\brief{Rudolf Carnap an Karl Popper, 28. Oktober 1932}{Oktober 1932} %Prag, den 28.Okt.1932. \anrede{Lieber Herr Dr. \textit{Popper}!} \haupttext{Besten Dank für Ihren Brief. Es ist sehr gut, daß Sie mir offen und ausführlich geschrieben haben. Gleichzeitig schrieb mir auch Neurath\IN{\neurath}; er meint, daß Ihre ,,Unabhängigkeit`` doch nicht sicher sei. Mir scheint nun die Sache so zu liegen: N[eurath]\IN{\neurath} hat in unserm Kreis\II{\schlickzirkel} als erster die Unwiderruflichkeit der Prot[okoll]sätze abgelehnt und damit einen wichtigen Schritt zur Überwindung des ,,Absolutismus`` getan; Sie haben einen Weg zu noch radikalerer Überwindung gezeigt und auch durchgeführt. Die Frage, ob auf irgendeinen Weg ein Einfluß einer N[eurath]schen\IN{\neurath} Idee auf sie ausgeübt worden ist, scheint mir nun unwesentlich; wesentlich, daß Ihr Weg einen konsequenten Bestandteil Ihres Systems bildet und daher in jedem Fall eine eigene Leistung darstellt. In diesem Sinn habe ich jetzt die verschied[enen] Stellen formuliert, unter teilweiser Benutzung Ihrer Vorschläge. Ich glaube, hierdurch jetzt sowohl Ihnen wie N[eurath]\IN{\neurath} gerecht geworden zu sein. Ich habe den Unterschied zwischen Ihnen und N[eurath]\IN{\neurath} stärker hervorgehoben, die Selbständigkeit Ihres Ausgangspunktes betont und gezeigt, daß Sie weiter als er gelangt sind. Ich bin überzeugt, daß Sie befriedigt sein werden. \uline{Ihre Note} ,,Ein Kriterium\ldots{}``\IW{\popperkriterium} will ich sehr gern in der ,,Erk[enntnis]``\II{\erkenntnis} veröffentlichen. Ich schreibe darüber an Reichenbach\IN{\reichenbach}, und bitte Sie, das MS\IW{\popperkriterium} dann an ihn zu schicken. Er verfügt über Zeit und Heft der Veröff[entlichungen]. Ich werde ihn bitten, die Note möglichst noch in demselben Heft wie meinen Aufsatz erscheinen zu lassen. Darf ich Ihnen vielleicht noch zwei oder drei unbedeutende Änderungsvorschläge machen? Ich schicke Ihnen das MS\IW{\popperkriterium} zurück, für den Fall, daß Sie ändern wollen; das steht Ihnen aber selbstverständlich ganz frei. 1) S.\,1 Mitte. Schlick\IN{\schlick} sagt nicht ,,Scheinsätze``, sondern ,,Anweisungen zur Bildung von Sätzen`` (od. Aussagen). Wollen Sie nicht dies auch stattdessen sagen? Wenn Sie aber doch ,,Scheinsätze`` sagen wollen, so dürfen Sie es jedenfalls nicht in Anführungszeichen setzen; und besser wohl auch durch den Wortlaut deutl[ich] zum Ausdruck bringen, daß dies \uline{Ihre} Schlußfolgerung ist; viell[eicht]: ,,\ldots{}; sie sind also dann Scheinsätze.`` 2) S.\,2, Anm. Ich glaube, Sie sollten mich hier ganz streichen, da in meinem späteren Aufsatz\IC{\physikalischesprache} eine Auffassung vertreten wird (vgl. Erk[enntnis]\II{\erkenntnis} II, S.\,439 unten, 440 oben), die in dem Punkt der Nichtableitbarkeit der Naturgesetze aus den Beob[achtungs]sätzen genau mit Ihrer hier ausgesprochenen übereinstimmt, jedenfalls von Ihrer Kritik nicht mehr getroffen wird. 3) Ich bin nicht sicher, ob Ihr Terminus ,,zurückführen`` bezw. ,,zurückbar`` zweckmäßig ist. Sie bekämpfen die Ansicht, daß die Naturgesetze aus \ldots{}\uline{ableitbar} sind. Unter der ,,Zurückbarkeit`` mag man zuweilen (z.\,B. Wittg[enstein]\IN{\wittgenstein}) dieses Falsche verstehen. Man kann darunter aber auch die richtige Meinung verstehen, daß die Ng.\blockade{Naturgesetze} keinen Bestandteil enthalten, der nicht in Beob[achtungs]sätze übersetzbar wäre; genauer: daß ein Ng. gehaltgleich ist mit einer (nicht notwendig endlichen) Menge von Beob[achtungs]sätzen. Der Terminus ,,ableitbar`` würde deutlicher den Induktivismus kennzeichnen. Mit herzlichem Gruß} \grussformel{Ihr\\ \blockade{ksl.}} \ebericht{Brief, msl. Dsl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/871349}{RC 102-59-71}; Briefkopf: msl. \original{Prag, den 28.\,Oktober 1932}.}