endlich komme ich dazu, Ihnen ausführlich zu schreiben, was mit mir wird. Sie können sich denken, daß ich in Berlin keine Existenz mehr hatte. Ich habe nun einen Ruf auf ein Ordinariat der Philosophie in IstanbulIUniversität Istanbul erhalten, und werde es aller Voraussicht nach in den nächsten Tagen definitiv annehmen. Ich bin deshalb zu Verhandlungen hier. Es handelt sich um eine sehr gut bezahlte Stelle, die sehr einflußreich ist, da ich als alleiniger Philosoph dort hingehe. Es gehen im ganzen etwa 30 deutsche Professoren hin, und die UniversitätIUniversität Istanbul wird damit ganz neu aufblühen, sodaß es eine große Freude sein wird, dort mitzumachen. Auch sollen die Türken ein sehr lernbegieriges Volk sein, das europäische Kultur in sich aufnehmen möchte; und das ist sehr reizvoll. Die einzige Schwierigkeit ist, daß wir alle Türkisch lernen müssen; doch da man uns dafür drei Jahre Zeit läßt, so wird es schon werden. Sie können sich denken, wie froh ich über diese Lösung bin.
Meine Berliner Wohnung habe ich schon aufgegeben, meine Möbel werden mit nach Stambul gehen, da mir der Umzug bezahlt wird. Meine Familie ist zur Zeit etwas verstreut, mich selbst können Sie unter obiger Adresse in Zürich vorerst immer erreichen. Es ist aber gut, wenn Sie Briefe nach Wien schicken und von da aus hierher senden lassen, da die Transitpost von den deutschen Behörden geöffnet wird.
Wegen der ErkenntnisIErkenntnis, Zeitschrift habe ich mit MeinerPMeiner, Felix, 1883–1965, dt. Verleger gesprochen. Es wird keine Schwierigkeit machen, wenn ich die Redaktion von Stambul weiter führe, da ja doch alles schriftlich gemacht wird. Allerdings müssen wir der Form wegen einen in 🕮 Deutschland ansässigen Redakteur außerdem haben, da der VerlagIVerlag Meiner in Deutschland ist. Ich habe nun gedacht, daß wir dafür DubislavPDubislav, Walter, 1895–1937, dt. Philosoph nehmen. DubislavPDubislav, Walter, 1895–1937, dt. Philosoph ist als reiner Arier und ehemaliger aktiver Offizier in Deutschland nicht gefährdet, andrerseits können wir uns auf ihn unbedingt verlassen. Zu tun hätte er weiter nichts, wir würden ihm nur die Korrekturbogen jeweils zugehen lassen, und dann kann er sie durchsehen, ob irgendwelche Stellen dabei sind, die ein Verbot der ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift herbeiführen könnten. Ich meine hier irgendwelche überflüssige Kleinigkeiten, die uns nichts wesentliches nützen würden. In der Tendenz der ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift selbst soll natürlich nicht die geringste Änderung eintreten, umso weniger, als ich ja selbst jetzt im Ausland bin. Es scheint, daß man uns bisher nicht als staatsgefährlich auffaßt, da wir keinerlei Schwierigkeiten hatten, auch die Vortragsabende der Gesellschaft für wissenschaftliche PhilosophieIGesellschaft für wiss. Philosophie, Berlin konnten ungehindert stattfinden. Im kommenden Winter werden diese Abende wohl ausfallen müssen, nachdem ich weg bin und auch HerzbergPHerzberg, Alexander, 1887–1944, dt.-brit. Mediziner und Philosoph weg will, aber die GesellschaftIGesellschaft für wiss. Philosophie, Berlin selbst soll bestehen bleiben. – DubislavPDubislav, Walter, 1895–1937, dt. Philosoph müßte dann auf dem Titel als Herausgeber mitgenannt werden. Der Rechtsform wäre schließlich auch genügt, wenn man ihn irgendwo bei den Adressen auf der zweiten Umschlagseite in Kleindruck als verantwortlichen Redakteur für Deutschland angeben würde. Was meinen Sie, was man tun soll? Ich möchte ihn natürlich nicht kränken durch eine derartige Form. Im übrigen habe ich schon mit ihm über die Frage gesprochen, und er ist einverstanden, daß seine Funktion nur eine formale ist.
Ich denke, daß ich bald nach Stambul fahren werde. Aber schreiben Sie mir bitte noch hierher! Herzliche Grüße