Entschuldigen Sie bitte, daß ich Ihnen immer noch nicht für die Neuauflage Ihres schönen großen WerkesBBavink, Bernhard!1930@Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften. Eine Einführung in die heutige Naturphilosophie, Leipzig, 1930 gedankt habe, die Sie mir vor zwei Jahren zugeschickt haben. Ich schob den Brief immer wieder hinaus, weil ich vorhatte, damit zugleich in die sachliche Diskussion einzugehen. Und wie es oft geht: wenn man sich zu viel vornimmt, wird gar nichts draus. Drum will ich jetzt mal schreiben, ohne die ganzen Probleme aufzurollen. Ich schätze Ihr BuchBBavink, Bernhard!1930@Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften. Eine Einführung in die heutige Naturphilosophie, Leipzig, 1930 außerordentlich, trotz des gegnerischen philos[ophischen] Standpunktes. Auch habe ich es immer den Studenten empfohlen, da es m. E. die beste Darstellung der verschiedenen naturwiss[enschaftlichen] Theorien gibt; Sie werden verstehen, daß ich dabei doch immer auch ein Warnungssignal vor Ihrer philos[ophischen] Stellungnahme gab; bei der letzten Aufl. noch mehr als früher, da ja jetzt Ihr Standp[unkt] mehr hervortritt.
Auch Ihre Zeitschrift U[nsere] W[elt]IUnsere Welt, Zeitschrift, die ich seit dem vorigen Jahr beziehe, bewundere ich. Besonders Ihre Chronik, die nirgends ihresgleichen findet; ich wollte, wir hätten jemanden, der ebenso einen Überblick, von unsern Gesichtspunkten aus, regelmäßig geben könnte. Von den Aufsätzen haben mich bes. Ihre eigenen interessiert. Den AufsatzB von TollertP über SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick finde ich dagegen nicht bes. gut. Erstens ist vielleicht der Kern des SchlickschenPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick BuchesB doch nicht ganz klar erfaßt; zweitens aber gibt das Buch Schlicks heutige Auffassung nicht mehr wieder. Im letzten Heft der Erk[enntnis]IErkenntnis, Zeitschrift (III/1) hat Schl[ick]PSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick seine jetzige Auff[assung] über Realismus und PositivismusBSchlick, Moritz!Positivismus und Realismus. In: Erkenntnis, 3 (1932). S.1-31 dargestellt, die sicherlich Ihr Interesse finden wird. Ich glaube auch, daß dieser Aufsatz einige Mißverständnisse beseitigen wird, die, wie mir schien, auch bei Ihnen noch in bezug auf unsre Auffassung vorlagen: daß wir nämlich gewisse Sätze, wenn wir sie ablehnen, nicht negieren (d. h. das Gegenteil behaupten), sondern uns in diesen Punkten der Behauptung enthalten, weil wir glauben, daß eine Scheinfrage vorliegt. Daher trifft es z. B. nicht zu, daß unsre Auffassung konscientialistisch oder positivistisch (im alten Sinne) wäre. Hier sind übrigens Schl[ick]PSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick, FeiglPFeigl, Herbert, 1902–1988, öst.-am. Philosoph, seit 1931 verh. mit Maria Feigl, FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank und ich vollkommen einig. Schl[ick]PSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick hat im Winter in Amerika EinsteinPEinstein, Albert, 1879–1955, dt.-am. Physiker, verh. mit Else Einstein getroffen und ihm das MS dieses Aufsatzes zu lesen gegeben. E[instein] hat dann erklärt, daß er mit diesen Formulierungen vollständig einverstanden ist.
