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Lieber Flitner!
ich freue mich, im Januar nach langer Zeit wieder von Euch zu hören. Nach Davos
Du verstehst, daß ich betrübt bin, daß auch du geneigt bist, für die Metaphysiker und gegen uns Stellung zu nehmen. Ich muß es mir so erklären, daß irgendwelche Gefühlsbedürfnisse Dich dorthin treiben, daß der Verzicht auf liebgewordene und gefühlbehangene Vorstellungen Dir als zu schweres Opfer erscheint. Da aber in Dir neben dem Künstler, der Du hauptsächlich und auch als Pädagoge bist, doch auch noch ein Erkennenwollender steckt, so meine ich immer wieder, Du müßtest es auch mal fertig bringen, die Dinge nüchtern und klar anzuschauen, losgelöst von dem Gefühlsbehang. Aber vielleicht stecke ich da schon wieder im genannten Irrwahn.
Vielleicht wäre uns ein menschliches Fühlungnehmen möglich, unter Beiseitelassen der wissenschaftlichen Kämpfe. Die Schwierigkeit liegt aber darin, daß diese Gegensätze nicht nur im Theoretischen liegen, sondern auf viele andere Lebensgebiete hinübergreifen. Die theoretische Frage: Metaphysik oder nicht, ist ja an sich selbst gar nicht so wichtig. Aber die Stellungnahme des Einzelnen in diesem Punkt ist ein aufschlußreiches Symptom. Und so wird bei einem Gegensatz hier auch die menschliche Verständigung erschwert. Dies ist aber nicht gemeint als Ablehnung Deiner Aufforderung, wieder Fühlung zu nehmen; ich möchte nur, daß wir uns nicht über die Schwierigkeiten täuschen.
Ja, ich gebe mit Reichenbach
Ich freue mich, daß es Euch und den Kindern
Dir u. Lisi
Dein
C.
Brief, msl. Dsl., 2 Seiten, RC 102-29-30; Briefkopf: msl. Wien, den 9. April 1931.