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Lieber Herr Gödel!
Haben Sie besten Dank für Ihren Brief. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mich auf die Fehlerhaftigkeit der Def. für „analytisch“ aufmerksam gemacht haben. Ich habe inzwischen versucht, eine bessere Def. aufzustellen, etwa in der Richtung Ihrer Andeutungen (falls ich diese richtig verstanden habe). Aber da treten gewiße Schwierigkeiten auf, die ich noch nicht überwinden kann. Jedenfalls sehe ich ein, daß man nicht zu den Formeln der klass[ischen] Math. über reelle Zahlen gelangt, wenn man den Alloperator mit Prädikatsvariabler (od. Funktorvar[iabler]) nur auf die in einem bestimmten begrenzten System definierbaren Prädikate bezieht. Sie sagen: man muß ihn auf „alle Mengen“ beziehen; aber was heißt das? Ich habe so versucht: unter einer Prädikatsbewertung verstehe ich eine Regel, die jedem Zahlausdruck (z. B. „\(0”’\)“) bezw. jedem n-tupel von solchen entweder „\(0 = 0\)“ oder „\(0 \neq 0\)“ zuordnet; eine Funktorbewertung ist eine Regel, die jedem n-tupel von Zahlausdr[ücken] einen Zahlausdr[uck] zuordnet. Mit Hilfe dieses Begriffs wird „Auswertung“ definiert: in der betr. Formel wird anstelle von „\(F (...)\)“ die zugeordnete Formel gesetzt und anstelle von „\(f (…)\)“ der zugeordnete Ausdruck. „\([F](…)\)“ ist analytisch, wenn „…“ in bezug auf jede Bewertung für \(F\) analytisch ist. Im ganzen wird die Def. ziemlich kompliziert, läßt sich aber machen. Nun aber das Bedenken. Will man wirklich das Erstrebte mit der Def. erreichen, so darf man für die Regel, die ja in der Sprache der Semantik formuliert werden muß, nicht eine begrenzte Sprache der Sem[antik] nehmen, sondern: die Regel darf mit beliebigen semantischen Begriffen gebildet werden. (Denn sonst bleiben ja wieder gewiße Zahlmengen draußen, die man zwar plausibel machen, aber nicht im System erfassen kann). Aber ist das nicht bedenklich? Es scheint mir nicht bedenklich, wenn die Def. für „analytisch in der Sprache \(S\)“ nicht definiert werden kann in einer Semantik, die in \(S\) formalisiert ist, sondern nur in einer Sem[antik], die in einer weiteren Sprache \(S_{2}\) formalisiert ist. Aber mit einem Begriff zu operieren, für den es überhaupt keine Sprache gibt, in der er streng definiert werden kann, ist doch wohl ziemlich bedenklich.
Aber vielleicht sehen Sie einen Weg, den Begriff in einer bestimmten Sprache zu definieren? Oder wie ist Ihre Bemerkung zu verstehen: „… daß sich diese Def. für „Anal[ytisch]“ innerhalb einer bestimmten Sprache, in der man die Begriffe „Menge“ und „Rel.“ schon hat, durchführen lässt“? Können Sie den Begriff „Menge“ innerhalb einer bestimmten, formalisierten Semantik definieren?
Eine weitere Schwierigkeit betrifft die höherstufigen Prädikate; ein solches müßte dargestellt werden durch eine Zuordnung zu Bewertungen niederer Stufe (oder durch eine semantische Menge von Mengen usw. von Ausdrücken).
Werden Sie vielleicht bald schon einen ersten Entwurf Ihrer Arbeit niedergeschrieben haben, sodaß ich sie lesen und verwerten könnte? Das wäre mir außerordentlich wertvoll. Oder können Sie mir wenigstens brieflich jetzt schon Näheres angeben über die Def. von „Menge“ und „anal[ytisch]“? Für den Zusammenhang meines Buches
Zur Terminologie: der Terminus „wahr“ scheint mir sehr unzweckmäßig; jedenfalls wäre sein Gebrauch nicht im Einklang mit dem allg. Sprachgebrauch. Denn hiernach heißt der Satz „Wien hat so und so viel Einwohner“ doch wahr, während die von Ihnen beabsichtigte Def. doch wohl auf ihn nicht zutrifft. Man müßte also doch wohl „logisch-wahr“ sagen, oder „logisch-gültig“ oder „tautologisch“ oder „analytisch“; und von diesen Ausdrücken scheint mir der letzte der zweckmäßigste.
Ja, Zermelos
Frege
Was macht man in Wien? Wird Hahn
Mit den besten Grüßen
Ihr
ksl.
Brief, msl. Dsl., 2 Seiten, RC 102-43-04; Briefkopf: msl. Prag, den 25. Sept. 1932.