\brief{Rudolf Carnap an Felix Kaufmann, 14. Dezember 1931}{Dezember 1931} %Prag, den 14.Dezember 1931. \anrede{Lieber Herr Kaufmann!} \haupttext{Besten Dank für Ihre beiden Briefe vom Oktober und November, und für die Rücksendung des Frege\IW{}, den ich richtige bekommen habe. Es wird mich sehr interessieren, in einigen Monaten Ihr neues MS\IW{} kennenzulernen, besonders die Verschärfung der Konstruktivitätsthese. Ich habe hier einstweilen wenige Hörer, aber darunter erfreulicherweise einige die Verständnis zeigen und sich gut beteiligen. Der weiteren Entwicklung meiner Tätigkeit hier sehe ich mit Zuversicht entgegen. Kürzlich habe ich in der Kantgesellschaft\II{\kantgesellschaftprag} einen Vortrag gehalten ,,Die Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache``\IC{\ueberwindungbruenn}, der viel Beachtung und heftigen Widerspruch fand. Viel Scherereien habe ich immer noch mit den Behörden bis endlich alle Formalitäten meiner Ernennung erledigt sein werden. Ich hoffe jetzt im Januar damit fertig zu werden und dann von Januar ab auch mein Gehalt zu bekommen. Vorläufig bekomme ich nur eine Supplierungsgebühr, die ich seit Oktober monatlich ausgezahlt erhalten soll. Der endlos lange Instanzenweg für diese Gebühr ist jetzt auch schon so weit zurückgelegt, daß man mir in Aussicht gestellt hat, die erste Rate vielleicht sogar noch im Laufe des Dezember auszuzahlen. Darf ich Sie \sout{jetzt gleich} vielleicht in einer geschäftlichen Angelegenheit um Rat fragen. Ich vermute, daß Sie infolge der geschäftlichen Beziehungen Ihrer Firma zu andern Staaten über die österreichischen Devisenbestimmungen gut Bescheid wissen. Meine Wiener Vermieterin, Frau Franziska Kluch\IN{\kluch}, Wien XIII., Stauffergasse 4, hat jetzt durch Erlagschein dem Wiener-Bank-Verein\II{\bankvereinwien} für mein Konto Nr. 18601 einen Betrag von S 1100.-- überwiesen. Das sollte eine Rückzahlungsrate für eine Hypothek sein, die aber erst im August 1932 fällig ist. Der Wiener-Bank-Verein\II{\bankvereinwien} hat mir geschrieben, daß nicht nur zur Überweisung dieses Betrages nach Prag, sondern schon zur Gutschrift auf mein Konto die Bewilligung der Österr[eichischen] Nationalbank\II{\oenb} nötig ist. Und jetzt schreibt die Bank\II{\bankvereinwien} mir am 11.\,Dezember, daß die Nationalbank\II{\oenb} die Bewilligung zur Gutschrift abgelehnt hat. Die Bank\II{\bankvereinwien} stellt also der Frau Kluch\IN{\kluch} den Betrag wieder zur Verfügung. Wissen Sie vielleicht irgendeinen Weg, auf dem ich dieses Geld aus Österreich herausbekommen könnte? Falls das möglich ist, möchte ich es entweder in Kč auf mein Konto 3645 bei der Böhm[ischen] Unionbank\II{\unionbankboehmen}, Prag, bekommen oder, was mir noch lieber wäre, in RM auf mein Konto Nr. 23020 bei der Deutschen Bank\II{\db}, Filiale München. Banknoten irgendeiner guten Valuta wären mir natürlich ebenso recht. Ich nehme an, daß es wohl nicht möglich sein wird, dabei den Schilling zum früheren Kurs umgerechnet zu bekommen. Andrerseits erscheint mir \neueseite{} eine Umrechnung zu 60\% des früheren Schillingkurses (davon redet man hier in Prag) doch zu ungünstig. Einen Kursverlust von 10-20\% glaube ich aber hinnehmen zu sollen, falls Sie mir nicht anders raten. Falls Sie für den genannten Betrag von 1100.-- Schilling einen Ausweg wissen, möchte ich Sie noch fragen, ob das Gleiche auch für einen Betrag von S 1123.--, der von früher her auf meinem Konto beim Wiener Bankverein\II{\bankvereinwien} ist, möglich ist. Ferner ebenso für einige private Außenstände (einige hundert Schilling). Falls Sie keinen Ausweg wissen, (was ich bei den komplizierten und strengen Sparmaßnahmen wohl als das Wahrscheinlichere ansehen muß), so möchte ich Sie um Rat fragen, was ich mit der Rückzahlungsrate machen soll. Der Schuldschein (grundbuchlich eingetragen) lautet auf Schilling-Gold. Gibt mir das eine Möglichkeit, mich gegen die Schillingentwertung zu schützen? Kann ich vielleicht zur Zeit der Fälligkeit daraufhin Rückzahlung in Devisen verlangen? Wäre es also zweckmäßig jetzt die Rate nicht anzunehmen? Falls Sie es aber für besser halten, daß die Rate jetzt doch gezahlt wird, könnte ich sie da an Sie zahlen lassen, damit Sie mir das Geld aufheben bis die Möglichkeit besteht, es aus Österreich herauszubekommen?\fnAmargin{Hsl. am linken Rand \original{\textsp{ja}}. Ksl. Notiz ???} Kann man kleinere Beträge ohne Bewilligung mittels Postanweisung ins Ausland schicken? Wenn ja, zu welchem Kurs wird dabei der Schilling in RM bezw. Kč umgerechnet? Ich danke Ihnen im Voraus herzlich für alle Mühe, die Sie für meine Sache auf sich nehmen. Ich hoffe, Sie gönnen sich ein paar Tage Erholung im Schnee. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Frau schöne Weihnachstage und verbleibe mit herzlichen Grüßen} \grussformel{Ihr\\ R. Carnap} \briefanhang{P.S. Ich vergaß, Ihnen anzugeben, daß der W[iene]r Bankverein\II{\bankvereinwien} mir mit Bewilligung der Nationalbank\II{\oenb} am 21.\,November von meinem Konto 200.-- Kč überwiesen hat. In dem Gesuch hatte er auf meine Übersiedlung und meinen dringenden Bedarf hingewiesen. (Kurs S 21.13). Am 9. Dezember schreibt mir der W[iene]r B[ank]v[erein]\II{\bankvereinwien}, daß die Nat[ional]bank\II{\oenb} ein Ansuchen um eine weitere Zuteilung von 5000.-- Kč abgelehnt hat. Ich nehme an, daß ich Überweisungen von meinem Konto auf Konten von Österreichern ohne Bewilligung vornehmen darf. Trifft das zu? Oder wenigstens bis zu einem bestimmten Höchstbetrag?\fnAmargin{Hsl. am linken Rand \original{\textsp{ja}}.}} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/870158}{FK 008106-008107 (Dsl. RC 028-24-03)}}