\brief[Carnap an Neurath, Prag, 2.~März 1932]% {Rudolf Carnap an Otto Neurath, 2. März 1932}{März 1932}\labelcn{1932-03-02-Carnap-an-Neurath} \anrede{Lieber Neurath!} \haupttext{Es ist gut, daß Du mal ausführlich geschrieben hast. Nun enthüllen sich die Irrtümer, auf denen Deine ganze Einstellung beruht. Du überlegst, ob ich aus Naivität oder aus raffinierter Böswilligkeit Dir das große Unrecht zufüge. Dieses Unrecht existiert aber nur in Deiner Einbildung. Zunächst einige \uline{faktische Richtigstellungen}: (Abkürzungen:%\Apagebreak \begin{tabbing} \indent\=\hspace{28 pt.}\=\hspace{40 pt.}\=\hspace{33 pt.}\=\hspace{20 pt.}\=\kill \> N-S \> Neuraths \> Aufsatz \> über \> Soziol\ekl{ogie}\IW{\neurathsoziologie} \\ \> C-M \> Carnaps \> `` \> `` \> Metaphysik\IC{\ueberwindungdermetaphysik} \\ \> C-Ph \> `` \> ``\> `` \> phys\ekl{ikalische} Sprache\IC{\physikalischesprache} \\ \> C-Ps \> ``\> ``\> ``\> Psychol\ekl{ogie}\IC{\psychologiesprache})\fnSEmark \end{tabbing}\fnSEtext{N-S: Neurath, ,,Soziologie im Physikalismus``; C-M: Carnap, ,,Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache``; C-Ph: Carnap, ,,Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft``; C-Ps: Carnap, ,,Psychologie in physikalischer Sprache``.} %\begin{enumerate}[leftmargin=0pt,labelwidth=*,align=left,listparindent=\parindent,parsep=0pt] 1. Es war niemals geplant, N-S\IW{\neurathsoziologie} mit C-M\IC{\ueberwindungdermetaphysik} zusammen zu veröffentlichen; diese beiden haben ja inhaltlich gar nichts miteinander zu tun. (Vielleicht verwechselst Du den\fnA{Hsl. Einschub.} jetzt gedruckten C-M\IC{\ueberwindungdermetaphysik} mit C-Ps\IC{\psychologiesprache}?) Vielmehr sollte ursprünglich N-S\IW{\neurathsoziologie} mit C-Ps\IC{\psychologiesprache}, zu dem er sachlich in Parallele steht, zusammen erscheinen. 2. Es war niemals geplant, daß C-Ph\IC{\physikalischesprache} später als N-S\IW{\neurathsoziologie} erscheinen sollte. Vielmehr sollte C-Ph\IC{\physikalischesprache} entweder gleichzeitig oder vor N-S\IW{\neurathsoziologie} und C-Ps\IC{\psychologiesprache} erscheinen. 3. Die vorgenommene Veränderung im Veröffentlichungsplan unserer drei Aufsätze ist nicht eine Benachteiligung, sondern im Gegenteil eine Bevorzugung von Dir gegenüber mir. Diese Änderung hat Reichenbach\IN{\reichenbach} im Herbst vorgeschlagen. Sie besteht darin, dass C-Ps\IC{\psychologiesprache} auf Band III verschoben wird; anstatt nun, dem früheren Plan entsprechend, N-S\IW{\neurathsoziologie} ebenfalls zu verschieben, hat Reichenbach\IN{\reichenbach} ihn doch schon für Band II bestimmt.\fnE{Zum früheren Plan einer gemeinsamen Publikation von Carnap, ,,Psychologie in physikalischer Sprache``, und Neurath, ,,Soziologie im Physikalismus``, vgl. oben, Brief Nr.~\refcn{1930-07-22-Neurath-an-Carnap}.} C-Ps\IC{\psychologiesprache} erscheint jetzt, anstatt gleichzeitig mit N-S\IW{\neurathsoziologie}, 2 oder 3 Hefte später als dieser. 4. Diese Änderung im Veröffentlichungsplan ist nicht ohne Dein Wissen geschehen, sondern im Gegenteil mit Deiner ausdrücklichen Zustimmung. Ich finde in meinen Briefen an Reichenbach\IN{\reichenbach} vom 26.