Neurath an Carnap, Prag, 17. März 1934 Otto Neurath an Rudolf Carnap, 17. März 1934 März 1934

Lieber Carnap!

Es ist jetzt an der Zeit, daß wir die quälenden Unterredungen durch eine mensch­lich-gute Allgemeinstimmung ersetzen. Ich hatte erst einen schürfenden Brief geschrieben, der die Schwierigkeiten unserer Lage objektiv zu erklären sucht – das hilft ja alles nichts. Besser ist, ich nehme zur Kenntnis, daß Du mir gut gesinnt bist, gern bereit mir zu helfen, und wenn ich besondere Wünsche ausspreche, im Dienste der gemeinsamen Sachen manches zu unternehmen. Das ist sehr viel und wäre übergenug, wenn ich nicht früher in überschwänglicheraüberschwenglicher Weise lebendigste Kooperation und dauernden Kontakt erhofft hätte. Es ist alles etwas dadurch erschwert, daß wir so oft an derselben Stelle wirken werden, dieselben Menschen kennenlernen, und ich nun jene Form der Beziehungen zu Dir und Dritten wählen muß, die später davor sichert, daß ich nicht Deine Inaktivität als unfreundschaftliche Haltung auslege, was ich wirklich in mir bekämpfen will. Vielleicht kannst Du auch durch verständige Überlegung manches vermeiden oder sogar tun, das dazu beiträgt, die sachlich kaum zu vermeidende Solidarität ein wenig in jener Form zu pflegen, die ich so naheliegend finde. Vielleicht gelingt es Dir, etwas antizipierende Resonanz zu erzeugen. Das erleichert gar viel.

So, jetzt wollen wir beide in diesem Sinne so fröhlich als möglich in Hinkunft mehr über den NICHTGOTT und die WELT oder besser über die Sprachen und ihre netten Eigenschaften sprechen und hoffen, daß die Lebenswege selbst uns guten Kontakt im Taktischen und Menschlichen ermöglichen mögen. Ich denke, daß das wohl möglich sein wird.

Mit den besten Wünschen und guten Grüßen an InaPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap

Dein
ON

Brief, msl., 1 Seite, RC 029-10-82; Briefkopf: msl. Prag 17. III, hsl. ergänzt durch 34, ksl. nach Prag.


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