Herbert Feigl an Rudolf Carnap, 28. Februar 1933 Februar 1933

Brief beginnt ohne Anrede, Seitenzahl hsl. 3, Datum mit Bleistift von Carnap Feigl, 24.2.1933

BlumbergPBlumberg, Albert E., 1906–1997, am. Philosoph hat dir wohl geschrieben, daß er die SemantikB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934übersetzenB möchte. Er selbst hat mit einem Harcourt-Brace CoIVerlag Harcourt Brace &Company Vertreter über Publikation in der „Ogden-Sammlung“I (dieselbe, in der der TractatusBWittgenstein, Ludwig!1921@Logisch-philosophische Abhandlung, Leipzig, 1921 erschien, in England: Kegan PaulIKegan Paul, Verlag) gesprochen. Falls er keinen Erfolg hat, könnte SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick an OgdenPOgden, Charles Kay, 1889–1957, brit. Linguist und Philosoph** Ogden, in seinem Buch: „The meaning of Psychology“ (Harper Brothers, London, NY.) „löst“ das psychophys[ische] Problem durch „Zwei-Sprachen-theorie“ (introsp. behav.) – dürfte also interessiert sein
natürlich recht oberflächlich, aber ganz vernünftig
schreiben und vielleicht darauf hinweisen, daß Deine Arbeit in seine Sammlung am besten passen würde. (Wittg[enstein]PWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph, NicodP, RamseyPRamsey, Frank Plumpton, 1903–1930, brit. Mathematiker und Philosoph etc. sind drin!)

Sehr erfreut über deine Nordlandsreise! Hoffe mündlich mehr darüber zu hören! Sehr gut, daß wir international werden. Sehr befriedigt, gleichfalls, über Deine hochanständige und sachliche Haltung in der Wittgensteinaffäre. Deine Interpretation seiner Einstellung scheint mir richtig. Bei W[ittgenstein]PWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph wiegt persönliche Sympathie und Antipathie mit (gegen) Lebens- und Arbeitsformen so viel, daß jeder sachliche Gesichtspunkt völlig belanglos wird. Sein Eindruck mag sein, daß Dich einige der nebenbei erwähnten Resultate u. Einsichten „nichts gekostet“ haben, während er gerade um diese Dinge schwer gerungen hat. Mit Genies ist’s halt ein schweres Leben! Ich bin froh, daß nun auch SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick objektiv urteilt. Ich habe Dich ihmPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick und WaismannPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann gegenüber im Sommer noch sehr verteidigen müssen. Wenn Wittg[enstein]PWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph mit seinem neuen TractatusB wieder eine Glanzleistung erzielt, wirst Du gewiß der erste sein, der das sachliche daran voll anerkennt. SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick schreibt, WaismannPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann sei beinahe fertig – ? 🕮 Bitte verzeih, daß ich meine Schuld (52.50 Mk) noch nicht beglichen habe. Für die Übersendung der „Erk.“ bin ich sehr dankbar. Leider habe ich vor Wien keine Gelegenheit das Geld nach Mü[nchen] zu überweisen, kann es aber wohl von hier per Postanweisung nach Mü[nchen] v Prag schicken.

gestrichener Abschnitt? Einfügung vom 28. III.33

Ich habe mir die ? V., sowie DeineB (und auch Neurath’sPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath) „Erkenntnis“IErkenntnis, ZeitschriftartikelB sehr gründlich überlegt. Vieles ist mir weit klarer geworden, als im Sommer. Die Darstellung in Sem. V. ist sehr gut, ich habe nichts daran zu kritisieren. –

Ich halte deine Stellung für 1. widerspruchsfrei, 2. interessant, 3. fruchtbar. verzeih’ die kateg. Vermischung– Aber – mein Eindruck ist, daß die wirklich grundlegenden Fragen (vorläufig zumindest) verdrängt worden sind. Das Gute ist nur, daß sie sich als semantische Fragen stellen lassen werden: z. B. Fragen nach den Gründen diese und nicht eine andere empirische Sprache (Symbolsystem) zu wählen. Die Konventionen, die die „Sinnerfülltheit“ definieren, wären explizit herauszustellen und in schwierigen Problemen (z. B. Relation der Protokollsprache zur Syst.sprache) genau zu erörtern. Ich hoffe Dir darüber bald mal ausführlicher zu schreiben. Auch über „Erläuterungen“ (= praktische Winke, Imperative) um die auch Du (und N[eura]thPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath) nicht herumkommt.

