\brief{Rudolf Carnap an Felix Kaufmann, 13. Jänner 1934}{Jänner 1934} %Prag, den 13.Januar 1934. \anrede{Lieber Herr \textit{Kaufmann},} \haupttext{Besten Dank für den Sonderdruck Ihrer ausführlichen Rezension\IW{} über Husserls\IN{\husserl} Logik\IW{\husserllogik}. Es hat mich sehr interessiert, Ihre eingehende und klare Darstellung zu lesen, durch die man ein sehr gutes Bild von Husserls\IN{\husserl} Auffassung über die Logik bekommt. Die Rockefellersache\II{\rockefellerstiftung} sieht ziemlich aussichtlos aus. Es sind Gutachten von Russell\IN{\russell}, Boll\IN{\boll}, Rougier\IN{\rougier}, Kaila\IN{\kaila}, von Neumann\IN{\neumannvon}, Lewis\IN{\lewis}, Huntington\IN{\huntington}, Sheffer\IN{\sheffer} (und vielleicht auch Whitehead\IN{\whitehead}) hingeschickt worden. Als sich daraufhin nichts rührte, habe ich anfangs Jan. selbst hingeschrieben und um offene Auskunft über den Stand der Sache gebeten. Miller\IN{\millerdr} hat mir jetzt geschrieben, daß kaum mehr eine Aussicht besteht. Er sei sehr im Zweifel, ob er mit irgendeiner begründeten Hoffnung die Sache \sout{ans New Yorker Kommittee} weitergeben könne, und er sei daher gezwungen, ,,distinctivly discouraging`` zu schreiben. Er fügt hinzu, daß die Sache natürlich noch nicht endgültig entschieden ist, Tisdale\IN{\tisdale} komme am 1.\,Februar zurück, und er hoffe dann, vor Ende März nach Prag kommen zu können (ich hatte ihm wieder angeboten, ihn in irgendeiner andern Stadt zu treffen). Dieses Offenlassen der letzten Entscheidung hat aber wohl wenig Bedeutung mehr. Als Gründe gibt er an: erstens, daß die normale Altersgrenze 35 Jahre sei (in den Statuten ist das nur für die gewöhnlichen, nicht für die Special Fellowships angegeben); und zweitens hauptsächlich daß mein Arbeitsgebiet nicht ganz zum Aufgabengebiet seiner Abteilung (Mathematik und Naturwissenschaften) gehöre; infolge der Einschränkungen im Einkommen und der großen bestehenden Not könne die Abteilung ihr Aufgabengebiet nicht erweitern. Da wird also kaum mehr etwas zu hoffen sein. Dumm ist nur, daß man das nicht ein Jahr früher geschrieben hat. Übrigens glaube ich nicht recht, daß der erste Grund wirklich maßgebend gewesen ist, da ja Kaila\IN{\kaila} und Rougier\IN{\rougier}, die mir beide geschrieben haben, daß sie eine Rock[efeller]\II{\rockefellerstiftung} Fell[owship] haben, vermutlich auch älter als 35 sind. Und so argwöhne ich, daß auch der zweite angegebene Grund nur ein Vorwand ist. Es muß doch etwas dahinter stecken, daß man mir niemals richtig geantwortet und deutlich über die Sache Auskunft gegeben hat. Kaila\IN{\kaila} hat einen ausführlichen Fragebogen ausfüllen müssen, mir ist niemals einer zugeschickt worden, noch bin ich um irgendeine Auskunft über persönliche und amtliche Situation, Veröffentlichungen oder dgl. gefragt worden. Man hat mir nicht geschrieben, daß Gutachten von anderer Seite erforderlich sind. Daß Miller\IN{\millerdr} Ihnen sagte, er habe die Sache eben erst von Tisdale\IN{\tisdale} übernommen, ist vielleicht auch Schwindel; denn Miller\IN{\millerdr} selbst hatte mir im Mai 1933 geantwortet. Ich habe den Eindruck, daß man von vorneherein nicht gewollt hat und, um ein deutliches ,,nein`` zu vermeiden, die Sache dilatorisch behandelt hat. Aber vielleicht täusche ich mich auch. Vielleicht ist Miller\IN{\millerdr} ängstlich, die ihm gesteckten Grenzen zu überschreiten, da ich nicht richtige Mathematik mache. -- Glauben Sie, \neueseite{} daß man da noch irgendetwas tun kann? Es gibt wohl kaum Möglichkeiten, auf das Rockefeller\II{\rockefellerstiftung}-Kommittee in Amerika, dem, wie ich glaube, immer die letzte Entscheidung überlassen ist, einzuwirken? Da mein Wunsch, möglichst bald wenigstens für ein Jahr nach Amerika zu kommen, natürlich unvermindert fortbesteht, habe ich sofort andere Wege überlegt. Ich möchte Ihnen (dies vertraulich) mitteilen, daß ich soeben an von Neumann\IN{\neumannvon} geschrieben habe, ob er mir Rat geben kann, wie ich hinüberkommen könnte (in der stillen Hoffnung auf eine ähnliche Einladung wie Gödel\IN{\goedel} sie jetzt hat). Ich habe auch daran gedacht, mich an Menger\IN{\menger} zu wenden. Was meinen Sie dazu? Er war ja als Mathematiker drüben und weiß vielleicht, wo man sich drüben besonders für die logischen Grundlagen der Mathematik interessiert. Vielleicht würde er auch geneigt sein, mich bei irgendeiner Stelle drüben zu befürworten. Wissen Sie selbst irgendetwas über Gast- (oder Austausch-) Vorlesungen drüben? Kann man da selbst etwas dazutun? Gibt es außer Rockefeller\II{\rockefellerstiftung} noch andere Institutionen für \sout{derartige} Stipendien? Mitte Dezember hatte ich das MS meines Buches\IC{\logischesyntax} an Springer\II{\springerverlag} geschickt, es aber leider zurückerhalten, weil der erlaubte Umfang überschritten war. Nun muß ich mit schwerem Herzen einige Kapitel herausnehmen. Ich hoffe, daß das Buch\IC{\logischesyntax} in einer Woche wieder zum Druck gehn kann. Ich komme wahrscheinlich Ostern nach Wien; ich soll am 4.\,April in Pressburg einen Vortrag\IC{\scheinproblememachverein} halten, am 6. wahrscheinlich im Machverein\II{\machverein}. Ich freue mich sehr, dann auch wieder mit Ihnen sprechen zu können. Oder verreisen Sie während dieser Tage? Wie hat das Hansi\IN{} den Winter überstanden? Meine Frau\IN{\kaufmannfrau} ist an der Beantwortung dieser Frage lebhaft interessiert. Im Großen und Ganzen gehts uns gut, und wir hoffen sehr, daß es auch bei Ihnen so steht. Grüßen Sie doch bitte Ihre Frau\IN{\ina} von uns beiden herzlich. Ihnen beste Grüße und herzlichen Dank für alle Gedanken und Mühe, die Sie meiner Sache widmen!} \grussformel{Ihr\\ R. Carnap} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/808394}{FK 008178-008179 (Dsl. RC 028-21-24)}; Briefkopf: gestempelt \original{Prof. Dr. Rudolf Carnap \,/\, Prag XVII. \,/\, N. Motol, Pod Homolkou}, msl. \original{Prag, den 13.\,Januar 1934}.}