Karl Popper an Rudolf Carnap, 20. Juni 1933 Juni 1933

Sehr geehrter Herr Professor‚

ich hoffe, daß Sie durch meinen letzten Brief nicht zu sehr gestört wurden: eine Intervention bei FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank ist insofern nicht mehr notwendig, als SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick mir gestern mitteilte, daß FranksPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank Einverständnis eingetroffen ist.

Ich bitte Sie also wegen der überflüssigen Behelligung um Entschuldigung!

Wenn ich Ihnen bei der Gelegenheit in wenigen Worten den Hauptpunkt meiner Bemerkungen zum Schlußkapitel Ihrer SemantikB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 angeben darf (Sie sind doch über die Kürze dieser Bemerkungen nicht böse): In den 🕮 Ausführungen S. 389 / 390 (die sich ja auch zum Teil gegen mein Falsifizierbarkeits-Kriterium wenden) scheint mir ein gewißer erkenntnistheoretischer „Naturalismus“ zu stecken:

Die Theorien werden hier beurteilt wie sie als (physikalische bezw. psychologische) Tatsachen zu beurteilen sind; sie „sind“ nicht endgültig verifizierbar u.s.w.

Im Gegensatz dazu bin ich der Ansicht, daß man durch geeignete Wahl der Methoden der Nachprüfung (durch „methodologische Beschlüsse“) die Theorien sogar endgültig verifizierbar machen könnte (und daß die „empirisch“-🕮wissenschaftlichen Methoden sie falsifizierbar machen); ferner, daß man die Gründe, die für solche Beschlüsse maßgebend sind, untersuchen kann.

Es ist hier also ähnlich, wie etwa bei der Wahl des Aufbaues der „Wissenschaftssprache“: mehrere Wege sind möglich, – aus gewißen Gründen (etwa Zweckmäßigkeit) wird einer gewählt.

Sätze „sind“ nicht falsifizierbar oder verifizierbar, sondern man kann ihre Überprüfungsmethoden so einrichten, daß sie das eine oder andere oder beides oder auch 🕮 keines von beiden werden. –aKsl. Notiz

Ein weiterer Punkt, über den ich gerne mit Ihnen sprechen möchte, ist Ihre Zilsel-AntwortB1932@„Erwiderung auf die vorstehenden Aufsätze von E. Zilsel und K. Duncker“, Erkenntnis 3, 1932/33, 177–188, und zwar die Stelle, wo Sie die „richtigen“ Protokollsätze historisch auszeichnen (als die der europäische Gelehrten). Diesen Standpunkt halte ich für ganz unzulänglich. Er bedroht geradezu die Objektivität der Wissenschaft.

Für die Wissenschaft scheint es mir überhaupt gleichgültig zu sein, ob irgendjemand ihre Sätze für wahr hält, an sie glaubt (das ist Psychologismus). Wichtig sind nur die logischen und methodologischen Zusammenhänge. –

Mit der Hoffnung, Sie im Laufe des Sommers zu sehen und den herzlichsten Grüßen

Ihr
Karl Popper

Brief, hsl., 4 SeitenFormat, RC 102-59-58; Briefkopf: hsl. 20. Juni 33.


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