verzeih, daß ich so furchtbar spät schreibe. Der Grund liegt allein in meinem Gesundheitszustand. Es ging mir in Berkeley während der letzten Zeit miserabel. Ich konnte nichts arbeiten, mußte meist liegen, eine Zeitlang sogar im Krankenhaus, mußte meine Abreise verschieben, und bin nun erst vor 14 Tagen hier eingetroffen, von denen ich die erste Hälfte auch meist liegend verbrachte. Dann trat aber ziemlich plötzlich eine Wendung ein, und ich fühle, daß es jetzt bergauf geht. Die Ärzte sind zufrieden. Es handelte sich vermutlich um eine Sepsis, die sich in bösen Herz- und Kopfbeschwerden und in scheußlichen Schwindelgefühlen äußerte und ihren Grund wahrscheinlich in zwei verborgenen kleinen Abscessenlassen? im Oberkiefer hatte, wegen deren ich denn auch in Californien zweimal operiert wurde. Noch benehmen sich Kopf und Herz etwas merkwürdig, aber ich konnte doch schon vor ein paar Tagen mit den Vorlesungen beginnen, die mich allerdings noch sehr ermüden. Nur langsam fange ich mit dem Briefschreiben an. Du kannst Dir denken, was für Schulden sich auf diesem Gebiete aufgehäuft haben. Alle Erzählungen muß ich für später aufsparen und will nur noch bemerken, daß meiner FamiliePSchlick, Blanche Guy, 1881–1964, geb. Hardy, verh. mit Moritz SchlickPSchlick, Albert, 1909–1999, Elektroingenieur, Sohn von Moritz SchlickPSchlick, Barbara, 1914–1988, verh. van de Velde, Tochter von Moritz Schlick der amerikanische Aufenthalt ganz vortrefflich bekommen ist.
Aus meinem letzten Brief, der ungefähr mit dem Deinigen gleichzeitig geschrieben wurde, hast Du inzwischen ersehen, wie sehr ich mit der Aufnahme Deiner MetalogikB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 in unsere SammlungI Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung, Buchreihe einverstanden bin.** Hsl. Als Titel gefiele mir „Metalogik (Strukturtheorie der Sprache)“ am besten. Beim VerlegerI werden allerdings wegen des großen Umfangs beträchtliche Schwierigkeiten zu überwinden sein, zumal jetzt nach WaismannsPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann neuestem Plane auch sein BuchBWaismann, Friedrich!1976@Logik, Sprache, Philosophie, Stuttgart, 1976 wegen der Fülle des neuen 🕮 Materials in zwei Teilen erscheinen soll. Dies neue Material stammt von WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph selbst, der zu Weihnachten und zu Ostern ungeheuer eingehend mit WaismannPWaismann, Friedrich, 1896–1959, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Hermine Waismann diskutiert hat und in dem BucheBWaismann, Friedrich!1976@Logik, Sprache, Philosophie, Stuttgart, 1976 seinen jetzigen Standpunkt dargestellt zu sehen wünscht, den er selbst nur in einer großen Menge von Aphorismenbüchern dargestellt hat. Seiner Hilfe ist es zu danken, wenn der 1. Teil jetzt im Sommer fertig wird.
Deine „Physikalische Sprache“B1931@„Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“, Erkenntnis 2, 1931, 423–465 habe ich sorgfältig gelesen. Vielleicht gibt es darin einen Punkt, in dem ich nicht mit kann. Ich sage „vielleicht“, denn ich weiß nicht, ob Deine Übereinstimmung mit NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath so weit geht, daß sich, wie es bei ihm zu sein scheint, die Wahrheit schließlich nur als Übereinstimmung von Aussagen unter sich definiert wird. Das wäre ja aber nur Widerspruchslosigkeit. Anders wäre es, wenn den Protokollsätzen eine ganz andere Natur als den übrigen Sätzen zugeschrieben würde: wir brauchen ein Kriterium, das sie vor allen andern auszeichnet. Was NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath darüber etwa S. 403 sagt, kann nicht befriedigen. Nach meiner Meinung kann es auch nicht vom „gegenwärtigen Stand der Forschung“ abhängen (wie Du S. 438 sagst), woran sich ein Protokollsatz als solcher erkennen läßt, denn ich glaube, daß wir sonst aus einem Zirkel nicht herauskommen. Deine vorläufige Formulierung S. 437, reine Protokollsätze seien solche, „zu deren Gewinnung andere Protokollsätze nicht mitverwendet sind“, ist doch sicher zirkelhaft? Ich möchte hierauf zurückkommen, wenn erst mein Gehirn wieder in besserer Verfassung ist.
An NeurathsPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath AufsatzB, der sonst nett ist, habe ich außer Kleinigkeiten wieder die reklamehafte Sprache einiger Stellen auszusetzen, die mich doppelt peinlich berührt, da ich wieder in Europa und nicht mehr in Amerika bin. Nur sag ihm das bitte nicht!
Hoffentlich kannst Du bald nach Wien kommen. FeiglPFeigl, Herbert, 1902–1988, öst.-am. Philosoph, seit 1931 verh. mit Maria Feigl erwarten wir auch. Grüße bitte Frl. StögerPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap. Ich hoffe von Herzen, daß es Dir und ihr sehr gutgeht. Mit allerbesten Wünschen