Carnap an Neurath, Prag, 7. Mai 1934 Rudolf Carnap an Otto Neurath, 7. Mai 1934 Mai 1934

Lieber Neurath!

Besten Dank für Deine Briefe vom 25. und 30. IV. Heute schicke ich Dir nun mein MSB1934@„Die Aufgabe der Wissenschaftslogik“, Einheitswissenschaft Heft 3, 1934 wieder zu.1Carnap, Die Aufgabe der Wissenschaftslogik. Du siehst, daß ich doch in den meisten Punkten Deine Vorschläge angenommen habe. SchlicksPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick ErkenntnislehreBSchlick, Moritz!Allgemeine Erkenntnislehre, Springer, Berlin 1918 und meinen AufbauB1928@Der logische Aufbau der Welt, Berlin-Schlachtensee, 1928 sehe ich nicht als nur noch historisch zu werten an; ich habe aber bei beiden einen warnenden Zusatz gemacht. Kommt Dein Aufsatz über symbolische GleichheitBNeurath, Otto!„Definitionsgleichheit und symbolische Gleichheit“, in: Archiv für Philosophie, 2. Abteilung: Archiv für systematische Philosophie für dieses Verzeichnis in Betracht?2Neurath, „Definitionsgleichheit und symbolische Gleichheit“. Kannst Du mir nicht mal leihweise für ganz kurze Zeit ein Exemplar davon schicken? Ich komme hier fast nie auf die Bibliothek …Ebenfalls im Hinblick auf die Laien hab ich die WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph-Sache ganz kurz gemacht; interessiert doch nur die Eingeweihten. Ich habe auf die Stelle in meiner „Syntax“B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 verwiesen; dort stehen ja die WeylPWeyl, Hermann, 1885–1955, dt.-am. Mathematiker und Physiker-Zitate; ich denke, das genügt.3Carnap, Die Aufgabe der Wissenschaftslogik, S. 24f; verwiesen wird dort auf Carnap, Logische Syntax der Sprache, S. 139. Der Anhang ist nun doch sehr lang geworden. Vielleicht sollten wir da doch Petit nehmen?

Deiner Antwort auf ReachPReach, Karel, 1900–1944, tschech. Philosoph habe ich schon hier zugestimmt. (Allerdings müßte zunächst mal genauer angegeben werden, wie die metaphysische Sprache gemeint ist).

Inbezug auf Empirismus sind wir wohl einig: er fordert, daß jeder synthetische Satz so beschaffen ist, daß aus ihm samt andern geeigneten Sätzen Beobachtungssätze ableitbar sind. Dagegen muß, glaube ich, nicht bei jeder Nachprüfung eines Satzes bis zu den Beobachtungssätzen heruntergegangen werden, sondern man kann auch bei irgendwelchen andern stehen bleiben, also sie als Protokollsätze nehmen.

SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick hat ein neues MSBSchlick, Moritz!1934@„Über das Fundament der Erkenntnis“, Erkenntnis 4, 1934, 79-99 für die „ErkenntnisIErkenntnis, Zeitschrift geschickt: „Über das Fundament der Erkenntnis“. Es ist nicht so unklar wie seine Äußerungen im ZirkelISchlick-Zirkel, Wiener Kreis, aber doch einiges ziemlich bedenklich. Vielleicht schreibe ich eine Erwiderung darauf. 🕮

Ich schicke Dir in den nächsten Tagen das Vorwort zur „Syntax“B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934. Bitte schicke es mir möglichst bald mit Randbemerkungen zurück, SpringerISpringer Verlag drängt schon. Wenn ich über so allgemeine Dinge schreiben soll, ist mir Deine Meinung immer besonders wichtig.

HeurteursPHeurteur, Richard, Drucker im Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in WienPHeurteur, Frau von Richard Heurteur sind am 3. nun doch in ein Lager überstellt worden: Volary-Wallern, Sporthotel.1Dabei handelte es sich um ein Auffanglager für aus politischen Gründen nach den Februarkämpfen aus Österreich Emigrierte.

Der SohnPNeurath, Paul, 1911–2001, öst.-am. Soziologe, Sohn von Anna Schapire-Neurath (1877–1911) und Otto Neurath hat sich sehr nett und sehr manierlich betragen, war sogar einen Tag länger hier, da ihn ein Radiovortrag in Moskau: Die Bolschewiki und die Einheitsfront, dazu verlockt hatte. Er hat sogar eine Dankkarte geschrieben und sich jedenfalls 🕮{}allseitig nett benommen.

Man hört, daß ReachPReach, Karel, 1900–1944, tschech. Philosoph sich bei KrausPKraus, Oskar, 1872–1942, tschech. Philosoph habilitieren wollen solle. Er strotzt auch schon von Brentanotischer Terminologie.

Unsere besten Wünsche zu Deinem Neuaufbau. Es ist immer erfreulich, in Deinen Briefen zu lesen, daß Du Dich wieder in die Wogen stürzest und nicht still und einsam am Hungertuch nagst. Grüß OlgaPNeurath, Olga, 1882–1937, geb. Hahn, auch Neuräthin und Peterl, öst. Philosophin und Mathematikerin, verh. mit Otto Neurath, Schwester von Hans Hahn und Louise Fraenkel-Hahn und die ReidemeisterinPNeurath, Marie, 1898–1986, geb. Reidemeister, auch Reidemeisterin, Mieze, MR, Mary, dt.-brit. Pädagogin und Sozialwiss., Schwester von Kurt Reidemeister, heiratete 1941 Otto Neurath von uns beiden!

Gute Grüße von uns beiden!

Dein
Carnap

Brief, msl., 3 Seiten, ON 219 (Dsl. RC 029-10-70); Briefkopf: gestempelt Prof. Dr. Rudolf Carnap\,/\,Prag XVII.\,/\,N. Motol, Pod Homolkou, msl. Prag, den 7. Mai 1934.


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