\,9.\,31. aus Wien den Satz: ,,Neurath\inneurath{} ist mit der von Ihnen vorgeschlagenen Einordnung\fnA{Hsl. Einschub.} seines Aufsatzes\IW{\neurathsoziologie} einverstanden.`` 5. N-S\IW{\neurathsoziologie} erscheint jetzt nicht später als C-Ph\IC{\physikalischesprache}, sondern im gleichen Heft. (Solltest Du mit ,,hinter`` gemeint haben ,,im gleichen Heft an späterer Stelle``, so scheint mir diese Frage ziemlich gleichgültig; es ist mir auch nicht bekannt, welche Reihenfolge Reichenbach\IN{\reichenbach} hier beabsichtigt hat; ich habe aber jetzt an ihn geschrieben, daß er Deinen Aufsatz\IW{\neurathsoziologie} vor meinen stellen soll). 6. ,,Bemerkenswert, daß \ccarnap{}\incarnap{} andere Leute zitiert``. So viel ich sehe, nur Frank\IN{\frankphilipp}. 7. Inbezug auf die ,,dritte Antwort`` (Protokollsätze über Dinge) besitzt Du nicht die Priorität. Da \textkritik{ich nicht weiß}\fnA{Hsl. Ersetzung von \original{Ich habe nicht gewußt}.}, wem sie zukommt, und es nicht für der Mühe wert halte\fnA{Am Seitenrand msl. Ersetzung von \original{gehalten}.}, deswegen Literaturstudien anzustellen, nenne ich niemanden. Die Literatur ist mir auch zum Teil unzugänglich, z.\,B. das polnische Buch\IW{} von Kotarbiński\IN{\kotarbinski};\fnSE{Kotarbiński, \textit{Elementy teorii poznania, logiki formalnej i metodologii nauk}.} er faßt, wie er mir mündlich erklärt hat,\fnE{Während Carnaps Aufenthalt in Warschau Ende November/Anfang Dezember 1930; vgl. TB.} alle Sätze, auch die psychologischen, als Sätze über Körper auf; wenn ich mich recht entsinne, nennt er das ,,Pansomatismus``; ich besitze nur eine kleine Note ,,Die Natur der inneren Erfahrung``\IW{} von 1922 von ihm, die die genannte Auffassung andeutet, als Resum\'{e} eines polnischen Vortrages.\fnSE{Kotarbiński, ,,La nature de l'experience intérieure``.}\fnE{Kotarbiński, \textit{Elementy teorii poznania, logiki formalnej i metodologii nauk} (für eine englische Übersetzung siehe Literaturverzeichnis); bei der ,,kleinen Note`` handelt es sich um ,,La nature de l'experience intérieure``, eine kurze Zusammenfassung von Kotarbiński, ,,O istocie doświadczenia wewnętrznego`` (Abdruck im gleichen Heft, S.\,294).} Ich glaube aber, daß auch noch andere Leute in Betracht kommen. -- Übrigens kommt an diesem Punkt ein Prioritätsstreit mit mir gar nicht in Frage, da ich ja die dritte Antwort nur referiere und ausdrücklich sage, daß ich selbst nicht Stellung nehme. \neueseite %\end{enumerate} Nach dieser Richtigstellung einiger faktischer Irrtümer bleibt nun noch die Frage offen, in welcher inhaltlichen und historischen Beziehung die Darlegungen\fnA{Hsl. Ersetzung von \original{Grundlegung}.