Felix Kaufmann an Rudolf Carnap, 11. Oktober 1932 Oktober 1932

Lieber Herr Carnap!

Ich habe Ihr Ms.B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 bereits durchstudiert, denn es hat mich so gepackt, daß ich meine rechtstheoretische Arbeit unterbrochen habe, um mich ihm ganz widmen zu können. Es ist wirklich eine sehr imponierende Arbeit, die Sie da geleistet haben und ich bin fest überzeugt davon, daß Ihr BuchB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 auf die logisch-mathematische Grundlagenforschung den nachhaltigsten Einfluß ausüben wird. Ich selbst habe eine ganze Menge daraus gelernt und bin Ihnen dafür herzlich dankbar; aber was Sie von mir haben wollen, ist ja nicht Applaus, sondern Kritik und zwar vor allem Prinzipienkritik und so sende ich Ihnen eine solche mit dem Wunsche, daß Sie etwas damit anfangen können.

Zur Ergänzung möchte ich Ihnen, sobald als möglich, mein für das HusserljahrbuchI bestimmtes Ms. (von ca. 3 ½ Bogen) „Prinzipienfragen der Logik in der mathematischen Grundlagenforschung“BKaufmann, Felix!MS „Logische Prinzipienfragen in der mathematischen Grundlagenforschung“ ???, das zum beträchtlichen Teile von einschlägigen Problemen handelt, schicken. Ich hatte es seinerzeit im Sommer 1931 fertiggestellt, da es im Herbst 1931 im JahrbuchI erscheinen sollte. Aber da HusserlPHusserl, Edmund, 1859–1938, dt. Philosoph die Absicht hat, im nächsten JahrbuchI eine eigene große Arbeit zu publizieren, die noch lange nicht fertig ist, so ist einstweilen nicht abzusehen, wann sie herauskommen wird.

Ich bin aber gar nicht böse darüber, da ich noch (teilweise unter dem Einfluß der Anmerkungen, die mir Herr BehmannPBehmann, Heinrich, 1891–1970, dt. Mathematiker und Herr HempelPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel, ab 1947 mit Diane Hempel🕮 gemacht haben) manches ändern will. Nun hat mich Ihre ArbeitB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 dazu angeregt, mein Ms.BKaufmann, Felix!MS „Logische Prinzipienfragen in der mathematischen Grundlagenforschung“ ??? wieder vorzunehmen, und ich möchte es Ihnen, wenn Sie damit einverstanden sind, nach der Umarbeitung schicken.

Inzwischen hoffe ich noch das letzte Kapitel Ihres BuchesB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 von Ihnen zu bekommen. Ihr Ms.B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 möchte ich noch gerne 2 bis 3 Wochen behalten (um es während der Überarbeitung meines Aufsatzes hier zu haben) und es dann Frl. Rand PRand, Rose, auch Randin, 1903–1980, öst.-am. Philosophingeben, wenn Sie nicht einstweilen Ihre Dispositionen geändert haben.

Also nochmals herzlichen Dank und viele Grüße

Ihr
Felix Kaufmann

Bitte senden Sie, falls Sie nichts dawider haben, den inliegenden Durchschlag an Herrn HempelPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel, ab 1947 mit Diane Hempel! FKahsl.

Brief, msl., 2 Seiten, RC 028-23-10 (Dsl. FK 008125-008128); Briefkopf: msl. Dr. Felix Kaufmann  /  Wien, XIX.  /  Döblinger Hauptstrasse 90  /  Wien, 11. Oktober 1932  /  Herrn  /  Professor  /  Dr. Rudolf Carnap  /  Prag, XVII.  /  N. Motol, Pod Homolou.

Anmerkungen zu R. Carnap „Semantik“B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934.

Prinzipielle Bedenken richten sich:

1.) gegen Ihre Bestimmung des Sinns der Metalogik und demgemäß gegen die Art der Unterscheidung zwischen einem Ausdruck und seiner semantischen Beschreibung‚

2.) gegen Ihre m. E. mehrdeutige Bestimmung des Formalen.

