Felix Kaufmann an Rudolf Carnap, 12. November 1931 November 1931

Lieber Herr Carnap!

Ich habe von Ihnen keine Verständigung bekommen, daß das BuchB von FregePFrege, Gottlob, 1848–1925, dt. Mathematiker und Philosoph, das Sie so lieb waren mir zu leihen, richtig in Ihre Hände gekommen ist, aber gerade hieraus glaube ich schließen zu können, daß dies der Fall ist, da ich Sie von der rekommandierten Absendung durch einen separaten Brief in Kenntnis gesetzt habe.

Dem „Prager Tagblatt“IPrager Tagblatt konnte ich einen kurzen Bericht über Ihre Antrittsvorlesung und eine längere, nicht besonders gute Darstellung Ihrer Lehre entnehmen und hoffe, daß Sie unter Ihren Prager Hörern auch solche gefunden haben, die überdurchschnittliche Begabung für theoretische Fragen zeigen.

Angesichts der Entwicklung der Dinge hier freut es mich doppelt, daß Sie eine Professur in einem demjenigen Lande erhalten haben, das aller Voraussicht nach unter den mitteleuropäischen Staaten am besten durch die große Krise hindurchkommen wird.

Ich habe meine ArbeitB für das Husserl-JahrbuchI einstweilen beiseitegelegt, weil das JahrbuchI erst im nächsten Jahr erscheinen wird, da HusserlPHusserl, Edmund, 1859–1938, dt. Philosoph, der einen eigenen großen BeitragB hiefür vorbereitet, damit noch nicht fertig ist. Ich will diese Frist dazu benützen, meine Auffassung bezüglich der Konstruktivitätsthese noch schärfer zu formulieren und Ihnen dann, wenn Sie es erlauben, in etlichen Monaten das ergänzte Ms.B zur Lektüre zu übermitteln. Jetzt bin ich recht stark mit der Vorbereitung meiner Urania-Vorträge über PhänomenologieB, worin ich insbesondere das Verhältnis von Positivismus und Phänomenologie herauszuarbeiten bemüht bin, beschäftigt, ferner mit der Ausarbeitung der zweiten Auflage von „Logik und Rechtswissenschaft“B, die ganz verändert sein wird. 🕮

Beiliegend mein eben erschienener Beitrag für die Kelsen-FestschriftB; er wird Sie vielleicht wegen der Analyse des Normbegriffs einigermaßen interessieren.

Ich wünsche herzlich, daß es Ihnen in Prag recht gut gehen möge und daß ich Sie in nicht allzu ferner Zeit dort oder hier wieder werde treffen können. Meiner FrauPKaufmann, Else, verh. mit Felix Kaufmann und mir geht es sehr gut, nur weiß man natürlich nicht, wann man durch die trostlose allgemeine Lage hier unmittelbar in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sein wird.

Viele herzliche Grüße von

Ihrem
Felix Kaufmann

Prof. ChwistekPChwistek, Leon, 1884–1944, poln. Mathematiker bittet mich Ihnen mitzuteilen, daß er seine Einwände gegen GödelsPGödel, Kurt, 1906–1978, öst.-am. Mathematiker ArbeitB als unrichtig erkannt hat und nunmehr dessen Beweisführung, die er für sehr wichtig hält, voll zustimmt. Leider habe ich den Bonner Fakultätsvorschlag nicht erfragen können

Brief, msl., 2 Seiten, RC 028-24-04 (Dsl. FK 008104-008105); Briefkopf: gestempelt Dr. Felix Kaufmann  /  Tel. 8-10-4-53  /  Wien XIX.  /  Döblinger Hauptstraße 90, msl. 12. November 1931  /  Herrn Professor Dr. Rudolf Carnap  /  Prag.


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