\brief{Ina Carnap an Carl G. Hempel, 13. November 1932}{November 1932} %\{Ina an Hempel\} %prag, den 13.november 1932. \anrede{lieber kleiner hampelante,} \haupttext{eben las ich die in den letzten monaten zwischen ihnen und c[arnap]\IN{\carnap} gewechselten briefe und fand, daß c[arnap]\IN{\carnap} schon am 18.\,oktober angekündigt hat, daß ich bald schreiben will. ich habe ihnen ja auch noch gar nicht für ihren brief vom 18.\,september gedankt, der mich durch seine herzlichkeit und länge sehr entzückt hat. aber -- na ja, sie hatten schon ein bissle recht, aus meinem letzten brief ,,herbstliche wehmut`` zu spüren; ich kann selber nicht genau sagen, worauf sie zurückzuführen ist. am ehesten darauf, daß mich der heurige sommer nicht recht befriedigt hat. in meiner erinnerung sind die tage, die wir mit ihnen zusammen verbracht haben, die schönsten dieses sommers, besonders unsere schöne bergwanderung! die leut nachher haben mich innerlich ein bissle angestrengt, besonders das kasperle\IN{\kasper}. wieso, ist allerdings schwer zu erklären. vielleicht, weil sie ein mensch ist, der mit ziemlich großen forderungen an den andern herangeht. ich bin nach einem längeren zusammensein mit ihr immer ein bissle gereizt und verwundet. sehen sie, hier, in unsrer einsiedelei, spinne ich mich immer in selbstzufriedenheit ein; das ist in meinem fall nicht eine gefahr, sondern mir nötig, weil ich ohnedies sehr zu grübeleien und forderungen neige. das kasperle\IN{\kasper} löst diese selbstzufriedenheitshülle immer mit ein paar sätzen und dann kommt eine arme nackte ina zum vorschein. da hätte ich so einen guten hampelantentröster wieder brauchen können! schade, daß das trösten entgleister studentinnen nur den lohn der tugend, nicht aber finanziellen lohn mit sich bringt; sonst würde ich sagen, daß sie sich sicher für keinen andern beruf so gut eignen, wie für diesen. meine herbstliche wehmut ist noch immer nicht ganz überwunden, obwohl wir nun schon reichlich lange wieder in unsrer geliebten einsamkeit sind und ich muß ihnen bekennen, daß ich mein kurze zeit eifrig betriebenes studium auch wieder abgebrochen habe, teils aus zeitmangel, teils weil mir speziell die modalitätsarbeit nicht mehr lohnend vorkommt, da carnap -- angeregt durch meine diesbezüglichen fragen -- ein kapitel über intensionale logik in den zweiten teil der metalogik hineingenommen hat. nun sieht sich mein kuchen gänzlich der rosinen beraubt und will deshalb nicht mehr gedeihen. ich habe den mut noch nicht ganz verloren, aber ich bekucke mich doch schon mit immer bedenklicheren augen. na ja, abwarten! es ist sehr schade, daß sie jetzt so lange nicht kommen können. aber wir sehen natürlich die wichtigkeit des examens ein. aber wenn es vorbei ist, müssen sie möglichst bald kommen. hier freuen sich 2 leut \IN{\carnap} \IN{\ina} sehr auf sie. und ich nicht so sehr in der selbstsüchtigen absicht, von ihnen etwas zu wollen, sondern einfach weil sie so ein lieber kleiner hampelante sind, mit schrecklich guten und gläubigen augen. gehts ihnen gut, abgesehen von aller hetze und plagerei? ist es sehr indiskret, wenn ich frage, ob das kasperle\IN{\kasper} mit ihren psychoanalytischen vorschlägen bei ihnen erfolg gehabt hat? (eigentlich soll ich nix davon wissen, nur der herbert\IN{\feigl} hat mirs anvertraut, der mir auch sehr dazu riet) ich kenne sie ja allerdings nicht so gut, wie das kasperle\IN{\kasper}; ich würde aber denken, daß viele ihrer schwierigkeiten sich mit der zeit von selber geben. ich muß gestehen, daß mir die letzten jahre und besonders das zusammensein mit c[arnap]\IN{\carnap} in sehr vielen hemmungen und grübelein geholfen haben; und ich glaube ja nicht, daß ein analytiker auch nur ein zehntel davon erreicht hätte. aber vielleicht ist das nun eine unbewußte opposition gegen das kasperle\IN{\kasper}, die sie nicht beeinflussen soll. wir haben an dem radio viel freude, besonders c[arnap]\IN{\carnap}, aber auch für mich ists jetzt sehr nett, wenn ich mich ein bissle einsam fühle und nur einzustellen brauche und dann schon deutsch sprechen höre. sie sollen mir nicht antworten, wenn sie viel arbeit haben. aus herbstlicher wehmut muß man sich doch alleine aufrappeln. ach, ich habe ganz vergessen, daß sie bericht über die münchner tage wollten. es ging alles relativ gut vor sich. \neueseite{} carnap\IN{\carnap} war immer bei seiner familie, ich bei meiner freundin. einmal war ich bei frau carnap\IN{\rjcarnapmutter} zum abendbrot, wir haben aber nur zwei freundliche sätze gewechselt. christiansen\IN{\christiansen} hatte mir ein gemeinsames mittagessen vorgeschlagen, aber dann doch wieder abgesagt; so haben wir uns gar nicht zu gesicht gekriegt. mir hat frau carnap\IN{\rjcarnapmutter} äußerlich gut gefallen, sie hat einen sehr feinen, schönen kopf; aber menschlich passen wir sicher gar nicht zusammen. dazu kommt natürlich noch die gegenseitige ablehnung um carnaps\IN{\carnap} willen. es hat meiner ansicht nach auch gar keinen zweck, wenn man sich zu gegenseitiger sympathie zu zwingen versuchte, nur weil da ein mann als bindeglied vorhanden ist. kühle saubere verhältnisse, sind immer am besten da. meine kiefergeschichte scheint noch nicht ganz in ordnung zu sein, ich war aber bisher zu indolent, um röntgen zu lassen. in der kommenden woche wird neurath einige tage hier sein; ich freu mich drauf, ich mag ihn recht gut leiden[.] es tut mir leid, daß ich carnaps\IN{\carnap} schwedenreise nicht mitmachen konnte. ich hätte mir gern ,,schloß gripsholm`` in der nähe besehen. ich hab in der letzten zeit wieder allerhand gelesen, das mir gut gefiel. von manfred hausmann\IN{\hausmann} (kleine liebe!): salut gen himmel\IW{}, leonhard frank\IN{}: die ursache\IW{}, peter flamm\IN{}: du?\IW{} aber wozu zähle ich auf, da sie jetzt ja doch keine zeit zum lesen haben. lieber hampelante, es soll ihnen so gut als möglich gehen! herzlichst} \grussformel{ihre\\ ina} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/848322}{RC 102-14-46}; Briefkopf: msl. \original{prag, den 13.\,november 1932}.}