} meines neuen Aufsatzes\IC{} zu Deinen vorhergegangenen schriftlichen und mündlichen Darlegungen stehe. Diese Frage ist nicht so leicht zu entscheiden, zumal für uns beide Nächstbeteiligten nicht. Ich versuche gegenüberzustellen, wie wir beide die Sache beurteilen: %\begin{enumerate}[leftmargin=0pt,labelwidth=*,align=left,listparindent=\parindent,parsep=0pt] 1. \uline{Neuraths\inneurath{} Beurteilung:} Neurath\inneurath{} hat ,,den Grundgedanken des \ccarnap{}-Artikels\IC{} präzise, wenn auch nicht mit allen Feinheiten, dargelegt``, ,,prägnant, nicht nur als Anregung``. Neurath\inneurath{} ,,vertritt seit vielen Monaten -- zunächst ohne Erfolg -- seinen Standpunkt gegen den Carnapschen\incarnap{}. Endlich nimmt Carnap\incarnap{}`` in seinem neuen Aufsatz\IC{} ,,ihn an``. Neuraths\inneurath{} ,,Behauptungen sind von \ccarnap{}\incarnap{} übernommen worden``. 2. \uline{Carnaps\incarnap{} Beurteilung:} Neurath\inneurath{} hat gewisse Thesen aufgestellt, die sehr kühn und interessant waren; diese Thesen waren aber weder begründet, noch klar formuliert. Z.\,B. konnte man nicht herausbekommen, was \nneurath{}\inneurath{} eigentlich mit ,,Ballungen`` meinte\fnSE{Der Terminus ,,Ballungen``, der in Neuraths Publikationen ab ,,Soziologie im Physikalismus`` (Abschnitt 2) eine zentrale Rolle spielt, wurde von diesem bereits früher -- auch in Diskussionen mit Carnap -- verwendet; vgl. Uebel, \textit{Empiricism at the Crossroads}, 114--116, 223 und 233.} und -- was der Kernpunkt des ganzen Problems ist -- wie er sich das Verhältnis der Protokollsätze (,,Ballungen``) zu den physikalischen Sätzen dachte.\fnE{Der Terminus ,,Ballungen``, der in Neuraths\inneurath{} Publikationen ab ,,Soziologie im Physikalismus`` eine zentrale Rolle spielt, findet sich bereits in einem Manuskript von 1927, das in engem Zusammenhang mit Diskussionen zwischen Neurath\inneurath{}, Carnap\incarnap{}, Waismann\IN{\waismann} und wahrscheinlich auch Olga Neurath\IN{\neuratholga} entstand; vgl. dazu oben, Brief Nr. \refcn{1928-02-25-Nr}.} Die Folge davon war, daß man im Zirkel\II{\schlickzirkel} Neuraths\inneurath{} Behauptungen ablehnte, ja in wesentlichen Punkten überhaupt nicht verstand.\fnE{Vgl. die Protokolle der Zirkelsitzungen vom 26.2. und 5.\,3.\,1931 in Stadler, \textit{Studien zum Wiener Kreis}, S.\,288--297; vgl. auch TB~4.\,3.\,1931\diaryref{TB-4-3-1931} über eine entsprechende Diskussion in kleinerem Rahmen sowie das dazugehörige Typoskript ,,Besprechung über Physikalismus am 4.~März 1931``, ON 192/K.4.} Im Unterschied zu den meisten andern im Zirkel\II{\schlickzirkel} war \ccarnap{}\incarnap{} der Ansicht, daß Neuraths\inneurath{} Thesen trotz ihrer Unklarheit sehr wichtige Hinweise für weitere Untersuchungen gaben und vielleicht auch in manchen Punkten die richtige Richtung wiesen. Diese Ansicht vertrat \ccarnap{}\incarnap{} auch im Zirkel\II{\schlickzirkel}. Diese Ansicht von \ccarnap{}\incarnap{} war zwar ebensowenig begründet wie die Thesen Neuraths\inneurath{} selbst. Aber \ccarnap{}\incarnap{} neigte instinktiv zu der Vermutung, daß Neuraths\inneurath{} instinktive Aper\c{c}us in vielem recht behalten würden; dabei hatte \ccarnap{}\incarnap{} aber auch noch gegen manches Bedenken. Carnaps\incarnap{} eigene Arbeit während des Jahres 1931 galt fast ausschließlich der Metalogik\IC{\logischesyntax}. Nebenher gingen auch Überlegungen über physikalische Sprache und Protokollsprache, äußerlich veranlaßt anfangs durch Neurath\inneurath{}, im Sommer durch Gespräche mit Feigl\IN{\feigl}, im Dez. durch Gespräche mit Hempel\IN{\hempel}.