Vielen Dank für Deinen Brief. Ich fände es ungemein nett, wenn die Gesamtkorrektur unserer beiden TexteBNeurath, Otto!1932@„Protokollsätze“, Erkenntnis 3, 1932/33, 204-214B1932@„Über Protokollsätze“, Erkenntnis 3, 1932/33, 215–2281Neurath, „Protokollsätze“; Carnap, „Über Protokollsätze“. bis zum 17. Nov. in Prag sein könnte. Bitte setze das durch. Wir könnten dann zusammen drüber brüten.
Eben telephoniert mich HahnPHahn, Hans, 1879–1934, öst. Mathematiker, Bruder von Olga Neurath, verh. mit Eleonore Hahn an, er ist einverstanden mit den Grundsätzen, nach denen wir die SchriftenreiheIEinheitswissenschaft, Schriftenreihe vom Institut für EinheitswissenschaftI„Institut für Einheitswissenschaft“, Abteilung im Mundaneum. Herausgeber der Reihe „Einheitswissenschaft“ herausgeben. Ich erwarte jetzt nur noch dringend Deine und FranksPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank Zustimmung. Ursprünglich wollte ich eine Majorisierung auch für möglich erklären, wobei das InstitutI„Institut für Einheitswissenschaft“, Abteilung im Mundaneum. Herausgeber der Reihe „Einheitswissenschaft“ aber mehr zu sagen gehabt hätte. Da FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank die Unterlippe dazu verzog, habe ich nun die Einstimmigkeit hineingesetzt. Entweder sind wir einig oder nicht. Ich hoffe immer und immerdar, soweit es in der Gelehrtenrepublik nötig ist.
Du magst mit der Eiligkeit meiner AufsätzeBB nicht ganz unrecht haben. Aber – ich konstatiere aus vielen Gesprächen, daß die AufsätzeBB reichlich gelesen werden und, wie es scheint, stark wirken. Schau, was haben wir nicht dem WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph alles nachsehen müssen. Ich hoffe, daß ich immerhin einiges W esentliches zu sagen habe. Es wird sich jetzt alles bessern, durch Schaffung des InstitutsI„Institut für Einheitswissenschaft“, Abteilung im Mundaneum. Herausgeber der Reihe „Einheitswissenschaft“ bekomme ich Mitarbeiter, die meine SachenaSache durchlesen, mit mir besprechen, wie dies z. B. schon mit meiner Arbeit über PsychologieBNeurath, Otto!1933@„Einheitswissenschaft und Psychologie“, = Einheitswissenschaft 1, 1933 der Fall ist.2Neurath, Einheitswissenschaft und Psychologie.
Wir haben jetzt beim MundaneumIMundaneum Institut Den Haag angestellt: Marie Jahoda-LazarsfeldPJahoda, Marie, 1907–2001, öst.-brit. Sozialpsychologin, verh. mit Paul Lazarsfeld, die psychologisch sehr gut beschlagen ist, sie wird auch bei Einheitswissenschaft mithelfen. Dann bekommen Arbeitsstipendien Rose RandPRand, Rose, auch Randin, 1903–1980, öst.-am. Philosophin (systematische Schematisierung der Arbeiten des Wiener KreisesISchlick-Zirkel, Wiener Kreis)‚🕮{}Walter HollitscherPHollitscher, Walter, 1911–1986, öst.-dt. Philosoph (geographische Verteilung des Positivismus, Physikalismus usw., systematische Schematisierung von Physikalisten und Metaphysikern. Fragebogen in Ausarbeitung. Mit Plus-Minus Ausfüllung einzelner Elementarthesen nach Art der angelsächsischen Soziologen).3Zu diesem von Rand zusammengestellten Fragebogen (publiziert in Stadler, Studien zum Wiener Kreis, Kap. 7. 1. 1.5) siehe auch unten, Brief Nr. und . Weitere ArbeitsstipendienbArbeitsstipendium sind in Aussicht genommen. Ich hoffe, HempelPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel und DubislavPDubislav, Walter, 1895–1937, dt. Philosoph beschäftigen zu können. Zunächst gilt es Mittel vermehren. Der Anfang sieht gut aus. Den Start zahlt das MundaneumIMundaneum Institut Den Haag.
Die wirkliche Durchführung der Physikalisierung für die Einzelwissenschaften sehr wichtig. Wir beginnen jetzt mit verschiedenen Themen. (Hans HahnPHahn, Hans, 1879–1934, öst. Mathematiker, Bruder von Olga Neurath, verh. mit Eleonore Hahn wird die Erörterungen über moderne Mechanik freundlich betreuen.) 1. Psychoanalyse 2. Mechanik 3. Zellphysik 4. Einzelkapitel aus Soziologie und Nationalökonomie. Alles ist sehr bewegt. NeiderPNeider, Heinrich, 1907–1990, öst. Verleger arbeitet mit, wird, wenn ich abwesend bin, die Besprechungen leiten.
