Karl Menger an Rudolf Carnap, 3. Februar 1934 Februar 1934

Lieber Herr Carnap:–

Ich bin ein so schlechter Briefschreiber, daß ich nur von Zeit zu Zeit mich aufraffe, meine Korrespondenz zu erledigen. Heute ist dieser Moment eingetreten und da stehen Sie in erster Reihe. Mit Dr. MillerPMiller, Harry Milton Jr., 1895–1980, Assistant Director der Rockefeller Foundation haben inzwischen sowohl HahnPHahn, Hans, 1879–1934, öst. Mathematiker, Bruder von Olga Neurath, verh. mit Eleonore Hahn als auch ich gesprochen. Ich habe ihm ausführlich auseinandergesetzt, daß Ihre Arbeit mit Philosophie im schlimmen Sinne des Wortes nichts zu tun habe und wie sehr Ihre logische Arbeiten von den Mathematikern im allgemeinen und von mir im besonderen geschätzt werden, ja wie wichtig es gerade für uns ist, daß Philosophen wie Sie die verdiente Förderung erfahren. Er hat alles genau angehört und sich Notizen gemacht und nur gemeint, daß für Philosophie keine fellowships bestehen, für Mathematik aber eine der wenigen insgesamt bestehenden special fellowships eben konsumiert worden sei. Trotzdem hoffe ich, daß inzwischen die Entscheidung in Ihrem Sinne gefallen ist, und würde mich freuen, von Ihnen darüber Näheres zu hören.

Mit großer Spannung sehe ich Ihrem neuen BuchB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 entgegen. Es hat mich sehr gefreut, Ihrem Wiener VortragB im Frühjahr zu entnehmen, daß Sie darin nicht, wie Sie dies zu meinem Leidwesen in vorhergehenden Publikationen getan haben, verschiedenes (wie. z. B. das Überabzählbare) ohne eine mir verständliche Begründung als „sinnlos“ bezeichnen, sondern einen Standpunkt einnehmen wollen, der dem von mir seit Jahren gegenüber dem Intuitionismus eingenommenen verwandt ist. Wenn Sie mir die hierauf bezüglichen Stellen in den Korrekturen zugehen lassen wollten, so wäre ich Ihnen sehr verbunden und könnte mich Ihnen vielleicht durch eine oder die andere Bemerkung nützlich machen. Leider ist von einer ganz unzureichenden und teilweise direkt falschen ReplikB HeytingsPHeyting, Arend, 1898-1980, niederl. Mathematiker abgesehen niemand auf meine diesbezüglichen Auseinandersetzungen eingegangen, von deren über den speziellen Gegenstand hinausgehenden Tragweite ich selbst jedoch ganz überzeugt bin. 🕮

Sehr freuen würde mich ferner, wenn Sie mir gelegentlich für einige Tage leihweise eine vollständige Liste Ihrer Veröffentlichungen überlassen könnten, damit ich feststelle, was mir in meiner Bibliothek, die ich in letzter Zeit stark ergänzt habe, fehlt, und trachten kann es mir zu beschaffen. Ich selbst habe schon sehr lange keine Separata verschickt. Wenn Sie irgendwelche Sachen brauchen könnten, so bitte ich Sie, dieselben mir nur zu nennen.

Es ist nicht unmöglich, daß ich im Laufe des Frühjahres einmal nach Prag komme (sicher nach Brünn), in welchem Falle ich hoffe Sie wiederzusehen. Inzwischen bin ich mit den besten Grüßen

Ihr
Karl Menger

Brief, msl., 2 Seiten, RC 029-01-13; Briefkopf: gestempelt Prof. Dr. Karl Menger  /  Wien, IX.  /  Fuchsthallergasse 2; mit Bleistift 3. 2. 34.


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