\fnE{Mit Feigl verbrachte Carnap einen Teil des Urlaubs in Tirol im Sommer 1931; vgl. TB 21. und 22.\,7.\,1931. Hempel war ab 30.\,Dezember 1931 für einige Tage in Prag, genau zu der Zeit, als Carnap intensiv an der Neufassung von ,,Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft`` arbeitete; vgl. die Einträge in TB rund um den Jahreswechsel.} Inhaltlich beeinflußt waren diese Überlegungen Carnaps\incarnap{} einerseits durch seine metalogischen Untersuchungen,\footnoteC{Ohne die Metalogik\IC{\logischesyntax} wäre ich z.\,B. gar nicht dazu gekommen, die scharfe Trennung zwischen formaler und inhaltlicher Redeweise zu machen und die letztere abzulehnen. Diese Trennung kommt zwar in ihrem Ergebnis in die Nähe Deiner These, daß man nicht über ,,Erlebnisse`` sprechen darf;\fnEE{\labelcn{methsolips}Carnaps \textit{Aufbau} basierte auf ,,Elementarerlebnissen`` bzw. einer ,,phänomenalistischen`` Sprache. Der damit zusammenhängende ,,methodologische Solipsismus`` wurde von Neurath stets kritisiert und von Carnap (teilweise aufgrund dieser Kritik) schließlich zugunsten des Physikalismus aufgegeben. Vgl. dazu Uebel, ,,Was bedeutet Carnaps ,Reinigung` der Erkenntnistheorie?{}``.} aber sie ist bei Dir noch nicht zu finden; Du verwendest, wie allgemein üblich, fast durchweg die inhaltliche Redeweise. Erst auf Grund dieser Trennung und der Verwerfung der inhaltlichen Redeweise ist aber die \textkritik{Überwindung des Dualismus der beiden Sprachen möglich.}\fnA{Hsl. Einschub.}} andrerseits auch sehr stark durch Neuraths\inneurath{} Thesen. Neuraths\inneurath{} Thesen bestimmten vor allem die Richtung und den Zielpunkt von Carnaps\incarnap{} Überlegungen; diese Thesen bestärkten ihn dann in der Überzeugung von der Richtigkeit des Ergebnisses seiner Überlegungen, als dieses Ergebnis mit Neuraths\inneurath{} Standpunkt zusammentraf. Kurz: Neuraths\inneurath{} Behauptungen haben sich für Carnaps\incarnap{} Untersuchungen als fruchtbare Anregungen erwiesen und sind durch sie in wesentlichen Punkten bestätigt worden. %\end{enumerate} Was die (für alle Vernünftigen doch wohl unwichtige) \uline{Frage der Priorität} anbetrifft, so ist also mein subjektiver Eindruck dieser: \nneurath{}\inneurath{} hat inbezug auf gewisse Behauptungen, die er als Aper\c{c}us aufstellte, die Priorität; \ccarnap{}\incarnap{} hat inbezug auf die deutliche Formulierung und inbezug auf die Begründung seiner Thesen\fnA{Hsl. Korrektur von \original{These}.} die Priorität. Ich bin mir bewußt, daß man stets in Gefahr ist, den eigenen Anteil an seinen Überlegungen zu überschätzen. Daher möchte ich meine vorstehende Beurteilung der Sachlage und der Prioritätsfrage vorsichtigerweise nur als meinen subjektiven Eindruck hinstellen, nicht als feste Behauptung. Du tätest vielleicht gut daran, in Deinem Urteil auch eine vorsichtige Zurückhaltung zu üben, anstatt gleich die heftigsten Vorwürfe daraus herzuleiten.