Die Psychologie (über die ich einen Kurs halte) macht mir noch weiter etwas Kopfschmerzen. Trotzdem habe ich von Euch viel gelernt u. akzeptiert. Ihr werdet natürlich wieder „Metaphysik“ wittern – was kann man da machen? 🕮

Nebenbei: ich bin dafür „Sphäre“, und nicht „Sfäre“ drucken zu lassen, solange du nicht „Filosofie“ schreibst.

Einen Punkt möchte ich doch jetzt schon berühren: (ich drücke es teilweise in der traditionellen Weise aus, aber Du wirst mich verstehen:)

Gehaltgleichheit zweier Sätz kann doch analytisch oder synthet[isch] Sein! Z. B. \(p \supset q\) und \(\sim p \vee q\)unsicher, ob p da stimmt sind analyt. gehaltgleich (per Def.). Aber der Protokollsatz: „Ich denke jetzt an den unverbesserlichen Materialisten Neurath“ ist doch nur synthet[isch] gehaltgleich mit dem intersubj[ektiven] Systemsatz, der über meine Gehirnprozesse spricht. Denn es ist doch Sache höchst schwieriger Forschung den betreffenden Gehirnzustand zu isolieren. Nur wenn Du dich von vornherein auf den physikalist[ischen] Standpunkt stellst (d. h. die Protokollsprache gleich als Teilsprache der physikalischen behandelst, was ja auch N[eura]thPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath tut) dann freilich ist die Sache nicht anders als bei: „Die Stütze ist fest“ und der entsprechenden „Mikrobeschreibung.“ (Übrigens liegt auch in diesem einfachen Fall nicht glatte Äquivalenz vor. Das ganze Problem: Hypothese \(\supset \) Satz, kommt hier hinzu.) – Das ganze Argument hätte sich also um das Dogma des Physikalismus zu drehen. Ich glaube, daß ich die Ablehnung der inhaltl[ichen] Redeweise nun verstehe und akzeptiere und trotzdem einen Unterschied zwischen phänomenaler und physikalischer Sprache (der dann wieder rein syntaktisch wäre) machen möchte.

Die Syntaxregel nun, derzufolge wir übersetzen dürfen (phä. symbol phys.) muß m. E. gerechtfertigt werden. Es liegt keine rein formale Identität zwischen den zwei Sprechweisen vor wie in Formel. 🕮 Ich möchte nochmals betonen, daß ich weiß, daß Deine Stellung unangreifbar ist, wenn Du nur die intersubjektive Sprache als legitim zuläßt (und dementsprechend die Protokollsprache als Teilsprache der Systemsprache definierst (!)). Ich gebe sogar zu, daß man so vorgehen muß– (und jeder Wissenschaftler solange er Wissenschaft treibt, tatsächlich so vorgeht) – wenn man die logische Rekonstruktion der Universal- oder Einheitswissenschaft unternimmt. –

Und trotzdem – meine phänomenale Beschreibung und die physikalische Beschreibung meiner Nervenprozesse – kann ich (nicht Du!) beideverstehen. (d. i. die Wahrheitsbedingungen angeben) ohne doch ihren „Sinn“ (= Wahrheitsbedingungen) identisch zu finden. Ist hier „inhaltlich formuliert. Läßt sich aber semantisch so ausdrücken, daß aus der phänomenalen Beschreibung nur Sätze ableitbar (= tautologisch impliziert) sind, die wieder nur phänomenale Ausdrücke enthalten, nicht aber physikalische.

Daß das Tastfrühstück mit dem Sehfrühstück gleichzeitig kommt (was Whitehead‘ sPWhitehead, Alfred North, 1861–1947, brit.-am. Philosoph Verwunderung erregte), ist unter Voraussetzung normalen physiologischen Funktionierens des Dr. WhiteheadPWhitehead, Alfred North, 1861–1947, brit.-am. Philosoph aus der physikalischen Situation deduzierbar, d. h. in der Systemsprache sind gewisse „taktile“ und „visuelle“ Strukturaussagen einfach analytisch äquivalent. Das ist aber nur der Fall, weil ich durch induktive Konstruktion (Theoriebildung, oder wie DinglerPDingler, Hugo, 1881–1954, dt. Philosoph einmal ganz gut sagte: „übergreifende Begriffsbildung“) erst zur einheitlichen Systemsprache hinaufgestiegen bin. – Oder: daß trigonometrische (optische) indirekte Längenmessung äquivalent mit direkter Längenmessung (Maßstab anlegen) ist, kommt aus den Axiomen der Physik analytisch heraus – ist aber ursprünglich auf synthet[ischen] Sätzen aufgebaut. – Ich erwähnte diese beiden 🕮 Beispiele nur zur Illustration dessen, was ich mit der ungerechtfertigten glatten Äquivalentsetzung zweier Beschreibungen meine. Die Äquivalenzen sind empirisch – wie sich durch zurückgehen auf die atomic propositions immer zeigen läßt. Darum sind ja auch physikalische Definitionen und Systemsätze (als echte Produkte von Induktionen) immer nur bis auf Widerruf gültig. –

