Rudolf Carnap an Kurt Gödel, 23. Februar 1932 Februar 1932

Lieber Herr Gödel!

In der nächsten Zeit wird Ihnen HempelPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel, ab 1947 mit Diane Hempel den bisher geschriebenen ersten Teil meiner „Metalogik“B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 zuschicken. Sie können das MsB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 ruhig einige Wochen behalten; wenn Sie es fertig gelesen haben, bitte es nicht zurückzuschicken, sondern mich zu benachrichtigen. Für kritische Bemerkungen wäre ich Ihnen dann sehr dankbar.

Ich habe im Math. KränzchenIMathematisches Kolloquium von Karl Menger über Ihre Arbeit referiert und zwei Wochen vorher über HilbertPHilbert, David, 1862–1943, dt. Mathematiker, zur Vorbereitung. Ihre Methoden und Ihre Ergebnisse fanden hier starkes Interesse. Es würde mich interessieren, was ZermeloPZermelo, Ernst, 1871–1953, dt. Mathmatiker dazu bemerkt hat. Könnten Sie mir vielleicht seine Briefe (und vielleicht die Durchschläge Ihrer Briefe an ihn, falls Sie sich inzwischen zu zivilisierten Methoden der wissenschaftlichen Korrespondenz bekehrt haben) zuschicken?

DinglersPDingler, Hugo, 1881–1954, dt. Philosoph Bemerkungen über die WienerISchlick-Zirkel, Wiener Kreis sind allerdings sehr töricht. Im übrigen halte ich aber sein BuchB für im ganzen vernünftig. Es fördert natürlich nicht die eigentliche Grundlagenfrage der Mathematik, aber macht doch ganz nette Überlegungen zur Entstehung der Symbolik als Handlung.

ChwistekPChwistek, Leon, 1884–1944, poln. Mathematiker hat mir seinen neuen AufsatzB geschickt. Auch den altenB habe ich mir nochmal angesehen. Er hat nämlich vor einiger Zeit ein neues MsB für die „Erkenntnis“IErkenntnis, Zeitschrift geschickt. Ich muß leider gestehen, daß ich alle 3 Aufsätze nicht kapiere. Falls Sie die „zweite Mitteilung“ verstanden haben, oder wenigstens die beiden ersten Seiten, wäre ich Ihnen für einige Erläuterungen 🕮 sehr dankbar. Z. B.: Wie sieht die Funktion aus, die keine Wahrheitsfunktion ist? Inwiefern ist die WittgensteinschePWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph Wahrheitstheorie „mit der Grundidee der Semantik im Widerspruch“? Welche seiner Buchstaben gehören der ersten Sprache an, welche der Metasprache? Übrigens habe ich auch seine Arbeit „Une méthode…“B gelesen, die hat mir aber auch nicht geholfen.

Wann erscheint der zweite Teil Ihrer ArbeitB? Hoffentlich veranlaßt der Umstand, daß auch Leute wie ZermeloPZermelo, Ernst, 1871–1953, dt. Mathmatiker (und sicher viele andere) Ihre ArbeitB nicht verstanden haben, Sie dazu, uns allen im zweiten Teil die Sache durch ausführlichere und verständlichere Darstellung leichter zu machen.

Mit den besten Grüßen

Ihr
R. Carnap

Brief, msl., 2 Seiten, RC 115-08-07; Briefkopf: gestempelt Prof. Dr. Rudolf Carnap  /  Prag XVII.  /  N. Motol, Pod Homolkou, msl. den 23. Februar 1932.


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