\brief{Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 7. August 1930}{August 1930} %Pension Grossegg %Millstatt %Kärnten7. August 1930 \anrede{Lieber Carnap,} \haupttext{recht schönen Dank für Deine Zeilen! Ich freue mich sehr, Euch alle dort in der prachtvollen Gegend zusammen zu wissen. Auch hier ist es herrlich; ich fühle mich ganz außerordentlich wohl, und auch meine Nerven, die es diesmal nötig hatten, sind ganz erholt. Ich schicke Dir also einliegend mein Urteil über N[eurath]'s\IN{\neurath} MS\IW{} und meinen Brief an Frank\IN{\frankphilipp}. Allerdings haben diese Schriftstücke jetzt eigentlich nur noch historisches Interesse, denn durch Franks's\IN{\frankphilipp} Vermittlung scheint die Sache inzwischen schon auf dem besten Wege zur endgültigen Ordnung zu sein. N[eurath]\IN{\neurath} hatte mir zwar gesagt, daß F[rank]\IN{\frankphilipp} mit seinem MS\IW{} sehr zufrieden sei, aber dies scheint doch nur eine viel zu optimistische Annahme gewesen zu sein, denn F[rank]\IN{\frankphilipp} hat mir inzwischen einen Brief geschrieben, aus dem hervorgeht, daß er meinem Urteil im wesentlichen beistimmt und durchaus \neueseite{} gegen die Publikation ist. Nun habe ich eben vor einer Stunde eine Karte von F[rank]\IN{\frankphilipp} erhalten, auf der er mitteilt, N[eurath]\IN{\neurath} habe auf seine, F[rank]`s\IN{\frankphilipp}, Vorhaltungen nunmehr geantwortet, er wolle ein ganz neues MS einreichen, das eine Einleitung in die theoretische Soziologie\IW{} darstellen soll und auf das er so gut vorbereitet sei, daß er es ,,aus dem Handgelenk`` schreiben werde. Dies heißt doch, daß er die erste Arbeit\IW{} zurückzieht, und ich muß sagen, daß ich dies für das einzig Richtige halte. Ich freue mich auch über die Anständigkeit, die darin liegt, denn gerade dies mußte ich bisher N[eurath]\IN{\neurath} innerlich in der Tat vorwerfen, daß er mir gegenüber den Rechtsstandpunkt so stark betonte. Wenn ich gegen eine Schriftenreihe so viele Einwände hätte, wie sie N[eurath]\IN{\neurath} gegen Mises\IN{\mises}, mich und meine Einleitung\IW{} geltend machte, und wenn dann ein Herausgeber auch nur einen leisen Zweifel andeutete, ob eine von mir eingereichte Schrift sich für die Sammlung eigne, so würde ich gewiß unter keinen Umständen zugeben, daß sie dort erschiene. Ich glaube nicht, daß Takt und guter Geschmack Eigenschaften sind, die man der ,,bourgeoisie`` überlassen sollte. So freue ich mich also doppelt, daß die Angelegenheit nun so gut ausgegangen zu \neueseite{} sein scheint, und ich hoffe von Herzen, daß mir N[eurath]\IN{\neurath} in Zukunft nicht zürnt. So viel an mir liegt, können wir uns gewiß aufs beste vertragen. Wenn Du Mitte des Monats nach Wien kommst, kannst Du vielleicht auch etwas besänftigend wirken, vielleicht ihn sogar überzeugen, daß ich doch nicht so ganz von Vorurteilen (N[eurath]\IN{\neurath} nennt sie höflich ,,Hemmungen``) beherrscht bin. Es tut mir furchtbar leid, daß ich Dich und Herrn Feigl\IN{\feigl} jetzt nicht sehen und sprechen kann. Ich ärgere mich auch sehr, daß ich nicht nach Königsberg\II{\koenigsbergerkongress} kann -- in Oxford\II{} wird sicher nicht viel los sein. Wann werde ich Dich überhaupt wiedersehen? Ungefähr am 10.\,Sept. komme ich auf 2-3 Tage nach Wien (Herrn Feigl\IN{\feigl} hoffe ich dann bestimmt zu sprechen), hoffentlich bist Du aber auch Mitte Oktober noch dort, wenn ich zurückkehre. Es ist ja nun vollständig sicher, daß Du nach Prag\II{\universitaetprag} gehst -- es ist sehr, sehr schmerzlich für uns, wenn wir uns auch Deinetwegen freuen, und ich mag an unsere Donnerstag Abende\II{\schlickzirkel} ohne Dich gar nicht denken. Wir müssen auf jeden Fall häufige Zusammenkünfte verabreden, und ich hoffe, daß Du recht oft von Prag herüberkommen wirst. Bleibe gesund und lebe recht wohl! Ich lasse Herrn Feigl\IN{\feigl} und Frl. Kasper\IN{\kasper} aufs allerherzlichste grüßen. Mit den allerbesten Wünschen bleibe ich} \grussformel{Dein\\ M. Schlick} \briefanhang{Wenn Reichenbach\IN{\reichenbach} zu Euch kommt, so grüße ihn bitte schön.} \ebericht{Brief, hsl., 3 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/870870}{RC 029-30-05}; Briefkopf: hsl. \original{Pension Großegg \,/\, Millstatt \,/\, Kärnten} sowie \original{7.\,August 1930}.}