Ob das erste§§ Das zweite sicher nicht Beispiel (Frühstück) auch darüberhinaus als analoger Fall zur Beziehung {Phänom\,/\,Physikal} betrachtet werden kann, bezweifle ich selbst. Vielleicht liegt der (für soviel Denker mysteriöse) Charakter der Beziehung des Privaten zum Intersubjektiven gerade in seiner Einzigartigkeit, die ja Vergleichsmöglichkeit und darum begriffliche Faßbarkeit ausschließt. – Aber das ist bereits Metaphysik, für die Du ja kein Organ hast! –

Alles hängt davon ab, ob Deine Argumentation in Erk. II, 5, 6 S. 453-461B1931@„Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“, Erkenntnis 2, 1931, 423–465, stichhaltig ist oder nicht. (Ich habe Dich noch nie so dialektisch-pfiffig gefunden, wie dort.) Beide Thesen: Gefahr der inhaltl[ichen] Redeweise und Protokollsprache \(\subset \) Syst.spr. sind dort zweifellos sehr plausibel gemacht, aber eine direktere Begründung wäre ungemein erwünscht! Nochmals möchte ich sagen, daß mir deine Resultate völlig korrekt scheinen, falls man nur Wissenschaftsanalyse als das Ziel betrachtet. Wissenschaft ist intersubjektiv und Deine Analyse der Psychologie (ind. „verstehende“, charakterologische, grapholog. etc) ist – je mehr ich sie mir überlege –völlig überzeugend. Aber den „Weltknoten“ hast Du weder gelöst noch durchhauen. Du hast ihn nur noch – deutlicher sichtbar gemacht, – was ja ein großes Verdienst ist. Ich weiß, daß du es ablehnst, über das – zugestandenermaßen –Unaussprechbare zu „sprechen“ (d. h. natürl[ich] durch bewußt unvollkommene Bilder und Metaphern anzudeuten und zu umschreiben –), ich weiß auch, 🕮 daß solche Betätigung zu nichts („Sagbarem“ im str[engen]strikt ginge auch Sinn) führt – und in diesem Sinn von Träumen und Musizieren nicht prinzipiell verschieden ist. Und doch kann ich dieses Springen über den eigenen Schatten nicht lassen. Die Kontemplation dieser Welt und der Art wie wir einerseits als kausal eingewebte Teilprozesse, andererseits als mit „Sinn“erkennende, „Regelverstehende“ [die Wittg.PWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph neuste metaphys. Idee] Wesen in diese Welt eingebettet sind – hat für die Metaphysiker aller Zeiten (wenn ich sie richtig kapiere) den großen Anreiz gegeben zu spekulieren. Ich persönlich bleibe bei der Kontemplation und glaube sogar – gerade aus den „erschauten“ Einbettungsverhältnissen heraus die Sinnlosigkeit jeder konstruktiven Spekulation „einsehen“ zu können. Driesch: „Die Ordnungslehre gibt sich auf – um mehr Ordnung zu schauen.“ Aber die Metaphysik sieht, daß alle symbolisierbare Ordnung schon in der Wissenschaft ausdrückbar ist. Sind diese Zeilen bloßer Quatsch für Dich? Oder bloß ein psychopathisches Symptom betreffend den Zustand Deines Freundes H.F.PFeigl, Herbert, 1902–1988, öst.-am. Philosoph, seit 1931 verh. mit Maria Feigl? Falls so‚ dann werde ich Dich weiter nicht mehr mit Metaphysik behelligen. Ich wollte nur noch einmal (wohl den letzten) Versuch machen, Dir die quasi rationalen Schmerzen des Metaphysikers zu veranschaulichen. Genug davon! –

Der nüchterne Niederschlag dieser Exkursion ist ja nur folgende Frage: selbst wenn man den Physikalismus der Wissenschaft zugibt (was ich emphatisch tue!) und selbst wenn man die praktische Begrenztheit, Unschärfe, Leistungsunfähigkeit und Monologizität der phänomenalen Sprache zugibt (was ich ebenfalls nur unterstreichen möchte!) – Kann man oder muß man nicht trotzdem die Dualität der beiden Sprachen anerkennen? Es ist wahr – die Dualität 🕮 verschwindet vollkommen sobald wir „alles“ entweder in der einen oder in der anderen Sprache ausdrücken. Aber hier entstehen eben die Probleme:

(1.) Läßt sich „alles“ in der solipsistischen Sprache ausdrücken?

