Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 30. September 1930 September 1930

Lieber Schlick!

Besten Dank für Deinen Gruß! Das scheint ja wirklich eine herrliche Gegend zu sein! Ich freue mich sehr, zu hören, daß es Dir gut geht und Du auch noch Sonne genießen kannst.

Nach der Königsberger TagungITagung für Erkenntnislehre@2. Tagung für Erkenntnislehre der exakten Wissenschaften, Königsberg, 5.-7.IX.1930, von der ich Dir kurz schrieb, war ich noch mit FeiglPFeigl, Herbert, 1902–1988, öst.-am. Philosoph, seit 1931 verh. mit Maria Feigl einige Tage in Berlin, bevor er nach Amerika abreiste. Die Seefahrt wird wohl etwas unruhig gewesen sein, die Zeitungen berichteten kurz vorher von argen Stürmen. Jetzt wird er aber wohl schon wieder auf festem Boden sein.

Ich freue mich, nach dem vielen Reisen (Salzburg - Biberwier - Buchenbach - München - Wien - Prag - Königsberg - Berlin) endlich wieder hier ruhig an der Arbeit zu sein. Ich habe meinen Kön[igsberger] VortragB jetzt ausgearbeitet. Ein Aufsatz „Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft“B ist fertig; ein zweiter, der sich an den ersten anschließt, eine ausführliche Ausarbeitung dessen, was ich bei BühlerPBühler, Karl, 1879–1963, dt.-am. Psychologe, verh. mit Charlotte Bühler vorgetragen habe („Die Psychologie in physikalischer Sprache“B), ist beinahe fertig.

Ich habe dann noch verschiedene andere Dinge auf dem Programm, und will die letzten Monate meiner Freiheit noch recht ausnutzen, um allerhand aufs Papier zu bringen. Ich habe die Absicht, meine Vorlesung (Grundl[agen] d[er] Arithm[etik]) abzusagen, um Zeit zu sparen. Wenns mit PragIDeutsche Universität Prag gut geht, würde ich im Febr. übersiedeln. Vielleicht gehe ich (das hängt aber außer anderem auch noch vom Geld ab) Januar einige Wochen in Sonne und Schnee hinauf. Und nur bis Weihnachten zu lesen, lohnt wohl kaum. Ich will dem DekanatIDekanat der Deutschen Universität Prag schreiben, daß die Verhandlungen mit PragIDeutsche Universität Prag schweben, und daß zu erwarten steht, daß sie ein positives Ergebnis haben und ich dann noch im Laufe des W. S. nach Prag übersiedeln werde; mit dieser Begründung werde ich bitten, zu erlauben, daß ich die Vorlesungen absage. Falls Du das nicht für ratsam hältst, schreib mir bitte gleich eine Zeile. Ich darf nämlich die Absage nicht mehr lange hinauszögern, weil die Inskriptionsfrist schon beginnt. (Mit dem Titel ist noch nichts geschehn, und jetzt ist Ministerwechsel, da gehts wieder ½ Jahr).

BehmannPBehmann, Heinrich, 1891–1970, dt. Mathematiker war hier, hat einen (mehr popul[ären]) VortragB gehalten und in privaten Diskussionen seine Logik ohne Typenth[eorie]B verteidigt. GrellingPGrelling, Kurt, 1886–1942, dt. Philosoph und FrauPGrelling, Margaretha Alma, †1942, geb. Berger, verh. mit Kurt Grelling werden im Ford hierherkommen, wollen 3.-9. Okt. hier sein. Wann kommst Du zurück? Falls Du, wie ich hoffe, nicht allein bist, bitte ich sehr herzliche Grüße auszurichten!

Brief endet hier

Brief, msl. Dsl., 1 Seite, RC 029-30-02; Briefkopf: msl. Wien, den 30. Sept. 1930.


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