\brief[Olga Neurath an Carnap, Wien, 17.~Februar 1933]% {Olga Neurath an Rudolf Carnap, 17. Februar 1933}{Februar 1933}\labelcn{Olga-Neurath-an-Carnap-1933-02-17} \anrede{Lieber Carnap!} \haupttext{Ein Brief von Dir ist ein seltenes Fest, umsomehr, wenn er zwei so wichtige Daten aus Deiner Biographie enthält wie diesesmal. Ad Eins bin ich sehr erfreut, daß die Prager Ärzte mit Deinem Gesundheitszustand zufrieden sind. Ich hörte schon von meinem Bruder\IN{\hahnhans} \&\ von Waismann\IN{\waismann}, daß Du Dich gut erholst, aber eine ärztliche Bestätigung dieser zunächst nur subjektiven Diagnose ist natürlich weit beruhigender. Der arme Menger\IN{\menger} ist seine Grippe, von der die Deinige meiner Meinung nach ein Abkömmling war, nicht so glatt losgeworden, er erkrankte abermals in Warschau, kam noch hustend nach Wien zurück, fuhr dann zur Erholung auf den Semmering, wo er abermals erkrankte. Jetzt endlich scheint auch er die üble Sache erledigt zu haben. Also, man freue sich, daß es bei Dir doch relativ glatt ging \&\ das Übrige nur ein blinder Alarm war. Ad Zwei wünsche ich noch alles Gute zum liebseligen Ehestand, es ist natürlich nur eine Formalität, aber besagte bürgerliche Formalität erleichtert in der leider immer noch sehr bürgerlichen Welt doch die Existenz erheblich. Was Dein Manuskript\IC{\logischesyntax} anlangt, so muß ich Dir die betrübliche Mitteilung machen, daß ich es Dir persönlich ins Spital brachte, nachdem mein Mann\inneurath{} nach Amerika abge\neueseite{} reist war. Vielleicht erinnerst Du Dich daran, daß Du ursprünglich vorgeschlagen hattest, er solle es unterwegs lesen \&\ es Dir aus Cherbourg zurück\-schicken. Er aber fand das zu riskant, las es noch in Wien \&\ gab es mir zur Erledigung. Du warst dann sehr überrascht, daß er es so schnell durchgesehen hatte \&\ stelltest noch ein paar Fragen an mich. Hoffentlich ist es nicht in der unvermeidlichen Spitalschlamperei verkommen. Jedenfalls wurde es Dir zurückgestellt. Was nun endlich die Recriminationen des Verlages Springer\II{\springerverlag} anlangt, so sind sie nicht berechtigt. Die neue Sammlung\II{\einheitswissenschaftschriftenreihe} wendet sich an ein ganz anderes Publikum als die Springerschen\II{\springerverlag} Bücher, welche ja eigentlich einen akademisch gebildeten Leserkreis fordern, während die \glqq Einheitswissenschaft\grqq\II{\einheitswissenschaftschriftenreihe} ganz populär gehalten ist, für kleine Leutchen, die noch nichts Rechtes gelernt haben. Mein Mann\inneurath{} meint, seine Sammlung\II{\einheitswissenschaftschriftenreihe} werde eher der Springerschen\II{\springerverlag} neue Leser zuführen als ihr welche wegschnappen, umsomehr als ja die Springerschen\II{\springerverlag} Bücher brav zitiert werden. Außerdem handelt es sich in dem einen Fall durchweg nur um dünne Broschüren, die ja bekanntlich einem würdigen Buch niemals Konkurrenz machen können. Was uns anlangt, so erfreue ich mich momentan der Anwesenheit des Gatten\inneurath{}, aber morgen fährt er wahrscheinlich schon wieder weg, nach Berlin, um dort im Reichenbachkreis\II{\reichenbachskolloquium} einen Vortrag\IW{} zu halten,\fnE{Am 21.~Februar hielt Neurath in der \textit{Gesellschaft für wissenschaftliche Philosophie} den Vortrag ,,Grundprobleme des Physikalismus``; vgl. \textit{Erkenntnis} 3, 1932/33, 232.}\fnSE{,,Grundprobleme des Physikalismus``, 21.~Februar 1933, \textit{Gesellschaft für wissenschaftliche Philosophie}.} falls man ihn nicht vorher totschlägt, was bei dem jetzigen Kurs nicht so unmöglich \neueseite{}\zzz scheint.\fnEE{Unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.~Januar 1933 erfolgten die ersten repressiven Maßnahmen.} Reichenbach\IN{\reichenbach} wird übrigens für nächste Woche hier in Wien erwartet, er soll einen Vortrag\IW{} im Culturbund\II{\kulturbundwien} halten \&\ wird auch einmal im Schlickkreis\II{\schlickzirkel} auftreten.\fnE{Vgl. dazu unten, Brief Nr.~\refcn{1933-03-05-Neurath-an-Carnap}.} Anfang März reist dann mein Mann\inneurath{} nach London, später wahrscheinlich wieder einmal nach Moskau. Ich muß froh sein, wenn ich ihn einmal eine Woche hier habe. Von Amerika ist er begeistert, d.\,h. nicht etwa von der dort herrschenden Krise,\fnEE{Gemeint ist die 1932/33 ihren Höhepunkt erreichende Wirtschaftskrise.} sondern von der Aufnahme, die ihm dort zuteil wurde. Als schlichter Bildstatistiker zog er aus \&\ kam als berühmter Mann zurück, er heißt dort der Prophet der Weltplanung. Daß Gödel\IN{\goedel} sich habilitiert hat, wird Dir vielleicht schon bekannt sein, es ist alles ganz glatt verlaufen \&\ die Habilitation wurde einstimmig im Collegium genehmigt. Es hat viel für sich, wenn man arischer Abstammung ist. Es wird Dich vielleicht auch interessieren, daß mein Bruder\IN{\hahnhans} über Aufforderung von Heinz Hartmann\IN{\hartmannheinz} im Sommer an irgendeinem Psychologenkongreß\II{} ein Referat über Parapsychologie\IW{} halten wird. Thirring\IN{\thirring} hat das erste Referat\IW{}, mein Bruder\IN{\hahnhans} das zweite. Er hat sich schon geraume Zeit mit dieser Materie nicht mehr beschäftigt, aber nun kehrt er nicht ungern wieder zu dieser alten Liebe zurück.\fnEE{Ein in Berlin oder Wien geplanter einschlägiger Kongress kam nicht zustande. Vgl. Anm.~\refcn{parawienerkreis}.} Nun lebe wohl \&\ pflege Deine Gesundheit. Viele Grüße Dir \&\ Deiner Frau\IN{\ina} von dem Propheten\inneurath{} \&\ Deiner} \grussformel{Olga} \ebericht{Brief, Dsl., \href{https://doi.org/10.48666/828533}{RC 029-11-23}, Briefkopf: msl. \original{Wien, 17.2.} ergänzt durch hsl. \original{33}; das Datum ganz oben nochmals hsl.}