\brief{Hans Reichenbach an Rudolf Carnap, 16. Jänner 1931}{Jänner 1931} %16.Januar 1931 %Herrn Prof. Dr. Rudolf Carnap %Wien XIII/5, Stauffergasse 4 \anrede{Lieber Carnap,} \haupttext{endlich komme ich dazu, auf Ihre ausführlichen Briefe zu antworten. Was zunächst die von Ihnen in Aussicht gestellten Ms.\IC{\physikalischesprache} \IC{\psychologiesprache} \IC{\ueberwindungdermetaphysik} betrifft, so entsteht eine große Schwierigkeit darin, daß der Gesamtumfang der Ms. zu groß ist. Sie wissen, wie sehr ich Ihre Beiträge schätze, aber als Herausgeber müssen wir beide uns eine gewisse Reserve auferlegen. Ihre drei Ms. Physikalische Sprache\IC{\physikalischesprache}, Psychologie\IC{\psychologiesprache} und Überwindung der Metaphysik\IC{\ueberwindungdermetaphysik} nehmen schätzungsweise einen Raum von etwa 80 Druckseiten ein, dazu kommt noch Ihr Königsberger Vortrag\IC{}, sodaß der Jahrgang II mit 100 Seiten durch Sie belegt wäre. Stellen Sie sich bitte vor, ich würde auch noch 100 Seiten in Anspruch nehmen, dann hätten wir beiden Herausgeber schon fast die Hälfte des zur Verfügung stehenden Raumes für Abhandlungen beschlagnahmt. Sie werden mir selbst zugeben, daß das nicht geht. Dabei habe ich Ihren Aufsatz ,,Logik``\IC{}, den Sie zurückstellen wollen, noch gar nicht mitgezählt. Ich möchte Ihnen deshalb einen andern Vorschlag machen. Meiner\II{\meinerverlag} hat sich neuerdings entschlossen, Beihefte zur ,,Erkenntnis``\II{\erkenntnis} herauszugeben, von denen das erste mit Dubislavs\IN{\dubislav} ,,Definitionen``\IW{} grade eben erschienen ist. Können Sie nicht einen Teil Ihrer Aufsätze zusammenfassen und zu einem derartigen Beiheft verarbeiten? Vielleicht ließe sich ,,Physikalische Sprache``\IC{\physikalischesprache} und \neueseite{} ,,Überwindung der Metaphysik``\IC{\ueberwindungdermetaphysik} zusammenfassen, ,,Psychologie``\IC{\psychologiesprache} müßte man wohl in das Psychologieheft nehmen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir die schon fertigen Ms. schicken würden, dann kann ich Ihnen vielleicht noch genauere Vorschläge machen. Das Psychologieheft möchte ich, wenn irgend möglich, nach dem Königsberger Bericht\IW{} bringen. Neuraths\IN{\neurath} Aufsatz über ,,Physikalismus in der Soziologie``\IW{\neurathsoziologie} ist mir sehr erwünscht; ob wir aber die Soziologie mit der Psychologie zusammen bringen können wird davon abhängen, wieviel speziell psychologische Beiträge wir haben werden. An Watson\IN{\watsonjohn} habe ich schon geschrieben. Ich selbst habe jetzt einen Vortrag über ,,Ziele und Wege der heutigen Naturphilosophie``\IW{}, den ich kürzlich in verschiedenen Städten vorgetragen habe, ausgearbeitet, aber ich will ihn nicht in die ,,Erkenntnis``\II{\erkenntnis} nehmen aus den angeführten Gründen. Vielleicht mache ich daraus ein Beiheft. Die Königsberger Ms.\IC{} brauche ich jetzt dringend, auch das Diskussionsprotokoll\IC{}. Übrigens sind die Korrekturen, welche Emmy Noether\IN{\noether} eingetragen hat, sehr gering (Sie fragten danach in Ihrem Brief vom 10.