\brief{Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 10. Mai 1934}{Mai 1934} %[Wien] 10. Mai 1934. \anrede{Lieber Carnap,} \haupttext{vielen Dank für Deinen Brief, der sich mit dem meinigen kreuzte. Es freut mich, daß Du nach England reisen wirst, und daß Deine Syntax\IC{\logischesyntaxenglisch} übersetzt wird. Es versteht sich von selbst, daß ich auf irgendeine Herausgeber-Entschädigung keinen Anspruch erhebe. Dein Honorar ist ja ohnehin gering, und ich habe ja in der Angelegenheit weiter nichts geleistet. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß Du meinen kleinen Aufsatz\IW{} an Meiner\II{\meinerverlag} geschickt hast. Hoffentlich war er nicht zu flüchtig geschrieben: es war, wie Du wohl bemerkt hast, eine erste, völlig unkorrigierte Niederschrift. Den Vortrag über Naturwissenschaft und Philosophie\IW{}\fnE{M. Schlick: Erkenntnistheorie und moderne Physik. -- In: Scientia 45 (1929). -- S. 307 -- 316.} aus dem Jahre 29 sende ich Dir nächstens. Ich besitze ihn nur in Form von Druckfahnen; da der Satz inzwischen auseinandergenommen und ein MS nicht mehr vorhanden ist, so möchte ich zuerst eine Abschrift herstellen lassen, was ohnehin nötig ist, da einige Änderungen gemacht werden müssen an einigen Stellen, die nur bei der ursprünglich beabsichtigten Publikationsform Sinn gehabt hätten. Waismann\IN{\waismann} hat Dir wohl über das neuerliche Schicksal seines Buches\IW{\waismannbuch}\fnE{F. Waismann: Logik, Sprache, Philosophie. -- Stuttgart, 1976.} erzählt: es ist eine unglückselige Angelegenheit, aber man kann wenigstens sagen, daß das Buch\IW{\waismannbuch} jetzt entweder im Sommer mit Wittgensteins\IN{\wittgenstein} Hilfe fertig gemacht wird oder überhaupt ungedruckt bleibt. So wird man auf jeden Fall klar sehen. Wittg[enstein]s\IN{\wittgenstein} eigenes MS\IW{}, von dem ich einen großen Teil in Verwahrung habe, ist höchst genial; es räumt wirklich mit den philosophischen Problemen auf ohne jede formale Vorbereitung und besonderen technischen Hilfsmittel. Eigentlich tut es mir schon leid, daß ich meine Teilnahme am Prager Kongreß\II{\kongressphilosophieprag} zugesagt habe, aber mein Vortrag über den Begriff der ,,Ganzheit``\IW{\schlickganzheit}\fnE{M. Schlick: Über den Begriff der Ganzheit. -- In: Erkenntnis 5 (1934). -- S. 52 -- 55 (später auch in anderen Ausgaben erschienen).} ist nun schon angemeldet, und so muß ich ihn wohl ausarbeiten und auch selbst kommen. Menger\IN{\menger}, der ein originelles jetzt bei Springer\II{\springerverlag} erscheinendes kleines Buch zur Grundlegung einer Logik der Sitten (dies ist der Untertitel)\IW{\mengerbuch}\fnE{K. Menger: Moral, Wille und Weltgestaltung. Grundlegung zur Logik der Sitten. -- Wien, 1934.} geschrieben hat, möchte gern in Prag \textkritik{auf dem Kongreß\II{\kongressphilosophieprag}}\fnA{Hsl. Einfügung} sprechen, wenn er eine besondere Einladung dazu erhält. Ich habe deswegen heute an R\'{a}dl\IN{\radl} geschrieben; vielleicht kannst Du aber auch noch etwas in der Richtung tun. Mein Aufenthalt in Süditalien war märchenhaft und hat mir auch körperlich unendlich gut getan. Leider hat die Reise jetzt sehr peinliche Nachspiele; die neidische Gesellschaft reagiert ja meist unangenehm, wenn sie merkt, daß man sich über ihre Regeln hinweggesetzt hat. Aber reden wir nicht davon. Auf Deine Frage betreffend G[eorge] E[dward] Moore\IN{\moore} möchte ich doch die Lektüre seiner gesammelten Abhandlungen empfehlen. Ihr Vorteil besteht darin, daß sie in einem grund\uline{ehrlichen} Bemühen geschrieben sind, was leider bei philosophischen Schriftstellern selten ist. Sicherlich hat C[larence] I[Irving] Lewis\IN{\lewis} seinen Aufsatz ,,Experience and Meaning``\IW{} auch Dir geschickt. Falls Du darauf zu antworten wünschest, schreibe es mir bitte \uline{gleich}; sonst möchte ich es nämlich tun, am besten auch \neueseite{} in der Philosophical Review\II{}. Ich lese jetzt mit viel Vergnügen ein dreistündiges Kolleg über Philosophie der Kultur und Geschichte, außerdem zweistündig über Gegenwartsfragen der Naturphilosophie. Letzteres macht mir wegen der nötigen physikalischen Studien ziemlich viel Mühe. Sonst weiß ich nichts Neues. Mit vielen Grüßen für Dich und Deine Frau\IN{\ina}, und auch für Franks\IN{\frankphilipp} \IN{\frankphilippfrau},} \grussformel{Dein\\ Schlick} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/870763}{RC 029-28-17 (Dsl. MS 95/Carn-50)}; Briefkopf: gestempelt \original{Prof. Dr. Moritz Schlick \,/\, Wien IV. \,/\, Prinz-Eugen-Str. 68}, msl. \original{10.\,Mai 1934}.}