Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 19. Jänner 1933 Jänner 1933

Lieber Schlick‚

inzwischen wirst Du vermutlich schon durch Waismann erfahren haben, daß es mir gut geht. Anfangs war ich noch sehr müde, aber das war ja durch die Grippe erklärlich. Inzwischen fühle ich mich wieder ganz munter. Und darum habe ich auch dem hiesigen ArztPGutmann, Lungen- und Röntgenarzt in Prag geglaubt, als er mich auf Grund einer nochmaligen Röntgenaufnahme für gesund erklärte; er meinte, daß Prof. SchlesingerPSchlesinger, Wilhelm, 1869–1947, öst.-schweiz. Mediziner übermäßig vorsichtig sei (dieser hatte mir gesagt und auch dem hiesigen Arzt geschrieben, ich müsse mindestens 3 Monate Kur machen). Wir haben hier im Febr. 2 Wochen Ferien; da werde ich wahrsch[einlich] hier in die Berge fahren.

Mein Sohn JohannesPCarnap, Johannes, 1922–2012, auch Brüderle, Pfarrer, Sohn von Rudolf und Elisabeth Carnap (10 Jahre) war sehr froh, daß ich endlich kam, wenn auch die geplante Skireise nicht unternommen werden konnte und ich hier nicht zu vielem gemeinsamen Tun fähig war. In den Tagen, als ich noch lag, spielte er mir viel und eifrig auf seiner Blockflöte vor, oder wir spielten mal Schach. Nachher half er beim Auspacken von 26 Bücherkisten, die ich jetzt aus Freiburg habe kommen lassen, wo sie einige Jahre beim Spediteur gelegen hatten. Das gab eine arge Kramerei.

PopperPPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper schickte mir kürzlich Abschrift eines Briefes von GomperzPGomperz, Heinrich, 1873–1942, öst.-am. Philosoph, verh. mit Adele Gomperz über sein MSBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 (Gutachten für MohrIVerlag Mohr, Tübingen, das aber keinen Erfolg gehabt hat). GomperzPGomperz, Heinrich, 1873–1942, öst.-am. Philosoph, verh. mit Adele Gomperz sagt da, daß in den Punkten, wo P[opper]PPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper mit uns (Wiener KreisISchlick-Zirkel, Wiener Kreis) übereinstimme, seine Darstellung leichter zugänglich sei, weil weniger paradox und mehr dem üblichen Sprachgebrauch entsprechend; und daß in den Punkten, wo P[opper]PPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper unsre Ansichten kritisiere, er in näherer Übereinstimmung mit dem tatsächlich geübten Verfahren der Naturwissenschaft sei. Mir scheint, daß G[omperz]PGomperz, Heinrich, 1873–1942, öst.-am. Philosoph, verh. mit Adele Gomperz hiermit nicht so ganz Unrecht hat. Ich selbst meine, daß wir aus den AusführungenBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 von P[opper]PPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper wirklich etwas lernen könnten, und ich würde die Veröffentlichung seiner Arbeit (in gekürzter Form) für sehr wünschenswert halten.

FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank erzählte mir von dem Plan der Salzburger TagungI. Das ist ja sehr erfreulich. Ich hoffe sehr, daß Du auch teilnehmen und vortragen wirst.

Gestern trug hier CassirerPCassirer, Ernst, 1874–1945, dt.-am. Philosoph vor, heute abend wieder. Man muß doch den Kopf schütteln. Zwar nicht eigentl[iche] Metaphysik (das wird heute erst kommen, wo er über BergsonPBergson, Henri, 1859–1941, fr. Philosoph spricht), aber kein Satz ohne Metapher, das Ganze eine poetische Paraphrase gewisser an sich interessanter Tatsachen der Psychologie der Sprache. Und das ist noch der Wissenschaftlichste der ganzen Gesellschaft!

Hoffentlich bessert sich Dein Befinden trotz dem Winter weiterhin. Sicher wirds dann der Fall sein, wenn Du im März die ersehnte Sonne wieder genießen wirst.

Mit herzlichen Grüßen

Dein
R. Carnap

Brief, msl., 1 Seite, MS 95/Carn-34 (Dsl. RC 029-28-32); Briefkopf: gestempelt Prof. Dr. Rudolf Carnap  /  Prag XVII.  /  N. Motol, Pod Homolkou, msl. Prag, den 19. Jan. 1933Bleistiftnotiz.


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