unsere Correspondenz ist nicht gerade sehr lebhaft. Verzeih mir bitte, daß ich Monate verstreichen ließ, bevor ich auf Deinen Brief antworte. Der Gedanke an die Größe des Zeitintervalls zwischen Absendung, Ankunft und Antwort wirkt eben doch lähmend auf die Schreibelust. Nach meiner Rückkehr werden wir aber hoffentlich recht oft voneinander hören. Ich bin recht beschäftigt gewesen, weniger mit den regulären Vorlesungen, die ich immer ganz ohne Vorbereitung halte, als mit allerlei Schriftstellerei und unvermeidlichen lokalen Verpflichtungen. Was für eine Menge Ansprachen und Vorträge habe ich halten müssen! (drei von den letzteren werden gedrucktBBB, enthalten aber nichts Neues.) Meine Schreibfröhlichkeit wurde nicht gerade erhöht durch den Umstand, daß mein Befinden während der letzten Monate sehr zu wünschen übrig ließ: ich hatte (und habe teilweise noch) ziemlich unangenehme Herz- und verwandte Beschwerden, die mich daran erinnern, daß ein Mann, der 50 wird, eben kein Jüngling mehr ist. Na ja!
Daß Du mit Prag zufrieden bist, hat mich wirklich sehr gefreut zu hören, besonders, daß Ihr eine so gute Wohnung gefunden habt. Die Lage der Wohnung ist immer der wichtigste Punkt für das Wohlbefinden in einer neuen Umgebung. Deinen in der „Erkenntnis“IErkenntnis, Zeitschrift abgedruckten VortragB habe ich mit dem allergrößten Vergnügen gelesen. Daß Deine übrigen ArbeitenBB so treffliche Fortschritte machten, ist höchst befriedigend, wenn auch bei Deinem notorischen Fleiß gar nicht erstaunlich. Hoffentlich kann Deine MetalogikB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 bald 🕮 gedruckt werden (es tat mir so leid, wegen meiner dummen Krankheit Deine letzten Vorträge darüber versäumen zu müssen); ich würde es doch sehr begrüßen, wenn sie in unserer SammlungI Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung, Buchreihe erscheinen könnte; hast Du mit FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank darüber gesprochen? Es wäre schön, wenn Du einmal nach Amerika kommen könntest, am besten hierher; es ist wirklich in vieler Beziehung ein Paradies. Besonders jetzt haben wir wahrhaft halkyonische Tage. Ich höre und sehe mich immer nach passenden Gelegenheiten um und lobe Dich immer sehr: dasaOriginal dass ist der direkteste Einfluß, den man nehmen kann. Hoffentlich hilft es. Die Oberländer-StiftungIOberlaender Stiftung/Oberlaender Trust, die MillikansPMillikan, Robert Andrews, 1868–1953, am. Physiker Europareise finanziert hat, kenne ich sehr genau; sie ist leider ausschließlich für Amerikaner, die im Dienste der Völkerverständigung nach Europa reisen. Auch ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach schrieb mir, er möchte gern einmal herüberkommen. Was hältst Du von seiner WahrscheinlichkeitsarbeitBReichenbach, Hans!1930@„Kausalität und Wahrscheinlichkeit“, Erkenntnis 1, 1930/31, 158-188? Mir scheint das Mathematische daran nicht sehr wichtig, und das Philosophische ganz unhaltbar. Schrieb ich Dir, daß ich zu Neujahr drei herrliche Nachmittage mit EinsteinPEinstein, Albert, 1879–1955, dt.-am. Physiker, verh. mit Else Einstein verbrachte? Es war in Pasadena, wo wir uns auf unserer 3wöchigen Weihnachtsreise ein paar Tage aufhielten. Unbeschreiblich großartige Eindrücke in der Wüste, im Gebirge und am OzeanbOcean! Schrieb ich Dir, daß ich eines Abends mit RussellPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell dinierte? Ein entzückender Mensch! – Übermorgen in 3 Wochen verlasse ich dies schöne Land. Meiner FrauPSchlick, Blanche Guy, 1881–1964, geb. Hardy, verh. mit Moritz Schlick hat es naturgemäß auch sehr gut gefallen, und beide KinderPSchlick, Albert, 1909–1999, Elektroingenieur, Sohn von Moritz SchlickPSchlick, Barbara, 1914–1988, verh. van de Velde, Tochter von Moritz Schlick sind so restlos begeistert, daß sie am liebsten hier blieben. Was mich betrifft, so wäre ich eigentlich ebenso gern in Dalmatien (wohin ich um diese Jahreszeit sonst zu reisen pflege). Wir reisen mit der „Europa“ von New York nach Bremen, und am 29. April hoffe ich in Wien zu sein. Ich freue mich doch ganz riesig darauf, aus privaten Gründen, die Du Dir denken kannst. Am 17., 18. u. 20. Mai soll ich auf Einladung der Universität LondonIUniversität London dort 3 VorträgeBBB halten, die gleich gedruckt werden sollen. Als Thema habe ich mir ausgesucht: „Form and Content“. Hoffentlich werde ich wohl genug sein, um hinüberzufahren. Auf frohes Wiedersehen im Sommer! Dir und InaPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap alles Gute!
Mit den herzlichsten Wünschen + Grüßen