\brief{John von Neumann an Rudolf Carnap, 7. Juni 1931}{Juni 1931} %v. Neumann %Berlin, den 7.6.1931 \anrede{Lieber Herr Carnap!} \haupttext{Vielen Dank für Ihren Brief und seine Anregungen. Ich habe in meinem Beitrag\IW{\neumannvonkoenigsberg} auf die ausführlichen Literatur-Angaben aus Weyls\IN{\weyl} Handbuch-Artikel\IW{} verwiesen, und selbst keine Literatur angegeben. Ich tat dies hauptsächlich, weil ich durch meine Auswahl keine Wertschätzungen geben wollte. Es gibt manche programmatische Veröffentlichungen Hilberts\IN{\hilbert}, in denen das bewiesen-Sein oder beinahe-bewiesen-Sein von Dingen behauptet wird, für die das auch nicht approximativ der Fall ist (Kontinuum-Problem, u.s.w.). Ich möchte dieselben daher weder \blockade{?} noch richtigstellen, noch verschweigen, und glaube daher, daß ich durch einen generellen Verweis auf den Handbuch-Artikel\IW{} noch am besten handle. Bezüglich Ihrer Anregung über das gemeinsame Versenden der Separata möchte ich folgendes sagen: Ich habe in Königsberg, und nachher im Briefwechsel, von K. Gödel\IN{\goedel} (den Sie auch kennen?) über seine Resultate erfahren. \blockade{Diese} (seither veröffentlichten) Sätze zeigen, daß gewisse logische und mathematische Sätze, so z.\,B. die Widersprüchlichkeit der Analysis, in gewissen formal-logischen Systemen unbeweisbar sind. M.\,E. zeigen sie aber auch, daß dies inhaltlich unmöglich ist, denn ich bin der Ansicht, daß \neueseite{} alle inhaltlichen Schlußweisen in einem gewissen formalen System (das ich hier nicht näher beschreiben will, aber für welches Gödels\IN{\goedel} Sätze gelten) wiederholbar sind. Ich bin daher heute der Ansicht, daß 1. Gödel\IN{\goedel} die Undurchführbarkeit von Hilberts\IN{\hilbert} Programm erwiesen hat. 2. Kein Anlaß zur Ablehnung des Intuitionismus mehr vorliegt (wenn man vom Ästhetischen absieht, der freilich in praxi auch für mich der ausschlaggebende sein wird). Ich halte daher den Königsberger Stand der Grundlagenforschung für überholt, da Gödels\IN{\goedel} fundamentale Entdeckungen die Frage auf eine ganz veränderte Plattform gebracht haben. (Ich weiß, Gödel\IN{\goedel} ist in der Wertung seiner Resultate viel vorsichtiger, aber m.\,E. übersieht er die Verhältnisse an \uline{diesem} Punkte nicht richtig.) Ich habe mit Reichenbach\IN{\reichenbach} mehrfach besprochen, ob es unter diesen Umständen überhaupt Sinn hat, mein Referat\IW{\neumannvonkoenigsberg} zu publizieren -- hätte ich es 4 Wochen später zu halten gehabt, so hätte es ja wesentlich anders gelautet. Wir kamen schließlich überein, es als Beschreibung eines gewissen, wenn auch überholten, Standes der Dinge doch niederzuschreiben.\fnC{Ich möchte betonen: \uline{Nichts} an Hilberts\IN{\hilbert} Absichten ist \uline{falsch}. Wären sie durchführbar, so würde aus ihnen durchaus das von ihm Behauptete folgen. Aber sie sind eben undurchführbar, das weiß ich erst seit Sept. 1930.} Wie Sie sich auf Grund dieser Zeilen denken können, würde ich von mir aus kein ein\neueseite{}ziges Separatum meines Referats verschicken. Ich will aber eine gemeinsame Aktion nicht stören, und schließe mich daher Ihrem Vorschlag, sowie der von Ihnen vorgeschlagenen Liste, an. Mit den besten Grüßen} \grussformel{Ihr\\ Johann von Neumann} \briefanhang{Berlin W. 10., Hohenzollernstrasse 23} \ebericht{Brief, hsl., 3 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/870561}{RC 029-08-03}; Briefkopf: hsl. \original{Berlin, den 7.6.1931}.}