Ich werde jetzt sehn, daraus eine internationale Organisation zu machen. Vielleicht ist Holland ein guter Boden für so was. Dort stehe ich mit der UniversitätI sehr gut. Vielleicht kann man dort Logisierenden Empirismus als Arbeitsgebiet einführen und eine Nebenstelle einrichten.
Die MundaneumIMundaneum Institut Den Haag-Nebenstelle ist bereits gegründet. Unser wissenschaftlicher Assistent BauermeisterPBauermeister, Friedrich, *1893, dt. Nationalökonom übersiedelt mit Kind und Kegel nach Amsterdam. Da er in Moskau aufgehalten ist, muß jetzt ReidemeisterPNeurath, Marie, 1898–1986, geb. Reidemeister, auch Reidemeisterin, Mieze, MR, Mary, dt.-brit. Pädagogin und Sozialwiss., Schwester von Kurt Reidemeister, heiratete 1941 Otto Neurath nach Amsterdam fahren, um die Nebenstelle einzurichten. Sie wird die ersten Verhandlungen mit Gemeinde, Universitätsinstitut usw. zu führen haben, die ich vor kurzem sehr erfolgreich einleitete. Wahrscheinlich habe ich am 11. Nov. Vortrag in Amsterdam, dann eine interessante Physikalisierungsbesprechung mit Individualpsychologen, vorbereitet von DubislavPDubislav, Walter, 1895–1937, dt. Philosoph, in Berlin. Die theoretische 🕮{}Enge der Individualpsychologen wird besonders bei dieser Gelegenheit offenbar. Am 17. spreche ich bei Euch in Prag.4Zu diesem Prager Vortrag vgl. oben, Brief Nr. und ; zu den Vorträgen in Amsterdam und Berlin konnte nichts Näheres eruiert werden.YYY-K Vorträge Berlin und Amsterdam eruieren Ein weiterer, hier nicht genannter Vortrag Neuraths „vor einem Kreis von Psychologen“ fand kurz vor Abfassung dieses Briefes in Wien statt; vgl. den offensichtlich als Beilage mitgeschickten kurzen Bericht („Es gibt nur eine Wissenschaft“, Arbeiterzeitung, Nr. 303, 2. November 1932, S. 6; RC 029-12-14).
Ich hoffe, daß ich durch Schaffung des Instituts für EinheitswissenschaftI„Institut für Einheitswissenschaft“, Abteilung im Mundaneum. Herausgeber der Reihe „Einheitswissenschaft“ mich mit mehr Ruhe der wissenschaftlichen Arbeit widmen kann, das fällt dann in meine Amtsobliegenheiten, während ich ja früher immer außer der Amtszeit Wissenschaft trieb, einerseits bis 1 oder 2 Uhr nachts und oft ab 4 oder 5 Uhr morgens. Die Besprechungen, die wir jede Woche haben, finden bereits in der Ullmannstraße statt. Es wird alles gut werden. Ich hoffe, daß das Ende so ernsthaft und wissenschaftlich ordentlich sein wird, wie meine Gesamtarbeit im Leben bisher war. Ich will nichts verderben. Bisher wenigstens hat man meiner Wissenschaftlichkeit eigentlich nichts vorgeworfen. Ich stelle keine leichtfertigen Behauptungen auf. Meist sind sie jahrelang erprobt, höchstens etwas schlampig formuliert. Besserung angelobt.
Bin sehr einverstanden, wenn PopperPPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper von anderen Ausgangspunkten her zu seiner Auffassung gekommen ist. Du weißt, ich habe manchmal so „Ahnungen“. Irgendwas ist bei mir kritisch erregt, wenn ich über ihn höre. Es ist wenig genug.
Also Carnap, das ist so:
Ich möchte unterscheiden:
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- Glossogonen Unsinn.1Diese Terminologie stammt von Adolf Stöhr; vgl. Neurath, Einheitswissenschaft und Psychologie, 8 / GphmS 592, bzw. Stöhr, „Ist Metaphysik möglich?“.5Diese Terminologie stammt von Adolf Stöhr, wie Neurath an anderen Stellen (z. B. Einheitswissenschaft und Psychologie, 8 / GphmS 592) explizit festhält; vgl. etwa Stöhr, „Ist Metaphysik möglich?“, ein Aufsatz, der zuerst als Vortrag in der Philosophischen Gesellschaft an der Universität zu Wien gehalten wurde, in der auch Neurath vor dem Krieg mehrfach vortrug. Die Lautgruppen sind keine „Worte“, z. B. das „Nichten“ ist gar nicht einfügbar in die Sprache.
- Kontradiktion. Logischen Unsinn. Einer sagt, er wolle nach Sankt Pölten fahren, um zu sehn, ob es wahr ist, daß dort ein Baum A um 1 Meter größer ist als der Baum B, der seinerseits um 1 m größer ist als A. Negierung der Logik.
