\brief{Rudolf Carnap an Hans Reichenbach, 29. April 1930}{April 1930} %Wien, den 29.April 1930. \anrede{Lieber Reichenbach!} \haupttext{Gestern erhielt ich Ihren Entwurf des Eröffnungsaufsatzes\IW{}. Da Schlick\IN{\schlick} wieder eingetroffen war, konnte ich den Aufsatz gleich mit ihm besprechen. Dabei stellten sich schwerwiegende Bedenken heraus. Es handelt sich nicht um den Ausdruck ,,Philosophie``, der mir zwar nicht sehr sympathisch ist, den Schlick\IN{\schlick} aber selbst noch zu verwenden pflegt, sondern um den Inhalt des Aufsatzes. Wir könnten ihn so auf keinen Fall unterzeichnen. Und Schlick\IN{\schlick} sagte sogar, daß er nicht als Herausgeber zeichnen könne, wenn dies als programmatischer Aufsatz, und sei es auch von Ihnen allein unterschrieben, erscheinen würde. Die inhaltlichen Differenzen sind vor allem die folgenden. Sie machen der traditionellen Philosophie hier in einem Grade Zugeständnisse, der mich nach Ihren bisherigen Stellungnahmen sehr verwundert hat. Wir, und auch Sie, sind doch in Wirklichkeit nicht der Meinung, daß die Ansichten der verschiedenen philos[ophischen] Systeme untereinander und gegen uns nur darauf beruhten, daß sie sagen, was man noch nicht weiß. Es müßte doch gesagt werden, daß jene Systeme zum großen Teil Metaphysik enthalten, die wir für sinnlos halten. Und wenn Sie von der Philosophie als einer Wissenschaft sprechen, so widerspricht das beinahe wörtlich dem, was wir in der Broschüre ,,Wiss[enschaftliche] Weltauff[assung]``\IW{\wissweltauffassung} und Schlick\IN{\schlick} in seiner Vorrede\IW{} zu Waismann\IN{\waismann} gesagt haben. Da Schlick\IN{\schlick} nicht mehr genau wußte, ob er Ihnen schon ein Ex. dieser (noch nicht veröffentlichten) Vorrede\IW{} zugeschickt hat, lege ich Ihnen eines bei, mit der Bitte um Rücksendung. Schlick\IN{\schlick} will nun einen neuen Vorschlag eines Eröffnungsaufsatzes\IW{} schreiben. Da er jetzt wieder bis Ende der Woche verreisen muß, wird er ihn Ihnen erst nächste Woche schicken können. Wir möchten Sie dann bitten, sich zu Annahme des neuen Entwurfs zu entschließen und ihn mit uns gemeinsam zu unterschreiben. An meinem versprochenen Aufsatz über alte und neue Logik\IC{} schreibe ich gerade. Ich hoffe, ihn Ihnen auch nächste Woche schicken zu können. Wenn ich Sie recht verstanden habe, wollten Sie noch an Schlick\IN{\schlick} wegen eines Aufsatzes für das erste Heft\IW{} schreiben? Ich sprach mit ihm darüber, er hatte aber noch keinen Brief von Ihnen erhalten. Mit den besten Grüßen} \grussformel{Ihr\\ R. Carnap} \ebericht{Brief, msl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/828680}{HR 013-41-66}; Briefkopf: gestempelt \original{Dr. Rudolf Carnap \,/\, Wien, XIII/5 \,/\,Stauffergasse 4}, msl. \original{Wien, den 29.\,April\,1930}.}