\brief{Felix Kaufmann an Rudolf Carnap, 28. September 1933}{September 1933} %Dr.Felix Kaufmann, %Wien,XIX., %\uline{Döblinger Hauptstrasse 90} %Wien, 28. September 1933. %Herrn %Professor Dr.Rudolf Carnap, %\uline{Prag,XVII.,N.Motol, Pod Homolkou}. \anrede{Lieber Herr Carnap!} \haupttext{Ihre lieben Briefe von gestern habe ich eben erhalten. Ich fahre wahrscheinlich Sonntag abends oder Montag früh von hier weg und dürfte zwischen 4. und 6.\,Oktober in Paris sein und dort die Herren von der Rockefellerstiftung\II{\rockefellerstiftung} sprechen. Professor Francis Pribram\IN{\pribramalfred}, bei dem Sie einmal mit mir waren, wird mich mit ihnen persönlich bekannt machen. Bisher weiß Herr Van Sickle\IN{\vansiep} wohl noch nicht sehr viel von mir; nur das, was ihm vor etlichen Jahren Professor Pribram\IN{\pribramalfred} über mich berichtet hat. Deshalb habe ich ein etwas schlechtes Gewissen, wenn ein Satz meines Briefes in Ihnen zu große Hoffnungen erweckt hat. Ich will natürlich alles tun, was überhaupt möglich ist, um den Herren klar zu machen, daß Sie absolut I\,a sind, daß von Ihnen in einigen Monaten ein Buch\IC{\logischesyntax} erscheinen wird, welches ganz gewiß ein Standardwerk der logischen und mathematischen Grundlagenforschung, aber auch darüber hinaus für die Philosophen von größtem Interesse sein wird, daß Sie auch eine sehr starke pädagogische Begabung besitzen und daß ich daher überzeugt bin, daß Ihre Berufung nach Amerika den philosophischen Kreisen in den in Frage kommenden Universitäten sehr große Anregungen bringen würde. Aber was ich natürlich nicht voraussagen kann, ist, ob diese Äußerungen eines Menschen, der noch selbst nicht gehörig akkreditiert ist, große Wirkung haben werden. Ich kann Ihnen also nur versprechen, daß ich mit ganzem Herzen und nach bestem Können bei der Sache sein werde. Jedenfalls berichte \neueseite{} ich Ihnen noch von Paris das wesentliche Ergebnis, welches ja wahrscheinlich im besten Falle bloß darin bestehen wird, daß in Ihrer Angelegenheit die Maschinerie wieder in etwas schnelleren Gang kommt. Ihren Brief als Ganzes will ich den Herren in Paris nicht geben, sondern ich werde die darin enthaltenen sachlichen Informationen herausschreiben lassen und Ihre einleitenden Bemerkungen sowie Ihre Fragen ad notam nehmen, damit ich eventuell entsprechende Auskünfte geben kann und weiß, welche Fragen ich stellen soll. Die von Ihnen zusammengestellten Referenzen sowie das Verzeichnis Ihrer Veröffentlichungen werde ich ebenfalls vorlegen. Nebenbei bemerkt: Frau Susanne Langer\IN{\langersusanne} habe ich in Wien gesprochen, auch Separata\IW{} \IW{} von ihr erhalten und zum Teil mit Interesse gelesen. In England werde ich aller Voraussicht nach mit verschiedenen Philosophen sprechen und will mich bei diesen nach Dr. Black\IN{\black} erkundigen. Es freut mich sehr, daß sich Hempel\IN{\hempel} bei Ihnen erholt hat; der arme Junge tut mir sehr leid. Es hat durchaus Zeit, wenn Sie Mengers\IN{\menger} Colloquiumbericht\IW{} \II{\mengerscolloquium} nächste Woche nach Wien schicken. Ich glaube nicht, daß ich ihn in England werde haben wollen. Sollte dies der Fall sein, so wird er mir von Wien nachgeschickt werden. Vielleicht schreiben Sie mir ein paar Worte über Ihre Meinung betreffend die Tragweite der Gödel'schen\IN{\goedel} Ausführungen. Die meine kennen Sie ja. Sie liegt darin, (siehe ,,Unendliches in der Mathematik\ldots{}``\IW{} S.\,59 ff, insbesondere S.\,66 f) daß der Grundlagenstreit zwischen Formalismus und Intuitionismus im Prinzip erledigt ist, sobald man erkennt, daß durch Brouwer's\IN{\brouwer} Forderung \sout{betreffend den Satz vom ausgeschlossenen Dritten}, nichts von der klassischen Mathematik ,,verloren geht.`` Auch nicht durch seine Ablehnung imprädikativer Definitionen. Denn echte imprädikative Definitionen, die in Wahrheit nichts definieren, kommen nur beim überabzählbar Unendlichen vor und die scheinbar \neueseite{} imprädikativen Definitionen -- wie sie insbesondere bei der Definition des Grenzwertes von Folgen irrationaler Zahlen auftreten -- lassen sich auf solche Definitionen zurückführen, bei denen der Anschein der Imprädikativität verschwindet. (Vergleiche: ,,Unendliches\ldots{}``\IW{} S.\,130 f) Ich grüße Sie und Ihre Frau\IN{\ina} herzlich und bitte Sie nochmals, es mir nicht übel zu nehmen, wenn ich nichts ausrichten sollte.} \grussformel{Ihr\\ Felix Kaufmann} \ebericht{Brief, msl., 3 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/870066}{RC 028-22-07 (Dsl. FK 008172-008174)}; Briefkopf: msl. \original{Dr.Felix Kaufmann \,/\, Wien, XIX. \,/\, Döblinger Hauptstraße 90 \,/\, Wien, 28.\,September 1933 \,/\, Herrn \,/\, Professor Dr. Rudolf Carnap \,/\, Prag, XVII., N. Motol, Pod Homolkou}.}