Diese beiden Punkte stehen in engem gedanklichen Zusammenhang und werden im folgenden gemeinsam behandelt. Hieran schließen sich Bemerkungen zu einzelnen Stellen des Ms.B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934, die teils in – mehr oder weniger engem – Zusammenhange mit jenen Grundeinwänden stehen, teils von ihnen unabhängig sind. Das Hauptgewicht muß ich hier wieder wie in meinem Briefe vom 14. Mai darauf legen, daß m. E. die Reine Metalogik (die Änderung der Bezeichnung räumt die Schwierigkeit nicht weg) nicht als „Sprechen über die Sprache“ aufgefasst werden kann. Zu jedem Sprechen über etwas gehören nämlich zwei unabhängig von einander variable Momente; dasjenige worüber man spricht, darf nicht bereits dasjenige, was man darüber sagt, logisch in sich begreifen. Hieraus ergibt sich die in der Gegenüberstellung von Subjekt und Prädikat vorgezeichnete (wenn auch nicht exakt durchgeführte) Gegenüberstellung von Lokalzeichen und Qualitäten. Diese ist vorhanden, wenn man z. B. über die deutsche Sprache aussagt, daß in ihr „wegen“ den Genitiv regiert, denn die deutsche Sprache ist als Verständigungsmittel zwischen in Raum und Zeit (mehr oder minder scharf) umgrenzten Menschen aufzufassen. Abstrahiert man aber von dem principium individuationis, wie dies dem Sinn der Reinen Metalogik entspricht, so fehlt das eine der beiden im Urteil aufeinander zu beziehenden Momente. Über ein Zuordnungsschema zwischen Lautkomplexen bestimmter Art und deren zeitlicher Verknüpfung, (oder zwischen figuralen Momenten bestimmter Art und deren räumlicher Verknüpfung) einerseits und Objekten andrerseits läßt sich nicht aussagen (ebensowenig wie sich über eine Farbe bestimmter Art etwas aussagen läßt) es ist so wie es ist, aber 🕮 schon das „es“ ist irreführend, da es eine logische Möglichkeit vortäuscht das Schema als Ganzes zu nehmen und von ihm Eigenschaften der Teile auszusagen.

Aber in einer korrekten, d. h. die Struktur der Welt „abbildenden“ Sprache kann nichts was Prädikat sein kann, auch Subjekt sein. Dies ist ja wohl auch der Kern der Wittgenstein’schen These, daß man nicht über die Sprache sprechen kann. (Sie werden hier vielleicht manche Überlegungen, die Sie über den logischen Charakter von Naturgesetzen angestellt haben, verwerten können.)

Daß man Benennungen für das Sprachmaterial einführen – also Gruppen akustischer oder figuraler Momente neue akustische oder figurale Momente zuordnen – kann, ja dies unter gewissen Umständen sogar unter alleiniger Benutzung dieses Sprachmaterials kann, ist kein Gegenargument. Denn Benennung eines Objektes ist keine Aussage über dasselbe (ich sage nichts über mein Kind aus, indem ich es „Hans“ nenne und ich sage über figurale Momente bestimmter Art dadurch nichts aus, daß ich ihnen ein figurales Moment etwa von der Art Z zuordne).

Ich sage auch nicht über einen Satz etwas aus, wenn ich sage, daß aus ihm dies oder jenes ableitbar ist. Die Trennung zwischen einem Satz – wobei hier der Satzsinn gemeint ist – und dem was aus ihm ableitbar ist, ist ja überhaupt nicht „objektiv“ möglich. Der behauptete Sachverhalt wäre nicht was er ist, wenn er nicht den in dem abgeleiteten Satz behaupteten Sachverhalt als Teilsachverhalt enthielte. Die Scheidung ist vielmehr „bloß“ subjektiv. Hier steht dann die gewaltige Problematik der Verdeutlichungsthematik im Hintergrund, die Sie, wenn Sie den Terminus „philosophisch“ als zu sehr metaphysisch belastet, vermeiden wollen, als Problematik einer reinen (d. h. nicht induktiv verfahrenden) Innenpsychologie bezeichnen können. Ich halte es für ausgeschlossen, daß Sie über diese bei der Untersuchung des Verhältnisses von Semantik und Philosophie hinwegkommen können, wenn sie sich nicht darauf beschränken, sinnlose Fragestellungen als solche zu entlarven, sondern auch die „hinter“ jenen Denkfehlern liegenden legitimen Fragestellungen bloßlegen wollen. 🕮