(2.) “ „“„““ physikalischen „“?

Die Konst.theorie hat im Prinzip gezeigt, daß (1) zu bejahen ist, Deine letzten Artikel, daß dasselbe für (2) der Fall ist.

Aber die Tatsache, daß beide Sprachen äquivalent sind, ist nicht selbstverständlich. Die Äquivalenz kann sobald wir uns in der einen oder anderen Spr[ache] befinden – durch definitorische Identitätssetzungen –analytisch gemacht werden, aber sie ist nicht analytisch von Haus aus. Trotzdem handelt es sich nicht um ordinäre empirische Äquivalenz: Die Beschreibung einer Welt, in der die Äquivalenz nicht gälte, könnte nur solipsistisch – aber nicht physikalistisch gegeben werden. Sie würde in der physikalistischen Beschreibung (bestenfalls) nur in ganz sonderbaren Abweichungen vom Determinismus (der biolog[ischen] Vorgänge in Nervensystemen etc.) zum Ausdruck kommen. – Du wirst Dich vielleicht an Schlick’sPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick Bemerkungen zum prinzipiellen Behaviorismus erinnern. Diese habe ich hier im Auge. Durchbrechung des „Parallelismus“, Fortleben der „Seele“ (Erlebnisstromes) nach Zerstörung des Gehirns. Immer 2 Möglichkeiten: entweder: objektiv gar keine Änderung (intersubj. sinnlos) – oder: Wunder (=Indeterm) Grob gesagt: Der Glaube an eine Welt, in der Äquivalenz nicht gilt, ist weder widerspruchsvoll, noch (solips[istisch]) sinnlos – kommt aber (in der einen Interpretation) im physikalistischen Sinn auf einen Wunderglauben ärgster Sorte hinaus. Unsere Welt hat eben als eine ihrer allgemeinsten „Eigenschaften“ (metaphysische Eig[enschaften] wenn Du willst) neben Gesetzmäßigkeit, 4-Dimensionalität etc auch die Äquivalenz der beiden Sprachen – Ich weiß sehr wohl, 🕮 daß ich nicht von „Eigenschaften“ reden sollte. Es sind eben Züge der Welt, die sich nur semantisch, d. h. im ganzen Symbolsystem spiegeln – nicht aber in Sätzen der ersten Sprache ausgedrückt werden können. WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph hat ganz recht, wenn er sagt, daß sich nicht alles sagen läßt – d. h. aber eben nur in der ersten Sprache. Ich weiß, daß Du es trotzdem als geographischen Satz über Zeichenverknüpfung ausdrücken kannst – somit wieder in der ersten Sprache – aber das dürfte W[ittgenstein] kaum bestreiten. Was mir jetzt an der These Wittgenstein’sPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph so plausibel scheint, ist, daß sich die wesentlichen Züge der Welt darin zeigen, wie wir den symbolischen Rahmen wählen und mit ihm operieren, nicht aber als Aussagen über die Welt formulieren lassen: Man kann wohl (mit EinsteinPEinstein, Albert, 1879–1955, dt.-am. Physiker, verh. mit Else Einstein) sagen: die Welt ist endlich – nicht aber: die Welt ist monistisch oder dualistisch, psychisch oder physikalisch – was daran „sinnvoll“ ist zeigt sich in der Welt des Symbolsystems und in den Operationen der Verifikation. – Vorhin gab ich ein Beispiel, das die logische Äquivalenz der beiden Sprachen als Zufall erscheinen läßt (die solipsistisch formulierbare mehr-eindeutige Zuordnung von „Erlebnissen“ zu „Gehirnprozessen“ [mit Cerebrokop verifizierbar]) – Hier ist noch ein anderes lustiges Beispiel, das den Parallelismus zwar intakt läßt, aber auf andere mögliche prinzipielle Diskrepanzen zwischen subjektiver und intersubj[ektiver] Sprache hindeutet: 🕮 Nimm an, die Biologen könnten eine Großhirnrinde in einer Nährlösung erhalten und ihr sowohl alle Reizarten zuführen als auch von ihr alle motorischen Impulse ableiten, sodaß man diesem Cortex eine ganze „Biografie“ vortäuschen könnte! (– Wir Philosophen dürfen von den technischen Schwierigkeiten absehen.) – Dieser unglückliche Cortex würde unter der Illusion leben, daß es eine „Außenwelt“ gibt, eine Weltreise zu machen, Kinder zu kriegen, Bücher zu schreiben etc – und es gäbe für ihn keine Möglichkeit sich vom „wahren“ Sachverhalt zu überzeugen. – Nun brauchst Du mir natürl[ich] nicht zu sagen, daß es wüste Metaphysik ist, über die „Erlebnisse“ des Cortex zu reden, außer man meint mit dieser Sprechweise die intersubjektiv verifizierbaren Nervenprozesse. Auch ist es klar, daß es – selbst wenn wir „uns in den Cortex versetzen“ – unter den gegebenen Bedingungen sinnlos ist, nach der „wahren“ Welt zu fragen, wenn gerade jene Bedingungen (= Einbettungsverhältnisse) diese Frage unbeantwortbar machen. Was ich zeigen wollte, ist ja nur, daß die Sinnlosigkeit – die sich innerhalb der Sprache als Syntaxverletzung darstellt – von der „ontologischen Einbettung“ abhängt – sobald man die Sache von „beiden Seiten“ beguckt**** Was zugegebenermaßen nur der liebe Gott kann (ha, ha!).–. Bitte tu mir den Gefallen und überleg‘ Dir die Geschichte mal so recht anschaulich! Bleibt da nicht doch selbst bei Dir ein kleiner metaphysischer Rest übrig? Aber nun genug. – Ich werde trotz allem noch lange nicht unter die Metaphysiker gehen. „Sagen“ läßt sich ja wirklich nichts vernünftiges. 🕮

