\brief{Wilhelm Flitner an Rudolf Carnap, 1. Mai 1931}{Mai 1931} %1. Mai 1931. \anrede{Lieber Carnap!} \haupttext{Deinen Brief bekam ich nach Davos. Es waren schöne Tage, die mir besonders durch die neue Bekanntschaft mit Giedion\IN{\giedion} wertvoll waren. Daß Du mir wieder ein Zeichen gegeben hast, war mir eine große Freude, wenn auch Dein Brief etwas traurig klingt. Ich fürchte, daß Dich Dein Positivismus in einer lebenswichtigen Frage im Stich lassen könnte und möchte doch etwas auf Deinen Brief eingehen. Natürlich nehme ich in Deinem Kampfe mit der Gefühlsbefangenheit gegen Dich Stellung. Ich finde im Unterschied zu Dir, daß die wissenschaftlichen Kämpfe mit Freundschaft und Liebe gar nichts zu tun haben, wenn man die Fähigkeit gewinnt, sie einzuklammern und mit Humor sie zu ertragen. Ich will nicht sagen, daß ich diese Fähigkeit in hinreichendem Maße besitze, aber ich besitze wenigstens keine Theorie, die mir die Einklammerung und den Humor zu vernichten strebt. Siehst Du, das ist ein Fehler Eurer im übrigen von mir respektierten und vielleicht dank mathematischer Unverstandenheit auch nur halb verstandenen Philosophie. Kommst Du nicht einmal wieder ins nördliche Reich, daß man sich unter günstigeren Umständen wie seinerzeit in Garmisch einmal besprechen und aushören könnte? Ich habe die ,,Erkenntnis``\II{\erkenntnis} erhalten und durchgesehen und wünsche Euch einen guten Fortgang. Mit herzlichen Grüßen} \grussformel{Dein\\ Flitner} \ebericht{Brief, msl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/871253}{RC 102-29-29}; Briefkopf: \blockade{fac simile in Anhang} msl. \original{1.\,Mai 1931}.}