\brief{Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 28. August 1930}{August 1930} %Wien, den 28. Aug. 1930. \anrede{Lieber Schlick!} \haupttext{Herzlichen Dank für Deinen Brief. Jetzt wirst Du schon in England sein. Hoffentlich hast Du inzwischen noch besseres Wetter gehabt und Dich gut erholt. Eben berichtet mir Feigl\IN{\feigl}, daß er Nachricht von gutem Befinden von Dir bekommen habe. Auch uns ists sehr gut gegangen in Biberwier. Ich bin nachher noch eine Woche in Buchenbach gewesen, und habe unterwegs dann Maue\IN{\maue} besucht. Wir waren sehr betrübt zu hören, welche Schwierigkeiten und Sorge Du durch die Neurath-Sache gehabt hast. Gut, daß aber die Sache jetzt zu friedlicher Beilegung gekommen ist. Gestern war ich mit Feigl\IN{\feigl} bei N[eurath]\IN{\neurath}. Wir haben i[h]m beruhigend zugeredet. Er war nämlich immer noch erregt und glaubte, daß nicht nur dem MS\IW{}, sondern ihm persönlich Ungerechtigkeit widerfahren sei. Und nun hatte er tatsächlich schon ein beinahe fertiges neues MS\IW{}! Er hat uns verschiedene Kapitel daraus vorgelesen. Und wir waren erstaunt zu sehen, daß er hier wirklich in ganz anderem Tone geschrieben hat, sachlich argumentierend, und ernsthaft in der Formulierung. Der Inhalt ist jetzt ein ziemlich anderer, mit gleichen Grundgedanken. Es sind hier keine ausführlichen erkenntnistheor[etischen] Erörterungen mehr, sondern Darstellung der Sache selbst, ausgehend von einer Übersicht über die geschichtliche Entwicklung, die die Prinzipien der Geschichte und der Nat[ional] Ök[onomie] durchgemacht haben. Das, was wir gehört haben (es war viell[eicht] ein Drittel, das Übrige gab er uns nur skizzierend an, es lag aber auch schon getippt vor) machte also nach Inhalt und Form im Ganzen einen durchaus positiven Eindruck. Stilistisch merkte man zwar an manchen Stellen doch noch etwas das Tempo des Niederschreibens (das wohl weniger aus Eile zu erklären ist als aus seinem lebhaften und ungeduldigen Temperament); aber das wollte er noch ausfeilen, bevor er es Frank\IN{\frankphilipp} zur ersten Begutachtung vorlegen wird. Als ich von der schnellen Herstellung des neuen MS\IW{} hörte, hatte ich natürlich starke Bedenken. Es scheint mir aber doch, daß jetzt Aussicht besteht, daß die ganze Sache zu einem konfliktfreien Ende führt. Ich bin für den 2.\,Sept. zur Besprechung nach Prag gebeten. Dann fahre ich von dort nach Königsberg. Meine Ernennung hier ist noch nicht erfolgt. Prof. Meister\IN{\meister}, den ich fragte, sagte mir, er sei vor 2 Wochen auf dem MIn\II{}\blockade{?}. gewesen, um die Sache zu urgieren, weil er den neuen Titel in das Vorles[ungs] Verz. habe setzen wollen. Er ist nun vorgestern nochmal hingegangen und sagte mir dann, es würde doch noch 3-4 Wochen dauern. Zu seinem Erstaunen habe er sogar erfahren, daß Bedenken vorgelegen hätten, weil in der Regel die Ernennung erst nach 6 Jahren erfolge. Er habe aber darauf hingewiesen, daß man das doch individuell behandeln müsse, mit Hinweis auf die wiss[enschaftlichen] Leistungen. Er meint, daß die Bewilligung nun doch gesichert sei. Ich werde mit Feigl\IN{\feigl} noch in Kön[igsberg]\II{\koenigsbergerkongress} und Berlin bis etwa 14. zusammen sein. Dann fährt er nach Paris-Amerika, ich nach Wien. Ich hoffe sehr, Dich dann doch noch hier zu treffen. Mit herzlichen Grüßen} \grussformel{Dein\\ R. Carnap} \briefanhang{bis 9.\,Sept.: Königsberg Pr[eußen], bei Pakull, Heumarkt 3 III, bis 13.\,Sept.: Berlin W 9, postlagernd.} \ebericht{Brief, msl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/870868}{MS 95/Carn-27 (Dsl. RC 029-30-04)}; Briefkopf: msl. \original{Wien, den 28.\,Aug. 1930}.}