28. März 1933

Nun ist wieder ein Haufen Zeit vergangen und ich habe diesen unmöglichen Brief noch immer nicht abgeschickt. Ich war gerade in letzter Zeit ungeheuer beschäftigt. – Bitte verzeih! –

Unterdessen kam Dein Brief vom 28. II. – Herzlichste Glückwünsche zur Vermählung! Wir wünschen Euch von Herzen das Allerbeste und können Euch versichern, daß bei uns das Faktum des Ehekontrakts bisher keine störende Wirkung gehabt hat. Wie sollte auch eine bloß analytische Umformung empirische Konsequenzen haben?

Ich hatte keine Ahnung, daß N[eura]thPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath in NY war. War er etwa auch in Chicago? Dort hätte ich ihn treffen können. – Hoffentlich kriegst Du die Rockefeller F[oundation]IRockefeller Foundation

Adresse ThorndikePThorndike, Edward Lee, 1874-1949, am. Psychologe: Dept. of Psychology Columbia Univ. N.Y. City.

Neurath’sPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath „Psychol.“BNeurath, Otto!1933@„Einheitswissenschaft und Psychologie“, = Einheitswissenschaft 1, 1933 erhalten. Furchtbar schlecht dargestellt. Mit seinem tendenziösen Stil und seinen halsbrecherischen Begründungen wird er der Sache nur schaden. Die Sache ist eh‘ akademisch, der Durchschnittspsychologe versteht doch nicht worum sich’s handelt, also wozu die barbarische Gewalt? Soll er lieber den HitlerPHitler, Adolf, 1889–1945, öst.-dt. Politiker in die Luft sprengen. Das ist dringender in Europa als die physikalist[ische] Denkweise in der Psychologie, die jeder anständige Wissenschaftler praktisch ohnehin anwendet. – Wir sind tief entrüstet über die Nachrichten aus Deutschland. Hoffentl[ich] bleibt Österreich neutral. –

BlumbergPBlumberg, Albert E., 1906–1997, am. Philosoph habe ich geschrieben. Noch keine Antwort. (Nebenbei: BlumbergPBlumberg, Albert E., 1906–1997, am. Philosoph ist unter die Kommunisten gegangen, dazu gehört in USA noch einiger Mut. Er macht aktive Propaganda in Washington, Baltimore etc. –)

Brief, hsl., 12 Seiten (9 hier transkribiert), HF 02-69-01.


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