~\neueseite Schließlich zur Frage der \uline{Verpflichtung zum Zitieren}. Du bist im Irrtum mit Deiner Annahme, daß man es in wissenschaftlichen Kreisen als Pflicht ansieht, die Autoren, an deren Gedanken man anknüpft, durch wörtliche Zitate im Text anzuführen. Im allgemeinen hält man es für hinreichend, wenn man ihre Schriften (z.\,B. in einer Fußnote) nennt. Und auch darauf verzichtet man häufig, z.\,B. dann, wenn man annehmen kann, daß die Leser der betr\ekl{effenden} Zeitschrift die betr\ekl{effenden} Arbeiten kennen oder leicht finden können. \fnA{Klammer hsl. eingeschoben.}(\uline{Beispiel}: Ich erhalte soeben Korrekturabzug eines neuen \uline{Aufsatzes von Schlick\IN{\schlick}} ,,Positivismus und Realismus``\IW{\schlickpositivismus} (wird in ,,Erk\ekl{enntnis}\II{\erkenntnis}`` III 1 erscheinen), der sich in erster Linie mit Plancks\IN{\planckm} Angriffen gegen uns befaßt. Hierbei zitiert Schlick\IN{\schlick} zwar Planck\IN{\planckm}, aber weder Frank\IN{\frankphilipp}, gegen dessen Prager Vortrag\IW{\frankpragervortrag} Plancks\IN{\planckm} Angriff geht,\fnEE{Frank, ,,Was bedeuten die gegenwärtigen physikalischen Theorien für die allgemeine Erkenntnislehre``; Planck, \textit{Positivismus und reale Außenwelt}.} noch mich; meine Broschüre über den Realismusstreit (,,Scheinprobleme``\IC{\scheinprobleme}) war vielleicht die erste Äußerung unseres Kreises\II{\schlickzirkel} gegen den Realismus; Schlicks\IN{\schlick} Bekehrung vom Realismus zum Positivismus ist wohl auf den Einfluß von Einstein\IN{\einstein}, Wittgenstein\IN{\wittgenstein} und mir zurückzuführen, von denen er aber keinen nennt. Ich finde nicht die geringste Unkorrektheit in seinem Nicht-Zitieren, bin auch überzeugt, daß niemand ihm einen Vorwurf daraus machen wird. Wer die historische Entwicklung der Auffassungen studieren will, findet ja in der ,,Erkenntnis``\II{\erkenntnis} und in der übrigen Literatur des Wiener Kreises\II{\schlickzirkel} hinreichende Grundlagen.)\fnA{Klammer hsl. eingeschoben.} In unserm Fall liegt es nun so. Schon aus \uline{meiner ursprünglichen Fußnote} erfährt der Leser, daß Dein Aufsatz\IC{\physikalischesprache} früher geschrieben ist als meiner\IW{\neurathsoziologie} und mir bekannt ist. \fnA{Klammer hsl. eingeschoben.}(Ich vermutete, daß Du in Deinem Aufsatz\IC{\physikalischesprache} Deine Polemik gegen meinen früheren Aufsatz\IW{\neurathsoziologie} streichen würdest, die ja nun gegenstandslos geworden war.)\fnA{Klammer hsl. eingeschoben.} So konnte der Leser dann leicht, nachdem er beide Aufsätze\IW{\neurathsoziologie}\IC{\physikalischesprache} (in demselben Heft!) gelesen hatte, sich selbst ein Urteil darüber bilden, wie viel ich von Dir übernommen hatte. \uline{Meine neue Fußnote} aber weist so deutlich auf Deine Anregungen (selbstverständlich im Sinn meiner oben genannten Beurteilung) hin, auf ihre zeitliche Priorität, ihre radikale Aufstellung, ihre Fruchtbarkeit für meine Untersuchungen und ihr inhaltliches Bestätigtsein, daß sie schon beträchtlich über das Übliche und für Korrektheit nötige Maß hinausgeht. Ich bin überzeugt, daß die Unparteiischen (z.