\brief{Karl Popper an Rudolf Carnap, 1. November 1932}{November 1932} %\{1. 11. 32\} \anrede{Sehr geehrter Herr Professor!} \haupttext{Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief, der mich in jeder Hinsicht sehr gefreut hat. Besonders lieb ist es mir auch, daß Sie meine Note ,,Ein Kriterium des empirischen Charakters\ldots{}``\IW{\popperkriterium} in der ,,Erkenntnis``\II{\erkenntnis} veröffentlichen wollen. Da ich \uline{Reichenbachs}\IN{\reichenbach} Adresse nicht habe\fnC{Hsl. \original{Durch eine Installation in unseren Wohnung ist mir leider derzeit der Kasten nicht zugänglich, in dem die ,,Erkenntnis``\II{\erkenntnis}-Hefte sind.}} und die Einsendung wahrscheinlich sehr dringend ist, so lege ich das -- nach Ihren Vorschlägen umgearbeitete -- Manuskript der Note diesem Brief bei und bitte Sie, zu entschuldigen, daß ich Ihnen auf diese Weise die Mühe mache, es an Reichenbach\IN{\reichenbach} weiterzuschicken. Für Ihre Änderungsvorschläge bin ich sehr dankbar. Ich habe alle drei durchgeführt. Die Anführung Ihres Aufsatzes\IC{\protokollsaetze} in der einen \uline{Fußnote} (die nunmehr unterbleibt) hatte übrigens nur den \uline{einen} Zweck, für meine Ersetzung des Wittgensteinschen\IN{\wittgenstein} Ausdrucks ,,Elementarsatz`` durch ,,Beobachtungssatz`` einen Eideshelfer zitieren zu können (nicht aber den Zweck, Sie anzugreifen)! -- Mit Recht erklären Sie die Frage eines Einflusses von Neurath\IN{\neurath} auf mich für unwesentlich: Schon deshalb, weil sich mein Standpunkt von dem Neuraths\IN{\neurath} sehr stark unterscheidet. Da aber Neurath\IN{\neurath}, der die Verhältnisse ja nicht kennt, meine Unabhängigkeit bezweifelt, so möchte ich doch feststellen, daß ein Einfluß von ihm auf mich nicht stattgefunden haben kann, auch keiner auf Umwegen. Noch einige sachliche Bemerkungen zu Ihrem Aufsatz\IC{\protokollsaetze}! (Ich habe in Burgstein, anläßlich unserer Debatten über Neuraths Manuskript\IW{\neurathprotokoll}, u.\,a. auch etwa folgende Formulierung vertreten:) \fnAmargin{Ksl.}In meinem ,,System`` gibt es so etwas, wie ,,Elementar-,`` ,,Atom``-, oder ,,Protokollsätze`` überhaupt nicht. Wenn ich mich jedoch, um die Gegensätze schärfer herausarbeiten zu können, der gegenwärtigen Terminologie des Wiener Kreises\II{\schlickzirkel} bediene, so müßte ich sagen: Es gibt überhaupt \uline{keine} Protokollsätze, - wenn man unter Protokollsätzen irgendwelche formal oder material ausgezeichnete singuläre Sätze versteht; -- oder aber, wenn man will: \uline{jeder} singuläre Satz kann durch Beschluß als genügend gesichert betrachtet werden, und damit jene Funktion übernehmen, die der Positivismus den Protokollsätzen zuweist, -- \uline{keiner} ist aber (etwa durch seine logische Form) dazu mehr disponiert, als ein anderer. Bei welchen Sätzen tatsächlich haltgemacht wird, darüber entscheiden je nach der methodologischen Situation bestimmte methodologische Prinzipien (die ich im Zusammenhang mit dem Abgrenzungsproblem formuliere). Ich hoffe, Ihnen bald den Entwurf zu meinem Artikel (,,Zur Diskussion über die Protokollsätze``)\IW{}, der auch den Deduktivismus und das Abgrenzungsproblem kurz darstellen soll, schicken zu können. Abschließen werde ich den Artikel natürlich erst dann können, wenn mir Neuraths\IW{\neurathprotokoll} und Ihr Artikel\IC{\protokollsaetze} in endgültiger Fassung zugänglich sein werden. \textkritik{Mit nochmaligem Dank und den herzlichsten Grüßen}\fnA{Hsl.}} \grussformel{Ihr\\ Karl Popper} \briefanhang{\textkritik{Wien, 1.\,XI.\,1932\\ 13., Anton Langerg. 46.}\fnA{Hsl.}} \ebericht{Brief, msl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/871351}{RC 102-59-70}.}