\brief{Rudolf Carnap an Felix Kaufmann, 14. Oktober 1933}{Oktober 1933} %Prag, den 14.Oktober 1933. \anrede{Lieber Herr Kaufmann!} \haupttext{Ich danke Ihnen von Herzen, daß Sie in Paris so nachdrücklich interveniert und mir dann gleich berichtet haben. Ich habe dann sofort an einige Leute geschrieben, damit sie Urteile über mich nach Paris schreiben: Lewis\IN{\lewis} (der sich auch an Whitehead\IN{\whitehead}, Sheffer\IN{\sheffer} und Huntington\IN{\huntington} wenden wird), v. Neumann\IN{\neumannvon} (durch Gödel\IN{\goedel}), Russell\IN{\russell}, Kaila\IN{\kaila}, Boll\IN{\boll}. Wenn mein Buch erschienen ist, werde ich aufgrund davon noch einige Urteile erbitten. Hoffen wir nun, daß mal etwas aus der Sache wird. Am 5. habe ich Ihnen das Menger\IN{\menger}-Heft\IW{} zurückgeschickt; besten Dank! Inzwischen besitze ich es selbst. Die Beiträge\IW{} von Gödel\IN{\goedel} sind sehr interessant. Aber ich glaube, der Nachweis der Übersetzbarkeit der Herbrandschen\IN{\herbrand} Arithmetik in die von Heyting\IN{\heyting} hat doch nicht ganz die Tragweite, die Sie ihm zuschreiben. Erstens würde ich Bedenken haben, die Arithmetik von Herbrand\IN{\herbrand} als ,,klassische`` zu bezeichnen (obwohl H[erbrand]\IN{\herbrand} selbst und Gödel\IN{\goedel} es tun); sie scheint mir gegenüber der klassischen doch begrenzter. Zweitens handelt es sich hier nur um die Arithmetik der natürlichen Zahlen, aber ohne die Theorie der Zahlprädikate oder Zahlfolgen (z.\,B. der reellen Zahlen). Daß sich alle imprädikativen Definitionen der klassischen Mathematik durch andere ersetzen lassen, glaube ich nicht. Ihr Beispiel (,,Unendliches`` 130 f.) ist sicherlich interessant, auch in dieser Hinsicht; aber es ist schwer, aus ihm etwas \uline{Allgemeines} über impr[ädikative] Def. zu entnehmen. -- Jedenfalls scheint es mir sicher, daß eine Sprache, die indefinite und imprädikative Definitionen und unbeschränkte Operatoren zuläßt (wie z.\,B. Sprache II meines Buches) in eine Sprache, die auf solche Mittel verzichtet (z.\,B. Sprache I) \uline{nicht} übersetzt werden kann. Es gibt in jener Sprache nicht nur mathematische, sondern auch synthetische Sätze (z.\,B. über den physikalischen Zustand an einem bestimmten Raum-Zeit-Punkt), die in die ärmere Sprache nicht übersetzt werden können! -- Die Frage Brouwers\IN{\brouwer} -- klassische Mathematik ist nicht eine Frage der Richtigkeit, sondern eine Frage des Entschlusses, nämlich der Wahl einer ärmeren oder reicheren Sprache. Mein Buch\IC{\logischesyntax} ist gegenüber der Fassung, die Sie kennen, stark verändert. Ich denke, es wird im November zum Druck gehen können. Ich glaube, aus dem neuen Text werden Sie meine Gesamtauffassung (die früher nicht ganz einheitlich war) deutlicher ersehen können. Ihnen und Ihrer Frau\IN{\kaufmannfrau} (-wie geht es dem Hansi\IN{}?-) herzlichste Grüße von uns beiden,} \grussformel{Ihr\\ R. Carnap} \ebericht{Brief, msl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/870062}{FK 008175 (Dsl. RC 028-22-05)}; Briefkopf: msl. \original{Prag, den 14.\,Oktober 1933}.}