Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 12. März 1934 März 1934

Lieber Carnap‚

besten Dank für Deinen Brief. Es tut mir leid, daß die Aktion für das RockefellerIRockefeller Foundation-Stipendium nicht den gewünschten Erfolg gehabt hat. Nach meinen bisherigen, jetzt schon ziemlich zahlreichen Erfahrungen gibt es nur einen Weg, um zu einer Gastprofessur in U.S.A. zu kommen, falls Dir eine solche nicht ganz spontan angeboten wird. Er besteht darin, daß Du Dich selbst ganz offen an die Persönlichkeiten wendest, die für Deine Arbeiten Interesse haben, und Ihnen Deinen Wunsch vorträgst. So viel ich sehe, würden LewisPLewis, Clarence Irving, 1883–1964, am. Philosoph und ShefferPSheffer, Henry Maurice, 1882–1964, am. Philosoph dafür in Betracht kommen. Den Amerikanern ist dieser direkte Weg der sympathischste. Ich möchte annehmen, daß z. B. LewisPLewis, Clarence Irving, 1883–1964, am. Philosoph freudig zugreifen und Dir eine Einladung verschaffen würde, falls sich überhaupt etwas machen läßt. Leider ist ja ein gewisser Geldmangel der amerikan[ischen] Universitäten 🕮 jetzt auch schon notorisch geworden.

Mit KailaPKaila, Eino, 1890–1958, finn. Philosoph habe ich inzwischen zweimal gesprochen und ihm die Fahnen Deines BuchesB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 gegeben. Es ist eine bewunderungswürdige Arbeit, aber wir haben beide die Befürchtung, daß die schwere Lesbarkeit des mittleren Teiles des BuchesB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 seinem Absatz sehr ungünstig sein wird, zumal auch der Preis wegen des komplizierten Druckes wieder schrecklich hoch wird.

Waismann’sPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann BuchBWaismann, Friedrich!1976@Logik, Sprache, Philosophie, Stuttgart, 1976 steht tatsächlich unmittelbar vor dem Abschluß; es sind nur noch kleine Korrekturen nötig, und außerdem möchte WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph, den ich in einer Woche hier erwarte, das BuchBWaismann, Friedrich!1976@Logik, Sprache, Philosophie, Stuttgart, 1976 gern mit Anmerkungen versehen. An seinem eigenenBWittgenstein, Ludwig!0@Das 1933 erwähnte Buch ??? hat er mit dem größten Fleiß gearbeitet; von dem letzten Auszug aus dem gewaltigen Material, der wirklich publiziert werden soll, war zu Weihnachten schon fast ein Drittel fertig, und da W[ittgenstein]PWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph ja sehr schnell arbeitet, ist die Vollendung in greifbare Nähe gerückt.

Über das Schicksal des MachvereinsIVerein Ernst Mach🕮 bist Du zweifellos durch NeiderPNeider, Heinrich, 1907–1990, öst. Verleger unterrichtet. Ich persönlich glaube kaum, daß es zu einer wirklichen Auflösung kommen wird. Die Tätigkeit des VereinsIVerein Ernst Mach (die ja ohnehin recht gering war) muß natürlich ruhen, bis die Sache entschieden ist. Mit irgendeiner Neugründung unter der Fahne „Einheitswissenschaft“ möchte ich auf keinen Fall etwas zu tun haben. Ich denke, es wird nicht nötig sein, zur Rettung des MachvereinsIVerein Ernst Mach die Hilfe des Herrn RougierPRougier, Louis, 1889–1982, fr. Philosoph in Anspruch zu nehmen, zu der er sich so freundlich erboten hat; ich werde ihm noch schriftlich danken für seine außerordentliche Hilfsbereitschaft. Es war für mich eine besondere Freude, diesen vortrefflichen, klugen und liebenswürdigen Menschen kennenzulernen, und ich hoffe sehr, mit ihm in Verbindung zu bleiben. Durch RougierPRougier, Louis, 1889–1982, fr. Philosoph erfuhr ich von dem Plane der Marienbader ZusammenkunftI; ich werde aber wahrscheinlich auf die Teilnahme verzichten, um meine Sommerruhe nicht noch um 3 weitere Tage zu verkürzen. – Mit meiner Gesundheit bin 🕮 ich gegenwärtig recht zufrieden, wenn ich auf so schöne Dinge wie Skilaufen auch künftig verzichten muß. Es freut mich, daß Ihr eine schöne Zeit im Riesengebirge zubringen konntet. Ich würde Dich schrecklich gern wiedersehen, wenn Du in der Woche vor Ostern nach Wien kommst; aber leider werde ich dann schon fort sein. Ich gedenke etwa am 22. abzureisen, nach Italien oder Dalmatien; und wenn die Hoffnung mich nicht trügt, so steht mir eine herrliche Zeit dort bevor. Ich hoffe auch gut dort arbeiten zu können. Leider werde ich ziemlich viel Zeit einigen kleineren Sachen widmen müssen, so dem Prager Vortrag und einigen anderen Aufsätzen, die ich zugesagt habe.

Wie steht es mit der „Erkenntnis“IErkenntnis, Zeitschrift? Ist es sicher, daß sie weiter erscheint? Solange übrigens das Schicksal des MachvereinsIVerein Ernst Mach ungewiß ist, müßte sein Name auf dem Titelblatt der „Erk[enntnis]“IErkenntnis, Zeitschrift fortbleiben, falls inzwischen eine Nummer herauskommen sollte. Besser wäre es natürlich, mit der Herausgabe des nächsten Heftes zu warten, bis die Angelegenheit entschieden 🕮 ist – was ja in der nächsten Zeit der Fall sein wird. Dabei fällt mir folgendes ein. 1929 hielt ich an der UniversitätIUniversität Wien den EinleitungsvortragB zu dem Cyclus „Das Weltbild der Naturwissenschaft“, den die UniversitätIUniversität Wien in Buchform herausgeben wollte. 1930 wurde der Vortrag in der Druckerei gesetzt, und ich habe einen Fahnenabzug. Der Druck des Buches wurde immer weiter verzögert und schließlich aufgegeben. Das war im Herbst, und seitdem liegt der Abzug unbenutzt bei mir. Ich würde ihn ganz der „Erkenntnis“IErkenntnis, Zeitschrift zur Verfügung stellen. Soll ich ihn Dir schicken? weißt Du etwas über das Erscheinen der nächsten Hefte? Bitte antworte mir gleich mit einer Zeile, damit ich die nötigen Änderungen vor meiner Abreise vornehmen kann (die Stellen, die sich auf die besondere Gelegenheit des Vortrages beziehen, müssen modifiziert werden). Ich möchte auch gern meine Ansicht über die Protokollsatzfrage zu Papier bringen und würde das in den Ferien tun, wenn die „Erk[enntnis]“IErkenntnis, Zeitschrift den AufsatzB (er würde kurz sein) bald veröffentlichen könnte. Bitte grüße Deine FrauPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap recht schön.

Mit den allerherzlichsten Wünschen

Dein
Schlick

Die Zeitschrift „Philosophy of Science“IPhilosophy of Science, Zeitschrift habe ich noch nicht gesehen, nur Feigl’sPFeigl, Herbert, 1902–1988, öst.-am. Philosoph, seit 1931 verh. mit Maria Feigl AufsatzBFeigl, Herbert!1934@„The Logical Analysis of the Psychophysical Problem“, Philosophy of Science 1, 1934, 420-445 daraus, der ja aber nichts Neues bringt.

Brief, hsl., 5 Seiten, RC 029-28-23; Briefkopf: hsl. ksl. 12. März. 34.


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