Um hiezu zu gelangen, ist es für denjenigen, der von der Logistik herkommt, vor allem wichtig sich vor Augen zu halten, daß der „Satz“ ein mixtum compositum von dreierlei Elementen ist, nämlich:

1.) des Denkaktes, dessen Ausdruck er ist‚

2.) des behaupteten Sachverhaltes, der seinen Sinn ausmacht‚

3.) des (optischen oder akustischen) Symptommaterials.

Man muß sich hier besonders darüber klar sein, daß durch die Übermittlung von Gedanken durch „äußere“ Symbole die in der Analyse des Denkens liegende Problematik in keiner Weise verändert wird. Man darf sich nicht von der Redeweise „Ein bestimmtes Zeichen hat eine bestimmte Bedeutung“ zu der Auffassung verleiten lassen, als wäre der „Gehalt“ des Zeichens eine Eigenschaft des Zeichenmaterials. Es gehört ebensowenig zu den Eigenschaften eines Lautkomplexes oder einer Figur, daß Menschen, die sie hören, bezw. sehen, daraus auf die Gedanken von Nebenmenschen Schlüsse ziehen können, wie es eine Eigenschaft eines bestimmten Hauses ist, daß es mich an meine Jugendzeit gemahnt.

Der Begriff „Satz“ fällt unter den Begriff „Zeichen; „Zeichen“ aber ist ergänzungsbedürftig. Kein Zeichen ist Zeichen schlechthin, sondern es ist stets „Zeichen“ für jemanden; wenn man daher von Sätzen schlechthin spricht, so könnte man nur entweder das Zeichenmaterial (z. B. die Figuren) oder die mit Hilfe dieses Materials (den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft) mitgeteilten Sachverhalte meinen; aber man kann nicht beides zugleich meinen. In den Untersuchungen nun, mit denen Sie – als Logiker und Mathematiker, nicht aber als Phonetiker oder Ornamentalist – sich befassen, kommt nur das letztere in Frage.

Dies gilt auch nach Vollzug der Formalisierung, die von der Sprache zum Kalkül führt. Freilich kann man so vorgehen, daß man ohne jede Bezugnahme auf Bedeutungen eine Anzahl figuraler Elemente artmäßig festlegt, einer Anzahl von Komplexen dieser Elemente die Figur „\(F\textsubscript{g}\)“ zuordnet (sie Grundformeln nennt) und dann definitorisch bestimmt, daß dann und nur dann die Figur \(F\textsubscript{b}\) einer 🕮 Figur zugeordnet werden soll (daß diese dann und nur dann „beweisbare Formel“ heißen soll) wenn sie durch angegebene kombinatorische Transformationen der figuralen Elemente aus den \(F\textsubscript{g}\) gebildet ist. Hiebei muß sich bei korrekter Aufstellung der Regeln, durch die das Transformationsschema definiert ist, das zeitliche Moment, welches in der schrittweisen „Ableitung“ liegt, ausschalten lassen. Vgl. hiezu WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. PhilosophB (6, ff.)

