 0.1, May 2024.