\,Nov.) Ich schicke Ihnen die korrigierte Stelle in Abschrift einliegend. Menger\IN{\menger} hat mir geschrieben, daß es ihm lieb wäre, wenn die von ihm vorgelesene Arbeit überhaupt nicht erwähnt würde; er wolle uns nächstens einen besonderen Aufsatz über seine Auffassung der Grundlagenfragen zusenden. -- Eine Literaturzusammenstellung im Anschluß an den Königsberger Bericht\IW{} zu bringen, ist ein sehr guter Vorschlag; könnten Sie die nicht in Wien zusammenstellen? Fraenkel\IN{\fraenkelabraham} ist noch immer in Palästina, die Korrespondenz dauert sehr lange, auch weiß ich nicht, ob er dort genügend Hilfsmittel zur \neueseite{} Verfügung hat. Die vollständige polnische Bibliographie wäre doch vielleicht etwas zu umfangreich, zumal in Deutschland doch niemand die polnische Sprache kennt und die Arbeiten deshalb doch nicht nachlesen kann. Sehr wertvoll wäre der von Ihnen in Aussicht gestellte Aufsatz\IW{} von Kotarbinski\IN{\kotarbinski}. Vielleicht kann er seinem Aufsatz einige Literaturangaben, wenigstens über die wichtigsten polnischen Arbeiten hinzufügen. Was die Frage der Manuskriptzusendung betrifft, so möchte ich Sie bitten, sich durch Ihre Wiener Freunde nicht bestimmen zu lassen, diese Frage unter Prestige-Gesichtspunkten zu sehen. Für eine einheitliche Geschäftsführung ist es ganz unmöglich, daß für den Manuskripteingang zwei verschiedene Stellen genannt werden. Ich sehe aus Ihren Bemerkungen, daß Sie von der redaktionellen Arbeit, die ich hier mache, keine Vorstellung haben. Wir haben damals beschlossen, daß die Geschäftsführung bei mir sein soll; dazu gehört selbstverständlich vor allem auch der Eingang der Ms. Wer mit Ihnen direkt korrespondieren will, findet Ihre Adresse bei denen der Mitarbeiter des Heftes; ich habe veranlaßt, daß Ihre Adresse dort jederzeit angegeben wird. Übrigens habe ich Ihnen bisher noch jedes Ms., das in Ihr Gebiet fällt, zur Beurteilung zugeschickt. Es tut mir sehr leid, aus Ihren Bemerkungen herauszuhören, daß man in Wien meine Arbeit an der Zeitschrift als eine Zurückdrängung der Wiener \neueseite{} empfindet; jeder andere weiß, daß das Gegenteil der Fall ist. Einliegendes Ms.\IW{} von Latzin\IN{} scheint mir Kohl zu sein; ich schicke es Ihnen jedoch der Sicherheit halber zur Kontrolle, zumal der Mann aus Wien ist; bitte wollen Sie es mir möglichst bald mit Ihrer Beurteilung zurückschicken. Die Arbeit\IW{} von Gödel\IN{\goedel} hat uns sehr interessiert; wir hoffen, daß Hempel\IN{\hempel}, der Sie demnächst in Wien besuchen wird, uns nach der Rückkehr noch genaueres\blockade{Duden hilft nicht. Genaueres?} erzählen wird. Bei der Bedeutung der Arbeit würde ich es sehr begrüßen, wenn Gödel\IN{\goedel} uns einen kurzen Vorbericht darüber im Umfang von etwa einer Druckseite schreiben würde; ich möchte für solche kurzen Berichte, die dann stets rasch erscheinen sollen, eine Rubrik ,,Zuschriften an die Herausgeber`` einrichten. Herzliche Grüße} \grussformel{Ihr\\{}[Hans Reichenbach]} \briefanhang{P.S. Haben Sie für Heft 6 noch Notizen für ,,Rundschau`` oder ,,Chronik``: Ihre Mitteilung über Ihre Vortragsreise will ich gern verwerten. Sehr gern hätte ich Buchbesprechungen. D.O.\blockade{Ergänzung?} \neueseite{} \uline{Zum Königsberger Diskussionsprotokoll\IW{} S.\,22.} \noindent{}Noether\IN{\noether}: Meinen Sie, man könnte bei einem vorgegebenen System erlaubter Schlußweisen eine Widerspruchlosigkeit bezüglich dieses Systems beweisen, aber durch ein anderes System von Schlußweisen wäre sie nicht mehr beweisbar? Dann bestünde die Widerspruchlosigkeit nur relativ zu dem kleinen und nicht zu dem erweiterten System von Schlußweisen. Sie meinen, wenn ich erweitere, so kann diese Erweiterung in bezug auf andere Voraussetzungen erlaubt sein. Dann ist der Begriff ,,Widerspruchsfreiheit`` etwas anderes geworden; er ist also relativ.} \ebericht{Brief, msl. Dsl., 4 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/848612}{HR 013-41-57}; Briefkopf: msl. \original{16.\,Januar\,1931 \,/\, Herrn Prof. Dr. Rudolf Carnap \,/\, Wien XIII/5, Stauffergasse 4}}