Aber sobald man die Figur als einen Inbegriff von Leerstellen für die Einsetzung der Bedeutungen auffasst, erkennt man, daß die einzige heuristische Rolle, die die figuralen Elemente und ihre Verknüpfung spielen, allein diejenige ist, erstens eine endliche Mannigfaltigkeit verschiedener Bedeutungen durch eine endliche Mannigfaltigkeit von Arten figuraler Momente und zweitens, eine endlose Mannigfaltigkeit von nach bestimmten Regeln erfolgenden Verknüpfungen dieser Bedeutungen durch eine endlose Mannigfaltigkeit von nach bestimmten Regeln erfolgenden Anordnungen dieser figuralen Momente zu symbolisieren. Die Formalisierung ist also ein Prozeß, der sich zur Gänze in der Bedeutungssphäre abspielt. Formalisieren heißt von sachhaltigeren zu weniger sachhaltigen Bedeutungen übergehen. Ein Transzendieren der Bedeutungssphäre kommt aber hier nicht in Frage.

Diese allgemeinen Bemerkungen abschließend, möchte ich nur nochmals (wie in meinem Brief vom 14. Mai) darauf hinweisen, daß meiner Meinung nach aus den allgemeinen Überlegungen betreffend das Sprechen über die Sprache folgt, daß die Scheidung des kalkülmäßigen Operierens als Logik oder Mathematik von dem Sprechen über den Kalkül als Metalogik oder Metamathematik nicht durchführbar ist. Vielmehr handelt es sich in beiden Fällen um Erläuterung (Verdeutlichung) von Regeln. Diese Sachlage wird vielleicht dadurch etwas verschleiert, daß metalogische (metamathematische) Untersuchungen sich sehr häufig nicht auf einen bestimmten Kalkül richten, sondern auf Kalküle überhaupt oder sehr allgemeine Kalkültypen.

————–🕮

Es folgen nun Anmerkungen zu einzelnen Stellen des Ms.B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934

Ad. S. 3. Syntax als System formaler Regeln zur Bildung der Sprachausdrücke.

Wäre hier nicht eine Anmerkung zweckmäßig, daß dieser Begriff der Syntax sich mit dem der Grammatik nicht vollkommen deckt? Ihr Begriff ist weiter, er umfasst z. B. auch die Flexion. Hier wie auf S. 4 wäre der Begriff des Formalen scharf zu bestimmen. Vgl. auch S. 6 „Metalogik wird gemacht und nachher formalisiert“. S. 9 „formale Regeln des Operierens“. Zu dem Beispiel „Piroten korulieren elatisch“ vgl. meinen Brief vom 14. V.

ad S. 11. Begriff der Struktur insbesondere sein Zusammenhang mit dem Formalen ist erläuterungsbedürftig.

ad S. 13. „Philosophische Fragen vor metalogischer Formulierung unscharf“: es kommt nicht auf die Zeichen an; – man kann auch Zeichen für unscharfe oder widersinnige Vorstellungen bilden – sondern darauf, daß man mit den Zeichen einen deutlichen Gedanken verknüpft. Der heuristische Wert der Semantik liegt darin, daß sie deutliches, konsequentes Denken und die Aufdeckung von Denkfehlern erleichtert. Insoferne kann sie mit der doppelten Buchhaltung verglichen werden.

ad S. 37 b, 38 Zeile 3 v[on] u[nten] Was bedeutet „objektiv mitgegeben“? Die Schlußregeln können die Objektivität nicht konstituieren, vielmehr werden sie „so gewählt, daß wir uns einsichtig machen können, daß sie von irgendwelchen Formeln nur dann zu einer neuen Formel führen, wenn diese bei inhaltlicher Deutung durch jene schon mitgegeben ist.“ Diese Zerlegung in Denkschritte ist zweifellos eine sehr wichtige denktechnische Hilfe, aber sie läßt die Frage nach Art der Einsicht (Verifizierungsmethode) objektiver Mitgegebenheit oder, wie wir einfach sagen können, nach dem Sinn objektiver Mitgegebenheit, offen. Beim Eingehen auf diese Frage zeigt sich, daß die Scheidung von „psychologosicher“ und „objektiver“ Gegebenheit keineswegs so einfach ist, wie es zunächst den Anschein 🕮 hat. (s. HusserlPHusserl, Edmund, 1859–1938, dt. Philosoph „Formale und transzendentale Logik“.BHusserl, Edmund!1929@Formale und transzendentale Logik, Halle, 1929)

S. 38. „Bestimmung des Gehalts einer Formel durch die Gesamtheit der Formeln, die sich aus ihr folgern lassen“. Ist das kein Rückfall in die von Ihnen bereits überwundene Verquickung von individueller und spezifischer Allgemeinheit? Definition muß intern sein, ähnlich S. 39 Def. der analytischen Formel.

