\brief{Rudolf Carnap an Kazimierz Ajdukiewicz, 19. März 1933}{März 1933} %Prag, den 19.März 1933. %Herrn Prof.Dr.K. \textit{Ajdukiewicz} %\uline{Lw\'{o}w} \anrede{Sehr geehrter Herr Kollege!} \haupttext{Ihr MS\IW{\ajdukiewiczms} habe ich seinerzeit an Reichenbach\IN{\reichenbach} geschickt; er wird Ihnen Anfang Febr. die offizielle Bestätigung über die Annahme geschrieben haben. Ich danke Ihnen für Ihren interessanten und ausführlichen Brief v. 27.\,Jan. Entschuldigen Sie bitte, daß ich erst heute dazu komme, darauf zu antworten. Ihren Terminus ,,Anzestraldefinition`` hatte ich nicht richtig verstanden. Wir nennen ,,R\textsubscript{po}`` und ,,R\textsubscript{*}`` die ,,R-Ketten``; also vielleicht: ,,Definition der Relationskette``? Was ich über Ihre Def. für ,,Sinn`` und ,,Übersetzbarkeit`` geschrieben habe, rechnete nicht mehr zu den ,,kleinen Punkten``, in denen ich Änderungsvorschläge machte. Dies ist ein großer, wichtiger Punkt. Und da ich nun sehe, daß die von Ihnen gegebene Def. hier eng mit Ihrer Gesamtauffassung zusammenhängt, so müssen Sie sie natürlich ungeändert lassen. Ich möchte nun einiges zur Frage selbst bemerken; das ist aber nicht als Änderungsvorschlag gemeint, sondern schon als Diskussion. Anstelle des Wortes ,,Sinn`` verwende ich das Wort ,,Gehalt``; und ich bin der Meinung, daß der von mir definierte Begriff ,,Gehalt`` gerade das trifft, was man gewöhnlich als ,,Sinn`` zu bezeichnen pflegt, soweit damit etwas Logisches (und nicht etwas Psychologisches) gemeint ist. Meine Def. für ,,Gehalt`` will ich hier nicht ganz angeben, sie ist nicht so kurz zu formulieren. Jedenfalls sind aber nach dieser Def. zwei Sätze dann und nur dann gehaltgleich, wenn sie durch rein logische Operationen ineinander überführbar sind (z.\,B. mit Hilfe der Axiome und der Schlußregeln). Selbstverständlich sind dann zwei im Satzkalkül beweisbare Sätze gehaltgleich. Das stimmt durchaus mit meiner Auffassung überein: alle analytischen Sätze (Wittgensteins\IN{\wittgenstein} ,,Tautologien``) haben nämlich den Gehalt 0, ich nenne sie auch ,,gehaltleer`` (was aber natürlich nicht ,,sinnlos`` bedeutet). Meinen Satz über Übersetzbarkeit hatte ich doch wörtlich gemeint. In den Axiomen können doch sowohl Grundzeichen wie definierte Zeichen vorkommen. Ich meinte hier ,,$\vee$`` und ,,$\supset$`` in der Russellschen\IN{\russell} Bedeutung. Man kann hier das erste als Grundzeichen nehmen und das zweite definieren (wie Russell es tut), aber man kann auch umgekehrt verfahren (wie es das Fregesche\IN{\frege} System, in Russells\IN{\russell} Symbolik übertragen, tun würde). Man kann in den beiden Systemen den Axiomen denselben Wortlaut geben. Diese Systeme würde ich übersetzbar nennen. Was Sie ,,extensionale Übersetzung`` nennen, halte ich ebenso wie Sie (im Unterschied zu Frege\IN{\frege}) nicht für eine echte Übersetzung, die diesen Namen verdient. Deshalb glaube ich, daß Sie gut daran tun, in Ihrem Aufsatz von der ext[ensionalen] Übers[setzung] gar nicht zu sprechen; das würde das Problem unnötigerweise komplizieren. Auch ich meine immer ,,sinngetreue Übersetzung``, wenn ich von ,,Übersetzung`` spreche; nun glaube ich, daß meine Def. dies besser trifft als Ihre. \neueseite{} Meine allzukurzen brieflichen Bemerkungen sind, wie mir scheint, von Ihnen mißverstanden worden. Meine Auffassung und die sich daraus ergebenden Bedenken gegen Ihre Auffassung hier ganz darzustellen, würde zu weit führen. In meinem Buch\IC{\logischesyntax}, das ich jetzt für den Druck fertig mache, wird die Frage ausführlich besprochen (zwar nicht über die Übersetzbarkeit verschied[ener] Sprachen, aber über Gehalt und Gehaltgleichheit wird ausführlich gesprochen). Es ist wohl jetzt am einfachsten, wenn Sie in diesem Punkt keine Änderung Ihres MS\IW{\ajdukiewiczms} vornehmen und auch nicht einen Anhang darüber machen. Vielleicht gibt sich dann später Gelegenheit, daß Sie oder ich die Frage in einem besonderen Aufsatz oder einer kurzen Note behandeln. Besonders freuen würde es mich, wenn sich einmal Gelegenheit fände, daß wir diese Fragen mündlich besprächen. Dann ist ja am schnellsten und leichtesten ein gegenseitiges Verständnis zu erreichen. Mit vorzüglicher Hochachtung} \grussformel{Ihr\\ \blockade{ksl.}} \ebericht{Brief, msl. Dsl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/855416}{RC 028-01-04}; Briefkopf: msl. \original{Prag, den 19.\,März 1933 \,/\, Herrn Prof. Dr. K. Ajdukiewicz \,/\, Lw\'{o}w}.}