In der ihrem letzten Brünner VortrageB folgenden Diskussion hatte ich nicht die Möglichkeit bis zu denjenigen Punkt vorzudringen, wo für mich der einzige unklare Punkt der Auffassungen des Wiener KreisesISchlick-Zirkel, Wiener Kreis liegt. Ich gestatte mir dies bezüglich eine schriftliche Anfrage an Sie zu richten, weil die hier aufgeworfene Frage nicht nur für mich und meine Freunde geradezu ausschlaggebend unsere Stellung zum „Wiener Kreis“ISchlick-Zirkel, Wiener Kreis beeinflußt (nämlich darüber entscheidet, ob wir die von ihm vertretenen Anschauungen als Ganzes übernehmen können oder den Kern derselben übernehmend eine Korrektur für unvermeidlich halten.). In vielen Diskussionen, in welchen ich die Anschauungen des Wiener KreisesISchlick-Zirkel, Wiener Kreis, so gut ich sie verstehe, vertreten habe, gewann ich den Eindruck, daß hier eine Frage vorliegt, die genug allgemeines Interesse verdient, um klar beantwortet zu werden. Ich bin auch der Überzeugung, daß eine entsprechende Beantwortung dieser Frage geeignet wäre, manche Zweifel zu beheben und den Ansichten, die Sie vertreten manche Anhänger zu werben.
Der Wiener KreisISchlick-Zirkel, Wiener Kreis hat unter Zugrundelegung einer klaren Definition für das, was man als Wissenschaft ansehen will (NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath, „Erkenntnis“IErkenntnis, Zeitschrift I. S. 118BNeurath, Otto!1930@„Wege der wissenschaftlichen Weltauffassung“, Erkenntnis 1, 1930/31, 106-125., CarnapPCarnap, Rudolf, 1891-1970, dt.-am. Philosoph, 1917-1929 verh. mit Elisabeth Carnap und ab 1933 mit Ina Carnap: „Erk.“IErkenntnis, Zeitschrift II. S. 443.B1931@„Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“, Erkenntnis 2, 1931, 423–465) die bisher als wissenschaftlich geltenden Fragestellungen untersucht und ist dabei zur Erkenntnis gekommen, daß eine große Gruppe von ihnen (alle metaphysischen Fragen) sinnlos (in einem ganz bestimmten Verstande) sind. Man könnte, wenn auch nicht ganz genau sagen, daß alles das als wissenschaftlich gilt, was rational (von der Empirie und von dem Verstande erledigbar) ist.
Es wird gezeigt, daß das Irrationale nicht mit wissenschaftlichen Mitteln behandelt werden kann, sein Vorhandensein wird aber nicht geleugnet. (NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath, „Erk.“IErkenntnis, Zeitschrift I. S. 123BNeurath, Otto!1930@„Wege der wissenschaftlichen Weltauffassung“, Erkenntnis 1, 1930/31, 106-125; CarnapPCarnap, Rudolf, 1891-1970, dt.-am. Philosoph, 1917-1929 verh. mit Elisabeth Carnap und ab 1933 mit Ina Carnap, „Erk.“IErkenntnis, Zeitschrift II. S. 238B1931@„Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, Erkenntnis 2, 1931, 219–241). Doch wird zu dem hiedurch entstandenen Problem (meines Wissens) nicht klar genug Stellung genommen. M. E. wären theoretisch drei Stellungnahmen hiezu möglich: 🕮
1. Das Irrationale ist eine quantitée négligeable. So wie die Menschheit bereits zum Teil aufgehört hat ihren Trieben blind zu gehorchen, wird sie nach und nach ihr ganzes Leben nach dem Verstande einrichten.
2. Das Metaphysische ist wohl von Belang, jedoch ist eine bewußte Einflußnahme auf die hier wirkenden Kräfte nicht möglich. So lange es sich in harmlosen Formen auswirkt (Kunst) muß man ihm freien Lauf lassen; nur muß man gelegentliche Versuche in (schein=) wissenschaftlicher Form aufzutreten, und sich eine Autorität anmaßen, welche ihm nicht gebührt, hintanhalten.
3. In der Erkenntnis der Umstände, daß jene Gebiete des Lebens, welche hier (unzulänglich) als, „das Metaphysische“ bezeichnet sind \(\alpha )\) der wissenschaftlichen Methode (wie der Wiener KreisISchlick-Zirkel, Wiener Kreis gezeigt hat) unzugänglich, aber \(\beta )\) auf der anderen Seite doch lebensgestaltend sind [sie nehmen einen wesentlichen Anteil an der Gestaltung des Lebens sowohl denjenigen, dessen Lebensgefühl sie ausdrücken (Schöpfer), als auch desjenigen, auf den sie wirken] und in der Bejahung beider Umstände, ferner in der Ansicht, daß es hier um zwei, zwar gänzlich verschieden, aber prinzipiell gleich wichtigen (und zur Zusammenarbeit „verurteilten“) Gebiete des Lebens geht, entschließt man sich eine neue („nicht-wissenschaftliche“) Methode zu suchen, welche diese Kräfte einer produktiven Gemeinschaftsgestaltung zuführt. Die bereits vorhandene wissenschaftliche und metaphysische Literatur wäre darauf hin zu prüfen, inwieweit sie Ansatzpunkte für eine solche Methode bietet.
Einige Worte noch darüber, warum ich mich mit dieser Frage gerade an Sie, sehr geehrter Herr Professor, wende. Es scheint mir, daß ich von allen Vertretern des Wiener KreisesISchlick-Zirkel, Wiener Kreis, die in den letzten Jahren in Brünn gesprochen haben nur von Ihnen und von Herrn Dr. NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath ein ernsthaftes eingehen auf eine derartige Frage erhoffen kann. Ich habe mich schließlich für Sie entschieden, weil ich auf Grund von Erfahrungen, welche ich im Laufe eines längeren Kaffeehausgespräches mit Dr. NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath machte, befürchten mußte, daß er in seiner so überaus geistreichen und scharfsinnigen Art (die mir so außerordentlich gut gefällt) eine Antwort gibt, mit der ich letzten Endes doch nicht viel anfangen kann.
Falls die Stellungnahme des Wiener KreisesISchlick-Zirkel, Wiener Kreis zu der oben in knapper Form skizzierten Frage aus der bisher vorhandenen Literatur hervorgeht, bitte ich Sie mich auf die betreffende Stelle aufmerksam zu machen. Freilich müßte ich Sie bitten mir die Literatur in irgendeiner Form zugänglich zu machen, wie [ich] überhaupt die einschlägige Literatur sehr gerne näher studierte, wenn ich hiezu die Möglichkeit hätte. Leider hat meine finanzielle Leistungsfähigkeit mit den Portospesen gerade ihre Grenze erreicht. Anschaffung 🕮 von Büchern oder auch nur Broschüren kann ich gar nicht in Erwägung ziehen. (Ich gestatte mir noch zu diesem Punkt zu bemerken, daß die SchriftenB, die Sie Herrn Dr. BockPBock, Philipp, tschech. Gymnasialprofessor zur Verfügung gestellt haben, mir zugänglich sind.)
Ich hoffe, daß Sie mich durch Ihre Antwort in die Lage versetzen meine Bemühungen die „wissenschaftliche Weltauffassung“ Menschen zugänglich zu machen, die ihr bisher ablehnend gegenüberstanden, auf eine erfolgreiche Art fortzusetzen und so meinen, wenn auch noch so bescheidenen Teil zu ihrer Verbreitung beizutragen.