- Jeder der beiden Sätze: A ist größer als B und B ist größer als A sind für sich allein sinnvoll. DencDer, den ich aufgebe, nenne ich falsch. Im allgemeinen bei Realsätzen im Vergleich zum Satzsystem, das angenommen wurde. Sozusagen falsch ist die halbe Kontradiktion!
Wie ists nun bei Dir. ErkenntnisIErkenntnis, Zeitschrift. MetaphysikB1931@„Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, Erkenntnis 2, 1931, 219–241. S. 220.6Carnap, „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“.
„Wien hat 6 Einwohner“– „Wien hat mehr als 6 Einwohner“
„A ist älter als B“– „B ist älter als A“
Ich fände, daß jede der beiden Kontradiktionen aufrecht erhalten als Produkt ein logischer Unsinn ist. Daß die geopferte Hälfte in beiden Fällen „falsch“ ist. In beiden Fällen ist jede der beiden Seiten sinnvoll, der Widerspruch liegt in beiden Fällen im Produkt.
Meinst Du nun in Deinem AufsatzB1931@„Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, Erkenntnis 2, 1931, 219–241– der noch die alte Verifikationsanschauung hat –dhat‚ das, was ich hier sage, oder willst Du zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Kontradiktionen einen Unterschied machen.
Es handelt sich nicht um eine terminologische Sache. Ich würde, um mit Dir auf gleich zu kommen, gerne meine Terminologie ändern. Vorläufig habe ich gedrittelt, damit ich jeder Formulierung von Dir eine von mir zuordnen kann, aber Du trennst hier zwei Dinge, die zusammengehören …oder vielleicht tust Dus auch nicht.
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Carnap: | Neurath: | Carnap | Neurath |
Sinnlos | Glossogon sinnlos |               einig |
Logisch falsch | Logisch sinnlos | ? | Kontradiktion |
Empirisch falsch | Falsch | ? | Halbe |
| | | Kontradiktion |
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Da ich meine ArbeitB zu Druck geben will, wäre mir sehr lieb, wenn Du das ein wenig ernsthafter diskutieren würdest. Es handelt sich nicht nur darum, ob man 1., 2. oder 2., 3. mit demselben Namen versieht. In 2 und 3 scheinen sich nicht ohneweiters unsere Meinungen zu decken. Aber 🕮{}vielleicht doch, wenn Du „falsch“ in der neuen Art definierst.
Hast Du vom PsychologieaufsatzB1932@„Psychologie in physikalischer Sprache“, Erkenntnis 3, 1932/33, 107–142 Korrekturabzüge?7Carnap, „Psychologie in physikalischer Sprache“. Bitte sende sie mir, damit ich Dich zitieren kann. Ich werde doch sicherlich in meinem VortragBNeurath, Otto!1932@„Einheitswissenschaft und Psychologie“ (= Bericht zu dem Vortrag am 14.X.1932 im Verein Ernst Mach), Erkenntnis 3, 1932/33, 233-234, der jetzt erscheint, irgendwie von Dir beeinflußt gewesen sein.8Neurath, Einheitswissenschaft und Psychologie. Eventuell eine Fahne, die nicht durchkorrigiert ist.
Du bekommst Ende nächster Woche den Korrekturabzug meines VortragsBNeurath, Otto!1932@„Einheitswissenschaft und Psychologie“ (= Bericht zu dem Vortrag am 14.X.1932 im Verein Ernst Mach), Erkenntnis 3, 1932/33, 233-234. Ca. 1½ Bogen.
Die ErkenntnisIErkenntnis, Zeitschrift kaufen wir gebunden im ganzen. Im übrigen sind wir für Spenden von Separata sehr verbunden, weil man fortwährend Deinen heiligen Namen eitel nennt. Eine konkrete Aussprache bezieht sich nie auf WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph, der nur mit Wahrheitsfunktion erwähnt zu werden pflegt, wohl aber auf Deine Formulierungen. Gestern wurde sogar Text von mir zuhause telephonisch der Diskussion übermittelt.
Also die SemantikB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 in der SammlungI Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung, Buchreihe. Schade, daß sie so übel heißt. Im übrigen Hurrah! Ich habe mehrere Wünsche, die Du für unsere SammlungIEinheitswissenschaft, Schriftenreihe allgemach erfüllen mußt. Wir haben den Maximalumfang so begrenzt, daß keine Konkurrenz zur Schlick-FranksammlungI Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung, BuchreihePSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy SchlickPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank entstehen kann. Auch durch die Art der Darstellung nicht.
Angeblich beginnt der ZirkelISchlick-Zirkel, Wiener Kreis.
Euch beiden alles Gute. Aufs baldigste Wiedersehn.
Herzlich