S. 59. „Nur für eine Theorie kann man einen Beweis geben – Sprachform konventionell“. Aber ist nicht eine Symbolik falsch (in einem übertragenen Sinne), soferne sie verschiedene Bedeutungen miteinander verquickt?

S. 93. Siehe prinzipielle Bemerkungen.

S. 158. Kann man zwischen intuitionistisch zulässigen und intuitionistisch nicht zulässigen Begriffen unterscheiden? Muß nicht der konsequente Positivist alle mathematischen Existentialbegriffe und Existentialdefinitionen als sinnlos ablehnen, soferne sie sich nicht bloß als abgekürzte Formulierungen für Konstruktionen herausstellen? Vgl. hiezu die Definitionen auf S. 196.

S. 183 ff. Hierüber spreche ich eingehend in dem Ihnen einzusendenden Ms.BKaufmann, Felix!MS „Logische Prinzipienfragen in der mathematischen Grundlagenforschung“ ???

S. 187. Kann man von Kennzeichen von Zahlen sprechen? Wie hebt sich die Zahl von ihren Kennzeichnungen, deren jede sie eindeutig bestimmt, ab? Vgl. auch die vorstehenden prinzipiellen Bemerkungen.

S. 205. Die „Beziehungen zwischen Sätzen sind „Wahrheitsbeziehungen“. Aber ist nicht jede „Beziehung zwischen Sätzen“ nur ein anderer Ausdruck für die Beziehung zwischen Sachverhalten? Die Behauptung „Das Urteil, daß bestimmter Sachverhalt S besteht, ist wahr“ besagt ja nichts anderes als „S besteht“ und daß aus einem Urteil, welches den Sachverhalt \(S\textsubscript{1}\) behauptet (\(U\textsubscript{S1}\)) das Urteil \(U\textsubscript{S2}\) ableitbar ist, besagt nichts anderes, als daß der Sachverhalt \(S\textsubscript{1}\) den Sachverhalt \(S\textsubscript{2}\) in sich schließt. Setzt man Sinn mit Verifizierungsmethode gleich, so fallen diese beiden Behauptungen vollkommen zusammen. (s. meinen ErkenntnisaufsatzB S. 267 ff.)

HusserlPHusserl, Edmund, 1859–1938, dt. Philosoph spricht in diesen Fällen von thematischer Blickwen🕮dung“ und von „Entsprechung“ (F[ormale] u. t[ranszendentale] L[ogik]BHusserl, Edmund!1929@Formale und transzendentale Logik, Halle, 1929 S. 93 ff.) Nach meiner eigenen Auffassung, die ich in den letzten Monaten tiefer zu begründen versucht habe, besteht eine solche Doppelseitigkeit nicht. Jedenfalls liegen hier ernste Probleme.

Aber die Unterscheidung zwischen Implikation und Ableitbarkeit ist nichtsdestoweniger unbedingt erforderlich als Entscheidung zwischen empirischen und nicht empirischen Zusammenhängen (s. „Unendliches in der Mathematik“B S. 37) (Das Wort „Beziehung“ wäre wohl besser auf empirische Zusammenhänge einzuschränken.)

