\brief{Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 23. März 1932}{März 1932} %Berkeley, March 23\textsuperscript{rd} [1932] \anrede{Lieber Carnap,} \haupttext{unsere Correspondenz ist nicht gerade sehr lebhaft. Verzeih mir bitte, daß ich Monate verstreichen ließ, bevor ich auf Deinen Brief antworte. Der Gedanke an die Größe des Zeitintervalls zwischen Absendung, Ankunft und Antwort wirkt eben doch lähmend auf die Schreibelust. Nach meiner Rückkehr werden wir aber hoffentlich recht oft voneinander hören. Ich bin recht beschäftigt gewesen, weniger mit den regulären Vorlesungen, die ich immer ganz ohne Vorbereitung halte, als mit allerlei Schriftstellerei und unvermeidlichen lokalen Verpflichtungen. Was für eine Menge Ansprachen und Vorträge habe ich halten müssen! (drei von den letzteren werden gedruckt\IW{} \IW{} \IW{}, enthalten aber nichts Neues.) Meine Schreibfröhlichkeit wurde nicht gerade erhöht durch den Umstand, daß mein Befinden während der letzten Monate sehr zu wünschen übrig ließ: ich hatte (und habe teilweise noch) ziemlich unangenehme Herz- und verwandte Beschwerden, die mich daran erinnern, daß ein Mann, der 50 wird, eben kein Jüngling mehr ist. Na ja! Daß Du mit Prag zufrieden bist, hat mich wirklich \uline{sehr} gefreut zu hören, besonders, daß Ihr eine so gute Wohnung gefunden habt. Die Lage der Wohnung ist immer der wichtigste Punkt für das Wohlbefinden in einer neuen Umgebung. Deinen in der ,,Erkenntnis``\II{\erkenntnis} abgedruckten Vortrag\IC{} habe ich mit dem allergrößten Vergnügen gelesen. Daß Deine übrigen Arbeiten\IC{} \IC{} so treffliche Fortschritte machten, ist höchst befriedigend, wenn auch bei Deinem notorischen Fleiß gar nicht erstaunlich. Hoffentlich kann Deine Metalogik\IC{\logischesyntax} bald \neueseite{} gedruckt werden (es tat mir so leid, wegen meiner dummen Krankheit Deine letzten Vorträge darüber versäumen zu müssen); ich würde es doch sehr begrüßen, wenn sie in unserer Sammlung\II{\schriftenwisswelt} erscheinen könnte; hast Du mit Frank\IN{\frankphilipp} darüber gesprochen? Es wäre schön, wenn Du einmal nach Amerika kommen könntest, am besten hierher; es ist wirklich in vieler Beziehung ein Paradies. Besonders jetzt haben wir wahrhaft halkyonische Tage. Ich höre und sehe mich immer nach passenden Gelegenheiten um und lobe Dich immer sehr: \textkritik{das}\fnA{Original \original{dass}} ist der direkteste Einfluß, den man nehmen kann. Hoffentlich hilft es. Die Oberländer-Stiftung\II{\oberlaenderstiftung}, die Millikans\IN{\millikan} Europareise finanziert hat, kenne ich sehr genau; sie ist leider ausschließlich für Amerikaner, die im Dienste der Völkerverständigung nach Europa reisen. Auch Reichenbach\IN{\reichenbach} schrieb mir, er möchte gern einmal herüberkommen. Was hältst Du von seiner Wahrscheinlichkeitsarbeit\IW{\reichenbachprag}? Mir scheint das Mathematische daran nicht sehr wichtig, und das Philosophische ganz unhaltbar. Schrieb ich Dir, daß ich zu Neujahr drei herrliche Nachmittage mit Einstein\IN{\einstein} verbrachte? Es war in Pasadena, wo wir uns auf unserer 3wöchigen Weihnachtsreise ein paar Tage aufhielten. Unbeschreiblich großartige Eindrücke in der Wüste, im Gebirge und am Ozean\fnA{\original{Ocean}}! Schrieb ich Dir, daß ich eines Abends mit Russell\IN{\russell} dinierte? Ein entzückender Mensch! -- Übermorgen in 3 Wochen verlasse ich dies schöne Land. Meiner Frau\IN{\schlickfrau} hat es naturgemäß auch sehr gut gefallen, und beide Kinder\IN{\schlickalbert} \IN{\schlickbarbara} sind so restlos begeistert, daß sie am liebsten hier blieben. Was mich betrifft, so wäre ich eigentlich ebenso gern in Dalmatien (wohin ich um diese Jahreszeit sonst zu reisen pflege). Wir reisen mit der ,,Europa`` von New York nach Bremen, und am 29.\,April hoffe ich in Wien zu sein. Ich freue mich doch ganz riesig darauf, aus privaten Gründen, die Du Dir denken kannst. Am 17., 18. u. 20.\,Mai soll ich auf Einladung der Universität London\II{\universitaetlondon} dort 3 Vorträge\IW{} \IW{} \IW{} halten, die gleich gedruckt werden sollen. Als Thema habe ich mir ausgesucht: ,,Form and Content``. Hoffentlich werde ich wohl genug sein, um hinüberzufahren. Auf frohes Wiedersehen im Sommer! Dir und Ina\IN{\ina} alles Gute! Mit den herzlichsten Wünschen + Grüßen} \grussformel{Dein\\ M. Schlick} \ebericht{Brief, hsl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/870827}{RC 029-29-13}; Briefkopf: hsl. \original{Berkeley, March 23\textsuperscript{rd} \blockade{ksl}}.}