\,B. Deine Frau\IN{\ina} und die Leute des Wiener Kreises\II{\schlickzirkel}, die ja auch Deine früheren mündlichen Äußerungen kennen) mir zugeben werden, daß ich mit dieser Fußnote Dich besonders rücksichtsvoll und bevorzugend behandle; hier noch von geringschätziger und kränkender Behandlung zu sprechen, ist äußerst ungerecht von Dir. \fnA{Klammer hsl. eingeschoben.}(Auf Deine Meinung, daß ich Dich geringschätziger behandle als ich z.\,B. Schlick\IN{\schlick} behandeln würde, weil Du kein Professor bist,\fnE{Vgl. TB~12.\,2.\,1932\diaryref{TB-12-2-1932} zur Mitteilung Franks einer brieflichen Äußerung Neuraths.} sage ich lieber gar nichts; das wird wohl niemand ernst nehmen.)\fnA{Klammer hsl. eingeschoben.} Damit das Zeitverhältnis unserer Aufsätze\IW{\neurathsoziologie}\IC{\physikalischesprache} noch deutlicher wird, habe ich Reichenbach\IN{\reichenbach} gebeten, Deinen Aufsatz\IC{\physikalischesprache} nicht nur voranzustellen\fnA{Hsl. Ersetzung von \original{vorauszustellen}.}, sondern außerdem am Schluß noch die Bemerkung hinzuzufügen ,,eingegangen am 16.~Mai 1931``. Bei der Revision werde ich dann unter meinen Aufsatz\IW{\neurathsoziologie} setzen ,,Jan. 1932``. (Du verlangst, daß ich dem Leser mitteile, daß mein Aufsatz\IW{\neurathsoziologie} geändert worden ist; daß aber meine frühere Auffassung schon schriftlich niedergelegt war, geht doch den Leser nichts an.) \neueseite Nach all diesem liegt also die Sache jetzt glücklicherweise so, daß wir beide gar nicht nötig haben, die Frage unserer beiden ,,Beurteilungen`` zu entscheiden. \uline{Der Leser hat ja alles Material in der Hand und da kann sich jeder selbst sein Urteil bilden}. Ich habe nichts dagegen, wenn dieses Urteil mehr zu Deinen Gunsten ausfällt, d.\,h. wenn Dein Anteil an den Darlegungen meines Aufsatzes\IW{\neurathsoziologie} größer ist, als ich geglaubt habe. Das ist für mich auch gar keine wichtige Frage. Wesentlich ist nur, und das glaube ich allerdings behaupten zu können, daß ich Dich vollkommen korrekt behandelt habe, und daß besonders Deine letzten heftigen Vorwürfe, die Du noch nach meiner neuen ausführlichen Fußnote in Telegrammen und Briefen an Frank\IN{\frankphilipp} und mich erhoben hast, eine arge Ungerechtigkeit darstellen. Ich möchte wünschen, daß Du Dich einmal bemühst, unbeeinflußt von Deinen allzuheftigen Gefühlen zu einem ruhigen und objektiven Urteil zu kommen. Ich wollte mit meiner Antwort warten, bis Frank\IN{\frankphilipp} wieder in Prag ist. Ich will aber jetzt nicht länger warten, da Frank\IN{\frankphilipp}, eben von Berlin gekommen, gleich wieder nach Wien abgereist ist. \textkritik{Mit bestem Gruß}\fnA{Hsl. Einschub.}} \grussformel{Dein\\Carnap}\Apagebreak \ebericht{Brief, msl., 4 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/825430}{ON 219 (Dsl. RC 029-12-60, weiterer Dsl. RC 029-12-61)}; Briefkopf: msl. \original{Prag, den 2.~März 1932}; die hsl. eingeschobenen Klammern sind im Original eckig.}