Karl Popper an Rudolf Carnap, 14. Oktober 1932 Oktober 1932

Sehr geehrter Herr Professor‚

Sie werden sich, wie ich vermute, wundern, welcher Angelegenheit dieser Brief in erster Linie gewidmet ist: Der des „CARNAP-Effekts“.

Ich habe seit Burgstein sehr oft darüber nachgedacht. Das Ergebnis dieser Überlegungen war für mich sehr unerwartet und dürfte auch für Sie etwas unerwartet sein: Ich habe Grund zu der Vermutung, daß der „CARNAP-Effekt“ experimentell auf sehr einfache Weise überprüft werden kann. Ich habe meine Überlegungen – selbstverständlich unter Berufung darauf, daß die Autorschaft des CARNAP-Effekts einzig und allein Ihnen zukommt – dem einzigen Experimentalphysiker, mit dem ich öfter zusammenkomme, mitgeteilt, nämlich Dr. Franz UrbachPUrbach, Franz, 1902–1969, öst.-am. Physiker, den Sie ja kennen. Dieser würde sich sehr dafür interessieren, die Experimente nach meinen Vorschlägen durchzuführen und wendet sich durch mich an Sie mit der Bitte um Ihr Einverständnis. Er hat den Plan, vorerst Professor ThirringPThirring, Hans, 1888–1976, öst. Physiker um die Durchrechnung des Experiments zu ersuchen und den Versuch erst durchzuführen, wenn, wie zu erwarten steht, das Ergebnis der Rechnung günstig ist.

Nun zu meinem bescheidenen Beitrag, von dem ich gar nicht weiß, ob er Ihnen nicht trivial erscheinen wird – so einfach ist der Gedankengang.

Ich möchte zwei Hohlkugeln mit einer verflüssigten elastischen Masse (etwa flüssigem Gummi, eventuell Stahl) füllen und diese in den Kugeln erstarren lassen. Alle Bedingungen, insbesondere die verwendete Menge des Materials sollen genau gleich sein, mit einer Ausnahme: die eine Hohlkugel (a) soll während des ganzen Erstarrungsprozesses in sehr schneller Rotation (Zentrifuge) gehalten werden, während (b) ruht.aHsl.🕮 Ist Ihre Vermutung (die nur eine strikte Konsequenz der Relativitätstheorie zu sein scheint) richtig, so müßte sich folgendes ergeben: Die beiden Kugeln verhalten sich, nachdem sie erstarrt sind, gegenüber Rotationsbeschleunigungen verschieden, und zwar wie Kugeln von verschiedener (träger) Masse: Die Kugel (a) wird sich so verhalten, als ob ihre Masse größer als die der Kugel (b) wäre, wenn beispielsweise beide (gleich schnell rotierenden) Kugeln stark gebremst werden; sie wird sich umgekehrt verhalten, wenn die beiden ruhenden Kugeln schnell in Rotation versetzt werden.

Da man durch Rotation ja sehr starke Gravitationsfelder erzeugen kann, die zweifellos auf das innere Gleichgewicht der elastischen Kräfte eine sehr merkbare Wirkung ausüben, so ist zu hoffen (genaueres wird ja die Rechnung ergeben), daß auch der CARNAP-Effekt bei dieser Anordnung meßbare Werte annimmt. Vermutlich wird die Rechnung ergeben, daß der CARNAP-Effekt für diesen Fall klassisch und relativistisch berechnet werden kann; und was ich fürchte ist, daß die Differenz der beiden Werte nicht groß genug ist, um gemessen zu werden. Es wäre zwar wunderschön, aber wohl zu schön, wenn auf diese Weise die sparsam gesäten empirischen Unterlagen der Relativitätstheorie um eine vermehrt werden könnten! (Wie Sie wissen, verstehe ich von Physik zu meinem großen Leidwesen nicht genug, um die Aussichten des Versuches nach dieser Richtung selbst ernsthaft beurteilen zu können.) Ich bitte Sie also sehr um eine baldige Antwort: um Ihre Einwilligung, die hier vorgeschlagene experimentelle Überprüfung des CARNAP-Effekts durch Dr. UrbachPUrbach, Franz, 1902–1969, öst.-am. Physiker vorerst Prof. ThirringPThirring, Hans, 1888–1976, öst. Physiker zur Begutachtung vorzulegen; falls diese positiv ausfällt, um Ihr Einverständnis, daß Dr. UrbachPUrbach, Franz, 1902–1969, öst.-am. Physiker die Versu🕮che vornimmt. –

Was mein BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 betrifft, so rührt sich nichts. KraftPKraft, Victor, 1880–1975, öst. Philosoph hat zwar mit HahnPHahn, Hans, 1879–1934, öst. Mathematiker, Bruder von Olga Neurath, verh. mit Eleonore Hahn gesprochen; aber der Erfolg war bisher gleich Null. Der Berliner Physiochemiker PolanyiPPolanyi, Karl, 1886-1964, ungar.-kanad. Ökonom, dem ich die Arbeit vor dem Sommer schickte, schrieb mir vor kurzem, daß ich mich an Philipp FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank wenden soll.

Mit herzlichsten Grüßen von meiner Frau an Sie und Ina bleibe ich

Ihr
Karl Popper

Wien, 14. X. 32‚
13. Anton Langerg. 46.
bhsl.

Brief, msl., 3 Seiten, RC 102-59-73, Briefkopf: hsl. 14. 10. 32.


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