S. 215, 216. Ich halte nunmehr RussellsPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell Versuch einer Begründung der Extensionalitätsthese, sowie dessen Interpretation durch Sie, nicht mehr für stichhältig und zwar auch dann nicht, wenn man in letzterer das semantische Bezeichnen, das mir hier ganz irrelevant zu sein scheint, durch den zugrundliegenden Denkakt ersetzt. Aber meine eigene Auffassung hierüber, die der Brentano’schenPBrentano, Franz, 1838–1917, dt.-öst. Philosoph Urteilstheorie nahesteht, bedarf noch schärferer Formulierung. Sobald mir dieselbe gelungen sein wird, will ich sie Ihnen, falls Sie Interesse dafür haben, gerne vorlegen.

S. 237 ff. Zu diesen sehr wichtigen Ausführungen möchte ich bemerken, daß die Spielraummasse nicht nur in Anlehnung an Statistiken über relative Häufigkeiten erfolgt, sondern unter Berücksichtigung der gesamten, mehrschichtigen Erfahrung. So geht in die Festsetzung der Spielraummasse beim Würfel die – cum grano salis – gesamte einschlägige physikalische Erfahrung ein.

Aus den von Ihnen angestellten Überlegungen ergibt sich dann der halb – aber nur halb konventionelle Charakter des „Gesetzes der großen Zahl“. Ich teile Ihre Meinung, daß damit die Sinnprobleme der Wahrscheinlichkeit als im wesentlichen gelöst anzusehen sind. Hinzuzufügen wäre nur noch, daß das Prinzip der allgemeinen Unordnung (das bei MisesPMises, Richard von, 1883–1953, öst.-am. Mathematiker im Mittelpunkt seiner Lehre vom Kollektiv steht 🕮 und sich im wesentlichen mit dem ominösen Gesetzt vom Ausgleich des Zufalls deckt, durch eine Formulierung ersetzt werden muß, welche die kausale Unabhängigkeit der jeweils zur Untersuchung stehenden Phänomenreihe \(P\textsubscript{1}\) von den Variationen der Phänomene anderer Phänomenreihen \(P\textsubscript{i}\) und zwar ungeachtet des Umstandes, daß die einzelnen Phänomene der Reihe \(P\textsubscript{1}\) von den einzelnen Phänomenen der Reihen \(P\textsubscript{i}\) abhängig sind, deklariert. (Wenn ich nicht irre, haben Poincaré und Smoluchowski derartige Formulierungen für das Roulettespiel gegeben.) Derartige Unabhängigkeitsgesetze (Zufallsgesetze) aber können, meiner Meinung nach, nicht den Kausalgesetzen als etwas Wesenverschiedenes gegenübergestellt werden. Denn bei jeder Induktion, die der Formulierung eines Kausalgesetzes zugrundeliegt, wird (stillschweigend) vorausgesetzt, daß man den sonstigen Weltzustand unberücksichtigt lassen kann.

S. 281. Definition der widerspruchsvollen Formeln, S. 301 Definition der richtigen arithmetischen Formel und S. 335 f. Isomorphiedefinition: vgl. Bemerkungen zu S. 36 und S. 158.

S. 336. Wenn ich Ihre einschlägigen AusführungenB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 richtig verstehe, so kann hiedurch keineswegs das Überabzählbare in der Weise restituiert werden, daß die Frage der konstruktiven Ausschöpfung überabzählbarer Mengen, im besonderen das Kontinuumproblem, sinnvoll würden. Das bedeutet aber einen radikalen Bruch gegenüber CantorsPCantor, Georg, 1845–1918, dt. Mathematiker Auffassung, was bei FraenkelPFraenkel, Abraham, 1891–1965, dt.-israel. Mathematiker keineswegs zum Ausdruck kommt. Wenn ich richtig sehe, ist ja auch Ihrer Meinung nach das einzige, was sich „über das Überabzählbare“ aussagen lässt, das, was sich aus dem Diagonalverfahren ergibt.

Wäre es nicht zweckmäßig, wenn Sie dies deutlicher hervorheben würden? Hier handelt es sich doch um eines der wichtigsten Probleme der mathematischen Grundlagenforschung.

FK.

Brief, msl., 8 Seiten, RC 028-23-11 bzw. FK 008129-008144); Briefkopf: hsl. 11.10.32.


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