Ich war sehr erfreut, in Ihren BerichtenB über meine Aufsätze „Metaphysik“B1931@„Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, Erkenntnis 2, 1931, 219–241 und „Physikal[ische] Sprache“B1931@„Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“, Erkenntnis 2, 1931, 423–465 eine so zutreffende und verständnisvolle Wiedergabe meiner Gedankengänge zu finden, wie man sie bei einem Gegner nur sehr selten findet. Sie werden mir diese Freude nachempfinden können, da Sie ja selbst oft genug sich mit Gegnern, zuweilen auch unsachlichen, herumschlagen müssen. Ich finde auch, daß Ihre Einwände gegen mich nicht nur trotz der Schärfe des Gegensatzes stets sachlich sind, 🕮 sondern auch (was nicht so selbstverständlich ist) den entscheidenden Punkt, auf den es bei der Differenz unsrer Auffassungen gerade ankommt, genau treffen. So machen Sie am Schluß Ihrer BesprechungB üb[er] Phys[ikalische] SpracheB1931@„Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“, Erkenntnis 2, 1931, 423–465 den Einwand, wie ich denn meine eigenen Darlegungen in die allein für korrekt erklärte Sprache übersetzen wolle. (Ich habe den Text nicht hier, leider habe ich auf der Sommerreise das Heft verliehen oder verloren; könnte ich viell. dieses Aug.-Heft oder die betr. Seiten nochmal bekommen?) Ähnlich auch schon S. 123. Dies ist tatsächlich ein kritischer Punkt, ich glaube sogar, in den bisherigen Darlegungen unsres Standpunktes der schwächste Punkt (einschl. der Darlegung von WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph; denn es ist sicherlich höchst unbefriedigend, daß er (S. 188) die eigenen Sätze nachträglich als bloße Erläuterungen, die im Grunde unsinnig seien, hinstellen muß). Diese Schwierigkeit glaube ich aber jetzt überwunden zu haben. Durch meine Untersuchungen über SemantikB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 (die ich zu ganz anderem Zweck und aus ganz anderen Gesichtspunkten angestellt habe) ist mir klar geworden, welches der logische Charakter der Sätze unsrer wiss[enschaftlichen] Philos[ophie] ist: es sind semantische Sätze. Ich kann das hier nicht kurz erklären; einige Andeutungen gebe ich in einer ErwiderungB1932@„Erwiderung auf die vorstehenden Aufsätze von E. Zilsel und K. Duncker“, Erkenntnis 3, 1932/33, 177–188 auf ZilselPZilsel, Edgar, 1891–1944, öst.-am. Philosoph und Soziologe, verh. mit Ella Zilsel, die in Heft III/2 erscheinen wird; die ausführliche Darstellung der Semantik will ich in einem BuchB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 geben, das jetzt bald fertig sein wird.
Falls Sie die Absicht haben, über meinen Psychol[ogie]-AufsatzB1932@„Psychologie in physikalischer Sprache“, Erkenntnis 3, 1932/33, 107–142 (in III/2) zu berichten, möchte ich Sie bitten, die Bemerkungen, die ich im gleichen Heft zu ZilselPZilsel, Edgar, 1891–1944, öst.-am. Philosoph und Soziologe, verh. mit Ella Zilsel und zu Dun[c]kerPDuncker, Karl, 1903–1940, dt.-am. Psychologe mache, zu beachten, da sie vielleicht verhelfen können, einige häufig anzutreffende Mißverständnisse über das, was die These des Physikalismus besagen will und was nicht, zu vermeiden.
Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, daß Ihnen die Spalten unsrer ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift gern offenstehen, falls Sie auf SchlicksPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick AufsatzB (oder auf die von mir) nicht nur in Ihrer ZSIUnsere Welt, Zeitschrift, sondern auch bei uns erwidern möchten. Wie Sie sehen werden, hat leider der als Gegner-Diskutant aufgeforderte K[arl] Dun[c]kerPDuncker, Karl, 1903–1940, dt.-am. Psychologe meine Thesen nicht hinreichend deutlich verstehen können.
Wahrsch[einlich] in III/3 od. 4 werden Ausführungen von NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie NeurathBNeurath, Otto!1932@„Protokollsätze“, Erkenntnis 3, 1932/33, 204-214 und von mirB1932@„Über Protokollsätze“, Erkenntnis 3, 1932/33, 215–228 über Protokollsätze erscheinen; hierdurch wird wohl auch unsre erk[enntnis]th[eoretische] Auffassung noch klarer ersichtlich werden.
Mit ergebenstem Gruß