besten Dank für Deinen Brief vom 13., der sich mit meinem gekreuzt hat. Ja, ich glaube auch, daß unsere Differenzen inbezug auf die Frage des Wahrheitskriteriums nicht so groß sind, wie Du geglaubt hast, und freue mich, daß auch Du jetzt diesen Eindruck hast. Ich glaube, ich habe auch die Rolle der eigenen Wahrnehmungen hervorgehoben (Erk.IErkenntnis, Zeitschrift 3, S. 227‚B1932@„Über Protokollsätze“, Erkenntnis 3, 1932/33, 215–228 der Abschnitt „Hiermit hängt … “); es mag aber sein, daß diese Hervorhebung von Deinem Gesichtspunkt aus noch nicht genügend erscheint. Meine Hauptbedenken gegen Deine Auffassungen richten sich nicht auf diesen Punkt, sondern auf den seltsamen Charakter der „Konstatierungen“. Besonders ist mir unklar, wie die Ableitung solcher Sätze, in denen „hier“ und „jetzt“ vorkommt, und zu denen wesentlich hinweisende Gebärden gehören, aus einer nachzuprüfenden Hypothese aussehen soll; diese Ableitung ist ja für die Nachprüfung sicherlich erforderlich. Ich weiß aber nicht, ob es Dir möglich sein wird, in der Korrektur durch eine kurze Einfügung diesen Punkt etwas klarer zu machen. Noch eine Bemerkung zur Terminologie: Du verwendest die drei Ausdrücke „Fundamentalsätze“, „Beobachtungssätze“, „Konstatierungen“, wenn ich recht verstanden habe, als gleichbedeutend? Wenn ja, wäre es vielleicht besser, nur einen dauernd zu verwenden und die beiden andern höchstens einmal nebenher zur Erläuterung; wenn nein, wäre Angabe des Unterschiedes der Bedeutungen erwünscht.
Was NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath angeht, so glaube ich, daß er die Kohärenztheorie sicherlich nicht akzeptiert. Ich muß aber zugeben, daß manche seiner Formulierungen leider so gedeutet werden könnten (was mir selbst auch schon gleich aufgefallen ist). Aber wenn er sagt „Sätze werden nur mit Sätzen verglichen“ oder dgl., so meint er es doch wohl nicht als Wahrheitskriterium. Er steht durchaus auf dem Boden des Empirismus. Die Differenz zwischen gegen Deine Auffassung liegt darin, daß bei ihm alle Sätze Hypothesen und daher widerrufbar sind.
Falls Du noch andere Änderungen vornimmst, die den Inhalt berühren, kannst Du sie mir vielleicht mitteilen? Oder, wenn es zu umständlich ist, warte ich mit dem Schreiben meiner Erwiderung, bis die Umbruchabzüge vorliegen.
Nachdem ich schon glaubte, mit SpringerPSpringer, Julius der Jüngere, 1880–1968, dt. Verleger in der Frage der englischen Übersetzung fast ganz einig zu sein, kam jetzt auf einmal ein ziemlich heftiger Brief, in dem er sogar mit der Zurückziehung des BuchesB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 droht. Das ist ja eigentlich unerhört. 🕮 Aber ich habe es vermieden, ebenso heftig zu antworten. Beiliegend Abschrift seines Briefes und meiner Antwort. Vielleicht kannst Du ihm durch einen Anruf etwas zureden, damit wir endlich zu einer Einigung kommen? Mir liegt deshalb so viel am Erscheinen der englischen Ausgabe spätestens im Frühjahr 1935, weil trotz der freundlichen Bemühungen von LewisPLewis, Clarence Irving, 1883–1964, am. Philosoph und andern kaum mehr Aussicht für eine Einladung nach Amerika für Herbst 1934 vorhanden ist; ich will daher alles tun, was eine Einladung für Herbst 1935 fördern kann.
FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank scheint es schon etwas besser zu gehn. Er liegt aber noch immer in Gips (es handelt sich um doppelten Schienbeinbruch) und schreibt, daß er lange Nachbehandlung brauchen wird. Ob er noch vor dem Sommer nach England reisen wird, ist sehr zweifelhaft. Er wollte hauptsächlich hin, um EinsteinPEinstein, Albert, 1879–1955, dt.-am. Physiker, verh. mit Else Einstein und HeisenbergPHeisenberg, Werner, 1901–1976, dt. Physiker zu treffen; die wird er aber jetzt schon versäumt haben.
Mit herzlichen Grüßen, auch von InaPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap‚