\brief{Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 19. Jänner 1933}{Jänner 1933} %Prag, den 19. Jan. 1933. \anrede{Lieber Schlick,} \haupttext{inzwischen wirst Du vermutlich schon durch Waismann erfahren haben, daß es mir gut geht. Anfangs war ich noch sehr müde, aber das war ja durch die Grippe erklärlich. Inzwischen fühle ich mich wieder ganz munter. Und darum habe ich auch dem hiesigen Arzt\IN{\gutmanndr} geglaubt, als er mich auf Grund einer nochmaligen Röntgenaufnahme für gesund erklärte; er meinte, daß Prof. Schlesinger\IN{\schlesingerprof} übermäßig vorsichtig sei (dieser hatte mir gesagt und auch dem hiesigen Arzt geschrieben, ich müsse mindestens 3 Monate Kur machen). Wir haben hier im Febr. 2 Wochen Ferien; da werde ich wahrsch[einlich] hier in die Berge fahren. Mein Sohn Johannes\IN{\johannes} (10 Jahre) war sehr froh, daß ich endlich kam, wenn auch die geplante Skireise nicht unternommen werden konnte und ich hier nicht zu vielem gemeinsamen Tun fähig war. In den Tagen, als ich noch lag, spielte er mir viel und eifrig auf seiner Blockflöte vor, oder wir spielten mal Schach. Nachher half er beim Auspacken von 26 Bücherkisten, die ich jetzt aus Freiburg habe kommen lassen, wo sie einige Jahre beim Spediteur gelegen hatten. Das gab eine arge Kramerei. Popper\IN{\popper} schickte mir kürzlich Abschrift eines Briefes von Gomperz\IN{\gomperz} über sein MS\IW{\popperldf} (Gutachten für Mohr\II{\mohrverlag}, das aber keinen Erfolg gehabt hat). Gomperz\IN{\gomperz} sagt da, daß in den Punkten, wo P[opper]\IN{\popper} mit uns (Wiener Kreis\II{\schlickzirkel}) übereinstimme, seine Darstellung leichter zugänglich sei, weil weniger paradox und mehr dem üblichen Sprachgebrauch entsprechend; und daß in den Punkten, wo P[opper]\IN{\popper} unsre Ansichten kritisiere, er in näherer Übereinstimmung mit dem tatsächlich geübten Verfahren der Naturwissenschaft sei. Mir scheint, daß G[omperz]\IN{\gomperz} hiermit nicht so ganz Unrecht hat. Ich selbst meine, daß wir aus den Ausführungen\IW{\popperldf} von P[opper]\IN{\popper} wirklich etwas lernen könnten, und ich würde die Veröffentlichung seiner Arbeit (in gekürzter Form) für sehr wünschenswert halten. Frank\IN{\frankphilipp} erzählte mir von dem Plan der Salzburger Tagung\II{}. Das ist ja sehr erfreulich. Ich hoffe sehr, daß Du auch teilnehmen und vortragen wirst. Gestern trug hier Cassirer\IN{\cassirerernst} vor, heute abend wieder. Man muß doch den Kopf schütteln. Zwar nicht eigentl[iche] Metaphysik (das wird heute erst kommen, wo er über Bergson\IN{\bergson} spricht), aber kein Satz ohne Metapher, das Ganze eine poetische Paraphrase gewisser an sich interessanter Tatsachen der Psychologie der Sprache. Und das ist noch der Wissenschaftlichste der ganzen Gesellschaft! Hoffentlich bessert sich Dein Befinden trotz dem Winter weiterhin. Sicher wirds dann der Fall sein, wenn Du im März die ersehnte Sonne wieder genießen wirst. Mit herzlichen Grüßen} \grussformel{Dein\\ R. Carnap} \ebericht{Brief, msl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/870803}{MS 95/Carn-34 (Dsl. RC 029-28-32)}; Briefkopf: gestempelt \original{Prof. Dr. Rudolf Carnap \,/\, Prag XVII. \,/\, N. Motol, Pod Homolkou}, msl. \original{Prag, den 19.\,Jan. 1933} \blockade{Bleistiftnotiz}.}